Mehr, als ich verkraften kann

Dorothee Degen-Zimmermann

Ich kriege das einfach nicht auf die Reihe, und manchmal zerreisst es mich fast. Dann kriege ich eine Migräne. Weihnachten besteht aus mehreren Strängen, von denen jeder für sich allein schon mehr ist, als ich verkraften kann.

Da sind all die schönen Bräuche, die Kerzen, die Lieder, der Adventskalender, der Guetzliduft im Haus. Das knüpft an den Kindheitserinnerungen an: Die gespannte Vorfreude, die Geheimnisse, das Basteln und Musizieren. Schnee gehörte auch noch dazu.

Aber die Erinnerungen lügen. Denn wir haben ja auch gestritten beim Üben der Weihnachtslieder. Schon damals hat es oft geregnet an Weihnachten. Manches Bastelwerk ist misslungen, das ersehnte Geschenk lag nicht unter dem Baum, und Vater war am Heiligen Abend oft noch eine Spur ungeduldiger als sonst.

Die Bräuche, die eigentlich Halt geben könnten, Vertrautheit und Heimat, kippen auch heute ganz schnell in Stress, gerade dann, wenn man es "schön", "ruhig", "besinnlich" und stressfrei haben möchte. Wieviele Sorten Weihnachtsguetzli braucht der Mensch?

Und dann die Ansprüche und geballten Erwartungen der Sippe. Wen beschenken und womit? Wen einladen, wen besuchen? Wen brüskiere ich, wenn ich eine Einladung ausschlage, und was sind die Folgen? Die Grosseltern decken die Kleinen mit Geschenken zu, gegen alle meine Prinzipien, sie vor Überfluss und "Materialschlacht" zu schützen. Die Kinder streiten, "ausgerechnet an Weihnachten!!" In der Weihnachtszeit scheinen die Nerven blank zu liegen, Familienkräche entzünden sich an Nichtigkeiten.

Der Kommerztaumel ist gnadenlos. Noch bevor sich in mir ein leises vorweihnächtliches Gefühl regen kann, wird dieses längst überflutet vom Glanzpapier kitschiger Prospekte, geblendet vom Lichtergeglitzer, totgeschlagen von einem Heer von Samichläusen, erstickt von süssen Düften in Küchen und Warenhäusern.

Ich nehme es dem Kommerz übel, dass er mir das Weihnachtsfest meiner Kindheit gestohlen hat. Mehr noch, dass ich den, dessen Geburt wir feiern, verliere in dem Taumel und Festlärm. Verlangt nicht von mir, dass ich da noch fromme Gefühle hege. Dass ich das Kind in der Krippe preise: Mein Jesus lag nicht auf eurer Zuckerwatte! Was wir aus Weihnachten gemacht haben, steht dem, was vor 2000 Jahren wirklich geschah, diametral entgegen. Ich fühle mich nie so "unfromm" wie in der Weihnachtszeit.

Nein, ich bin nicht konsequent. Ich mache ein paar Weihnachtsgeschenke, ich freue mich, wenn die Familie zusammenkommt. Es gibt den Weihnachtsbaum immer noch in unserer Familie. Ich mag ihn denen, die daran hängen, nicht vermiesen. Er riecht ja auch wirklich fein. Mit meinem Glauben hat er nichts zu tun.

Mein Glaube hält sich ganz still und wartet auf eine günstige Gelegenheit.
Vielleicht mitten in der Nacht, in schlaflosen Stunden, wenn mich Unrast oder Angst wach hält. Da besucht mich ein altes Weihnachtslied, ich taste mich durch die vielen Strophen, die ich zum Glück auswendig gelernt habe: "Nichts, nichts hat dich getrieben zu mir vom Himmelszelt, als das geliebte Lieben, womit du alle Welt in ihren tausend Plagen und grossen Jammerlast, die kein Mund kann aussagen, so fest umfangen hast."
Und ich spüre, wie ich ruhiger werde, getröstet. Es ist das einzige, was trägt: Die Lieder und die Weihnachtsgeschichte im Lukasevangelium. Nicht nur zur Weihnachtszeit

Dorothee Degen-Zimmermann, verheiratet mit Peter, drei erwachsene Söhne, lebt in Zürich. Sie ist frei schaffende Journalistin und Buchautorin.

Datum: 21.11.2002
Autor: Dorothee Degen-Zimmermann
Quelle: Jesus.ch

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