Männerstress verkürzt das Leben

Bild: `Bausteine`
Beat Stübi, Bild: `Bausteine`

Vor 100 Jahren war die Lebenserwartung von Männern und Frauen noch annähernd identisch. Heute beträgt sie bei Männern 74 Jahre und bei Frauen 81 Jahre. Biologische Erklärungen werden solchen Differenzen nicht gerecht. Deshalb wird das Gesundheitsverhalten der Männer zum Schwerpunkt von Präventionskampagnen gemacht.

Viele "typisch männliche" Verhaltensweisen gefährden die eigene Gesundheit und teilweise auch das Wohlbefinden des Umfelds. Männer sind stärker gefährdet als Frauen, denn sie achten zuwenig auf ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit (unausgewogene Ernährung, Gleichgewicht zwischen Ruhe und Aktivität), sie neigen dazu, sich in ihrem Arbeitsumfeld in unnötiger und selbstschädigender Weise zu konkurrenzieren, in Konfliktsituationen reagieren sie leicht mit Gewalt; sie missachten Körpersignaleund verdrängen negative Gefühle; zudem suchen sie in Krisensituationen erst spät medizinische oder therapeutische Hilfe. Interessanterweise finden sich die auffälligsten Unterschiede zwischen der Gesundheit von Frauen und Männern bei ganz bestimmten Todesursachen: Bis zum Alter von 65 Jahren sterben Männer fünfmal häufiger an Herzinfarkt und dreimal häufiger an tödlichen Verkehrsunfällen, AIDS, Lungenkrebs und Selbstmord. Das "starke Geschlecht" wird zunehmend zu einem "kranken Geschlecht".

Bis zum Umfallen

Vor zwei Jahren liess das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) untersuchen, welche Kosten der ungesunde Stress im Erwerbsleben verursacht. Die volkswirtschaftlichen Kosten betragen demnach immense 4,2 Milliarden Franken und setzen sich aus den Kosten für die medizinische Versorgung und aus durch Arbeitsausfälle verursachte Kosten zusammen. Natürlich leiden Frauen genauso unter Stress wie Männer. Geschlechtsspezifisch ist hingegen der Umgang mit Stress: Männer reagieren unter Stress eher aggressiv oder suchen die Entspannung mit der Hilfe von Suchtmitteln - der problematische Alkoholkonsum von Männern ist etwa fünfmal so hoch wie derjenige von Frauen. Aber auch die Reaktionen von Frauen sagen viel über deren geschlechtstypischen Umgang mit Schwierigkeiten aus: Sie erkranken deutlich häufiger an Angst- oder depressiven Störungen und leiden stärker an Schlafproblemen.

Ungesunder Stress ist kein Problem von Einzelnen, er betrifft weite Teile der Bevölkerung. Vor allem die psychische Befindlichkeit der jungen erwerbstätigen Bevölkerung ist erschreckend schlecht: In der schweizerischen Gesundheitsbefragung aus dem Jahr 2000 gaben drei von zehn jungen Erwachsenen an, praktisch jeden Tag niedergeschlagen, schlecht gelaunt, gereizt und nervös zu sein.

Wilde Männer

In den 80er-Jahren entstand in den USA eine neue Männerbewegung- die "wilden Männer", später
machten die "neuen Männer" von sich reden. In christlichen Kreisen fand das Buch des Franziskanerpaters Richard Rohr "Der wilde Mann" grosse Verbreitung. Männer suchten in Workshops in teilweise archaischen Ritualen den Zugang zur männlichen Identität und Kraft, zum "eigenen Gorilla". Die Männer blieben dabei bewusst unter sich und arbeiteten an einer neuen, "authentischen Männlichkeit".

Warum kam es zu einer solchen Verunsicherung über das Mann-Sein", über die Männerrolle in der modernen westlichen Kultur? Fachleute aus der Sozialwissenschaft sehen eine Ursache darin, dass viele Männer weniger direkte väterliche Zuneigung und Unterstützung erhalten als früher. Die Väter sind oft abwesend und überlassen die Erziehung weitgehend den Müttern. In Kindergärten und zunehmend auch auf der Unterstufe der Primarschulen sind die Bezugspersonen fast ausschliesslich weiblich.

Ein Junge lernt seine männliche Identität aus zweiter Hand: aus Büchern, aus Filmen und in der Auseinandersetzung mit dem Männerbild seiner weiblichen Bezugspersonen. Soziologen und Soziologinnen sehen als mögliches Resultat einer schwachen männlichen Identität die "Angst vor der Weiblichkeit", die Angst, kein richtiger Mann zu sein, ein eingeschränktes Gefühlsleben, sowie Kontroll-, Macht- und Wettbewerbszwänge. Ein "neuer Mann" hingegen muss sich und seinem Umfeld die eigene Männlichkeit nicht immer neu beweisen. Er sieht in Frauen gleichberechtigte Partnerinnen und hat es beispielsweise nicht nötig, seinen Standpunkt mit Gewalt durchzusetzen.

Neue Männer

In Studien im deutschen Sprachraum wurden etwa 20 % der Männer als "neue Männer" identifiziert. Sie werden als gefühlsstark, weniger gewaltbereit, partnerschaftlich, solidarisch in der Arbeitswelt und kooperativ im Haushalt beschrieben. Über den Anteil an "neuen Männern" in christlichen Kreisen können nur Mutmassungen angestellt werden1. Wie auch immer, es ist nicht von der Hand zu weisen, dass immer mehr Männer an ihre Grenzen stossen und sich plötzlich und unfreiwillig mit ihrer Männerrolle auseinander setzen müssen.

In der Arbeitswelt, beispielsweise im Management, werden von den Männern "weibliche" Eigenschaften wie soziale und emotionale Kompetenzen gefordert - Fähigkeiten, die in den Ausbildungsgängen an den Universitäten einen geringen Stellenwert haben. Auch im Privatleben sind diese "neuen Männer" gefragt: Junge, selbstbewusste Frauen geben sich nämlich weder mit "Softies" noch mit "Machos" zufrieden. Die typisch "männlichen" Strategien wie verbissener Einzelkampf, Schweigen und Rückzug, Verdrängung, Flucht in die Arbeit oder Flucht in die Sucht führen oft in eine persönliche Sackgasse. Wie aber sollen sich Männer entwickeln, die das vermeiden wollen?

Männerfreundschaften

Viele Frauen können in Schwierigkeiten auf eine "beste" Freundin zählen, die zu intensiven Gesprächen und emotionaler Unterstützung bereit ist. Männer vertrauen sich häufiger ihren Partnerinnen an. Gemäss kürzlich durchgeführten Untersuchungen bestehen Männerfreundschaften zu 54 % aus gemeinsamen Unternehmungen, zu 24 % aus Gesprächen über Arbeit, Karriere und Politik und zu 19 % aus Gesprächen über sich selber. Gemeinsame Unternehmungen sollen keinesfalls abgewertet werden - hier wird der Boden für gute Freundschaften gelegt. Vielen Männern fehlt aber der persönlichere Austausch. In kirchlichen Kreisen sind in den letzen Jahren vermehrt Gruppen von Männern entstanden, die sich bewusster mit persönlichen, religiösen und sozialen Fragen auseinander setzen wollen.

Die bernische Stelle für Gesundheitsförderung RADIX hat in einem Manifest Fragen zusammengestellt, die Männer sich alleine oder in Gruppen stellen können.

Einige Beispiele:
Wie pflege ich Männerfreundschaften?
Wie gesund bzw. ungesund verhalte ich mich?
Wie kann ich sorgfältiger mit mir selber umgehen?
Wie verhält es sich mit meinen Grenzüberschreitungen und Kontrollverlusten?
Wie integriere ich neben dem Berufs-Mann den Ehe-Mann und Vater gleichwertig in mein Leben?

Nach Ansicht von Paartherapeuten retten gute Männerfreundschaften manche Ehe und Familie. Um es etwas provozierend mit einem Buchtitel zu sagen: "Die Gesundheit der Männer ist das Glück der Frauen". .

Beat Stübi ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern und dort zuständig für Evaluationen im Sozial- und Gesundheitswesen.Er studierte von 1993 - 2001 Psychologie in Fribourg und Bern.

Datum: 24.04.2002
Autor: Beat Stübi
Quelle: Bausteine/VBG

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