Positive Kraft im Gebären

Livenet-Talk: Geburt im Wandel

Im Gespräch mit drei Fachfrauen geht Livenet der Frage nach, welcher Wandel bei Geburten eingetreten ist und welchen Herausforderungen sich werdende Eltern zu stellen haben.
Livenet Talk: «Geburt im Wandel» (Bild: Livenet)
Sarah-Maria Graber
Madeleine Rytz vom Schweizerischen Weissen Kreuz
Marianne Grädel

Die Welt ist im Wandel. Davon ist auch das Thema «Geburten» betroffen. Im Livenet-Talk äussern sich drei Fachfrauen aus unterschiedlichen Blickwinkeln zum Thema.  

Zunahme von Möglichkeiten und Selbstbestimmung

Gebären Frauen heute anders als vor ein paar Jahrzehnten? Marianne Grädel ist Hebamme und sagt: «Seit ich meine Ausbildung gemacht habe, hat sich viel verändert. Heute ist die Selbstbestimmung der Frauen viel höher.» Auch die Väter seien präsenter als früher. «Es gefällt mir zu sehen, wie Väter ihre Aufgabe in der Betreuung der Kinder wahrnehmen.»

Sarah-Maria Graber, welche Geburtscoachings durchführt, stimmt zu. «Frauen werden selbstbestimmter und haben mehr Möglichkeiten.» Die bisherigen Rollen und Vorstellungen sind in Frage gestellt. «Früher war die Hauptsache, dass ein Kind gut zur Welt kommt und auch die Mutter überlebt. Heute fragt man hingegen auch danach, wie wir gebären und wie wir geboren werden. Das hat eine langfristige Auswirkung auf unsere Gesundheit und Psyche, aber auch auf unser Erbe, das wir weitergeben.»

Eine Geburt kann eine positive Kraft sein

Sarah-Maria Graber ist begeistert von der positiven Kraft, die eine Frau durch die Geburt erfahren kann. Es sei eine riesige Bestärkung für Frauen, die an der Erfahrung einer Geburt – sofern diese gut erlebt wird – erstarken können. Es ist ihre Motivation, sich dafür einzusetzen, dass Frauen ihre Geburten gut erleben. «Was eine gute Geburt ausmacht, kann von aussen schlecht beurteilt werden.» Scheinbar gut verlaufende Geburten können die Frau mit dem Gefühl zurücklassen, dass es nicht so war, wie es hätte sein sollen. Umgekehrt können schwierige Geburten für eine Frau rückblickend gute Erfahrungen sein.

Emotionale Gesundheit

Die dritte Gesprächspartnerin beim Livenet-Talk ist Madeleine Rytz, Sexualpädagogin beim Schweizerischen Weissen Kreuz. Sie sagt: «Nach der Geburt hat ein Baby ein emotionales Grundbedürfnis.» Anfänglich besteht dieses allein aus der Bindung zur Mutter. Das Kind braucht das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Erst später kommt das Bedürfnis nach Autonomie und Selbständigkeit auf.

«Ich habe viele Frauen bei mir in der Beratung, die in ihrer Kindheit nicht erhalten haben, was sie brauchten.» Diese Prägungen haben Auswirkungen auf die Geburt. Es braucht die emotionale Gesundheit der Mutter, um die Geburt als positiv zu erleben. Dabei geht es aber nicht nur um die Geburt selbst, sondern auch um die Schwangerschaft und die Zeit nach der Geburt. Madeleine Rytz wünscht sich, dass Problempunkte vor der Geburt angegangen werden können. Sarah-Maria Graber pflichtet bei, dass Frauen während Schwangerschaft und Geburt mit ihren Begrenzungen konfrontiert werden. 

Madeleine Rytz hat bei Eltern schon oft die «Ich-komme-zu-kurz-Haltung» beobachtet. Im Umgang mit ihren Kindern ist dies ein grosses Hindernis. «Überforderte Eltern machen plötzlich Dinge, die sie eigentlich nie tun wollten. Es lohnt sich, diese Dinge anzuschauen.»

Eltern sollen gestärkt werden

Marianne Grädel pflichtet den beiden anderen Talkgästen bei, dass sich Problemfelder der Mutter auf die Geburt auswirken. Sie betrachtet diese Erkenntnisse trotz allem Wertvollen aber manchmal als problematisch. Durch die Betonung des Mangelhaften kann bei Frauen eine Menge zusätzlicher Druck aufgebaut werden. «Je mehr Möglichkeiten wir haben, desto mehr Druck kommt auf, mit dem wir umgehen können.» Als Hebamme möchte sie Eltern stärken und sie ermutigen, auf das zu vertrauen, was in ihnen angelegt ist. «Im Grunde genommen ist ein Kind zu kriegen etwas Einfaches», sagt sie. «Das Neugeborene braucht Nahrung und Wärme. Dinge, welche die Mutter normalerweise bieten kann.»

In diesem Sinne will Marianne Grädel auch perfektionistischen Eltern begegnen. «Ich sage zu ihnen: Es ist gut, perfektionistisch zu sein, wenn diese Eigenschaft für dort zum Tragen kommt, wo sie wirklich hilfreich ist und wir uns nicht davon knechten lassen.»

Baby-Mythen entlarven

Marianne Grädel, die ein Buch mit dem Titel «Zuwendung» geschrieben hat (Livenet berichtete), betont, dass ein Baby nicht verwöhnt werden kann. Sie erklärt, was Verwöhnen bedeutet und hält fest, dass einem Neugeborenen grundsätzlich nie zu viel Zuneigung gegeben werden kann.

Einen anderen Mythos sieht Sarah-Maria Graber in der Vorstellung, dass einem das Kind «auf der Nase herumtanzt». Die Furcht, vom eigenen Kind missbraucht zu werden, könne schädlich sein. «Damit wird von Anfang an ein Misstrauen in der Eltern-Kind-Beziehung gesät.» Für sie selbst war die Erkenntnis befreiend, dass ihr Kind nichts Böses will und sie ihm durchaus geben kann, was es verlangt. «Dass ein Neugeborenes erstmals nur sich selbst sieht, ist völlig normal.»

An dieser Stelle sei es wichtig, die Entwicklungsphasen des Kindes zu verstehen. In diesem Zusammenhang sind alle Beteiligten der Gesprächsrunde begeistert vom Buch «Babyjahre» des kürzlich verstorbenen Remo Largo.

Den ganzen Talk ansehen:

Zum Thema:
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Datum: 20.11.2020
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet

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