Calmy-Rey: "Ich glaube, ich bin gläubig"

Micheline Calmy-Rey

Einem Interview zur Gretchenfrage "Wie hast du’s mit der Religion?" hat sich Micheline Calmy-Rey noch nicht gestellt. Sie machte aber ein paar Andeutungen. Die Antworten auf die Fragen nach ihrer Glaubensüberzeugung und ihrer Einstellung gegenüber der Kirche und christlichen Werten blieb die neue Bundesrätin bisher schuldig. Die wenigen Aussagen, die sie diesbezüglich während des Wahlkampfes der Presse abgab, liefern nur ein schemenhaftes Bild ihrer religiösen Haltung.

Dem Westschweizer Wochenmagazin "L’Hebdo" antwortete Micheline Calmy-Rey auf die Frage, ob sie die Bibel gelesen habe: "Ich habe mehr davon gehört als sie gelesen, damals in der katholischen Schule, die ich besucht habe."

Die überzeugte Sozialdemokratin wuchs im Wallis auf. Nationalrat Heiner Studer gegenüber sagte die in Genf lebende Politikerin, sie sei in ihrem Handeln von der Ethik Calvins beeinflusst. Studer erwartet von ihr "ein Schwergewicht in der Familienpolitik". Tatsache ist, dass mit der Wahl von Micheline Calmy-Rey in den Bundesrat die Katholiken in der Landesregierung in der Überzahl sind. Anlässlich der fortschreitenden Säkularisierung in den letzten Jahrzehnten sei die konfessionelle Frage aber endgültig in den Hintergrund gerückt, schreibt der Historiker Urs Altermatt.

Unsicherheit zeigte Calmy-Rey bei der direkten Frage des "Tages-Anzeigers", ob sie gläubig sei. Sie antwortete: "Ich glaube Ja." – "Und hatten Sie je ein Erlebnis, das Sie an Ihrem Glauben zweifeln liesse?", fragte die Zeitung weiter. "Mehrere", so Calmy-Rey, "allerdings nicht persönliche, sondern kollektive. Zum Beispiel, wenn ich Kinder sehe, die an Hunger sterben."

Aus ihrem Genfer Umfeld weiss man, dass sie ihren Freunden ohne Zögern gesagt hat: "Betet für mich!", wie Christian Willi von der Zeitschrift "L’Avènement" herausgefunden hat. Dem gläubigen Nationalrat Werner Messmer ist natürlich auch aufgefallen, dass die frisch gewählte Bundesrätin ihren Eid nur als Gelübde abgelegt hat, in welchem Gott, der Allmächtige, nicht erwähnt wird. Hoffnung macht Messmer aber die Tatsache, dass Calmy-Rey um die Bedeutung eines geordneten Staatshaushaltes wisse, ihr Durchsetzungsvermögen in Genf auch unter Beweis gestellt habe und somit eine für ihn entscheidende Basis-Denkhaltung in die Regierung mitbringe, so der FDP-Politiker. In den Hearings bei den Fraktionen zeigte sich, dass die neue Frau im Bundesrat in heiklen Fragen wie der Drogenliberalisierung oder der Partnerschaft Homosexueller die gängigen Positionen der SP vertritt.

Datum: 12.12.2002
Quelle: idea Schweiz

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