«Die Religion Fussball wird uns nicht
erlösen» – Unter diesem Titel publizierte die Aargauer Zeitung am 24.
Dezember ein zweiseitiges Interview mit dem Sportlerseelsorger, der aus seinen
Überzeugungen kein Hehl machte und auch auf heikle Fragen eine Antwort hatte.
Gleich
zu Anfang machte Jörg Walcher im Interview mit François Schmid-Bechtel und Simon Häring klar, was ihn auf den Weg zum
Sportlerseelsorger gebracht hat: «Mein Vater war Alkoholiker und hatte Depressionen.
Meine Mutter musste die ganze Last tragen, bis sie zusammengebrochen ist. Mein
Herz wurde richtig hart. Ich war ein Suchender, habe vieles ausprobiert –
Esoterik, Yoga, positives Denken, habe den Dalai Lama getroffen. Ich kannte
meinen wahren Wert lange Zeit nicht.»
Die
Wende
Doch
dann geriet er in einen Gottesdienst, der alles änderte: «Ich war 22-jährig und
ein ehemaliger Surfer, der Südafrikaner Sean Morris, hat seine Geschichte
erzählt. Gleich zu Beginn sagte er, er bete jetzt für alle jungen Menschen. Da
habe ich mir gesagt: Jetzt vergesse ich alle komischen Leute um mich herum. 'Wenn es dich wirklich gibt, lieber Gott, dann zeige dich, hier bin ich.' Dann
hat mich eine Liebe durchströmt, wie ich sie noch nie zuvor gespürt habe. Ab
diesem Moment wusste ich: Mit dieser Liebe ist alles möglich. Und begann, in
der Bibel zu lesen.»
Ein
Gebet mit Folgen
Er
erzählt den Journalisten auch, wie er später seinem Vater, der vom
Erstickungstod bedroht war, die Hände auflegte und mit ihm betete. Und wie
dieser danach nicht nur Heilung erfuhr, sondern auch von Alkoholsucht und
Depressionen befreit wurde. Und wie es zur Ehe mit der gläubigen Turmspringerin
Jacqueline Schneider kam, die er erstmals unter dem Goldenen Dachl in Innsbruck
traf.
Eine
Performance-freie Zone schaffen
Über
seinen Dienst an Sportlern an Olympischen Spielen, Weltmeisterschaften und
Weltcup-Rennen der Skifahrer, Biathleten, Bobfahrer, Rodler, Leichtathleten,
Schwimmer, oder bei der Vierschanzentournee sagt er: «Es geht darum, eine 'Performance-Free-Zone'
zu schaffen. Einen Ort, wo die Athleten nicht über ihre Leistung definiert
werden, und eine Zeit, in der sie sich selber sein können.» Oft lese er ihnen
auch aus der von ihm herausgegebenen Wintersportbibel vor. Dann könnten die
Sportler Dinge, die sie beschäftigen, auf einen Zettel schreiben, diese
in ein Feuer werfen und ihre Sorgen damit symbolisch loslassen.
Belastungen
ablegen
Er
spreche mit den Sportlern dann über Dinge, über die sie mit ihrem Trainer nicht
reden könnten. Wenn zum Beispiel der Grossvater stirbt. «Dann ist es wichtig,
dass jemand für diese Sportler da ist. Und auch Angst ist ein grosses Thema,
zum Beispiel im Skifliegen bei schlechten Windbedingungen. Wir sehen, wie
unsere Andachten es Athleten ermöglichen, Druck und Belastungen abzulegen,
innere Ruhe zu finden und am nächsten Tag ihr Bestes zu geben.»
Die
Bibelstelle für Sportler
Auf die Frage, wie empfänglich Sportler für Glaubensfragen sind, zitiert
Walcher den neutestamentlichen Hebräerbrief Kapitel 4, Vers 11: «Der Glaube ist eine Zuversicht dessen,
was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.» Er hat die
Überzeugung gewonnen: «Sportler sind dem Glauben grundsätzlich schon sehr nah.
Wenn sie überzeugt sind von einer Wirklichkeit, die sie erhoffen, und von einem
Nichtzweifeln an dem, was sie nicht sehen können.»
Aus
Confidence wird Godfidence
Jörg
Walcher hat erfahren, dass der Glaube auch zu seinem gesunden Selbstbewusstsein
führt, und er zitiert dazu ein englisches Wortspiel: «Aus Confidence, also
Selbstbewusstsein, wird dann Godfidence. Das ist der Glaube an deine eigene
Stärke. Dann aber auch der Glaube in Gott, der dir diese Stärke und Talente gegeben
hat.» Es gehe dabei nicht um einen Glauben an sich selbst. «Aber der
Glaube ist etwas, das man wie einen Muskel trainieren kann.»
Walcher
ist klar: «Sportler werden dauernd an ihrer Leistung gemessen – von den
Trainern, von den Medien, der Öffentlichkeit.» Er zeigt ihnen eine andere
Dimension auf: «Ich möchte ihnen vermitteln, dass es noch andere Quellen der
Kraft und Freude gibt.»
Gespräche
mit Dopern
Auf die Versuchung von Sportlern, sich zu dopen, angesprochen, stellt er fest:
«Diejenigen, die ein gutes Fundament haben in ihrem Leben – sei es das
Elternhaus, oder dann der Glaube – da machst du gewisse Sachen nicht.» Das
bedeutet allerdings nicht, dass er auch Gespräche mit Sportlern führt, denen er
dann ans Herz legt, «reinen Tisch zu machen».
Ersatzreligion
Fussball
Beim
Thema Fussball wird Walcher zu einer Antwort auf die Frage gedrängt, weshalb
einige Fussballer sich auf dem Platz bekreuzigen und dennoch ein wenig
überzeugendes Leben führen. Zum Beispiel Diego Maradona: «Was halten Sie davon,
wenn Sport zur Religion wird?» Walcher dazu: «Das ist schlimm. Aber keiner
ist ohne Sünde. So schön der Sport ist, so begeisternd ist er. Er ist ein
Geschenk Gottes, wenn er aus der richtigen Motivation heraus gelebt wird. Aber
die Religion Fussball wird uns nicht von unseren Sünden erlösen.»
Corona und Spitzensport
Und auf die Auswirkungen der Pandemie auf die Spitzensportler befragt, meint
er: «Corona ist ein unfairer Gegner. Noch nie waren so viele Menschen mit einer
innerlichen Krise konfrontiert wie momentan. Noch nie haben so viele Sportler
mit dem Gedanken gespielt, aufzuhören. Deshalb ist es nun besonders wichtig,
für sie da zu sein. Wir brauchen in dieser Zeit ein Licht im und am Ende des
Tunnels.»