Willi Brammertz, 71 Jahre, verheiratet, hat drei Kinder, wohnt in Uster (Bild: Hope-Zeitungen)
Als Jugendlicher trampt Willi Brammertz vom Bodensee nach Indien.
Weder im Drogenparadies Goa noch in fernöstlichen Lehren findet er das
ersehnte Glück. Inneren Frieden entdeckt er erstmals hinter einer Mauer.
«Mein
Vater hat mich seit meiner Geburt abgelehnt», lässt Willi Brammertz aus
Uster in seine Kindheit blicken. Am 6. November 1960, exakt an seinem
neunten Geburtstag, zieht die Mutter mit den drei Kindern nach Arbon,
später wird die Ehe geschieden. Willi ist ein rebellischer Sohn, zieht
früh aus und beginnt in Basel die Ausbildung zum Chemielaboranten. «Ich
wollte etwas erfinden, etwas Aussergewöhnliches», bekräftigt der heute
71-Jährige und schmunzelt. In seiner Freizeit experimentiert er damals
mit Alkohol, LSD und Cannabis.
Aus- und Aufbruch
Im dritten Lehrjahr schmeisst er die Ausbildung und trampt mit einem
Freund nach Schweden. «Wir waren noch minderjährig und wurden von
Interpol gesucht», berichtet Willi. Nächstes Ziel ist Kreta, mit ein
paar Kumpels klappern sie im VW-Bus die Küsten ab. Als einer im Übermut
ein Schaf stiehlt, um es alsbald am Spiess zu braten, landen sie alle
für sechs Wochen im Gefängnis. Willi präzisiert: «Wir hatten uns aus
Solidarität mit auf die Anklagebank gesetzt, ohne uns der Folgen bewusst
zu sein…»
Wieder auf freiem Fuss trampt Willy mit vier Dollar in der
Tasche von Istanbul nach Indien. Er ist auf der Suche nach dem Ort der
Erfüllung. Jedes Mal, wenn er glaubt, ihn gefunden zu haben, hält er es
dort kaum aus. Willi erinnert sich: «Connor-Place in Delhi, zum Beispiel –
nach fünf Minuten war ich dort wieder weg!» Nachts kann er nicht
schlafen, am Tag ist er nicht richtig wach. «Mein Hirn ratterte, und
immer plagte mich die Frage: Warum existiere ich?» Als er wieder einmal
aus einer Stadt «flüchtet», realisiert Willi, dass er stets den gleichen
Weg läuft und erkennt: «Ich bin das Problem, vor mir selbst kann ich
nicht fliehen.»
Frieden und Bücher
Eines Tages, in Pakistan, lehnt er sich an eine Mauer, um auszuruhen.
Da schlüpft ein Einheimischer durch einen Spalt und winkt ihn zu sich.
Innerhalb der Mauer befindet sich ein Lepradorf. Schwestern des
Hilfswerks «Christusträger» sorgen hier für die verstossenen Kranken.
«Sofort empfand ich einen Frieden wie nie zuvor in meinem Leben»,
erinnert sich Willi.
Die Schwestern erzählen ihm von Jesus, schenken ihm
eine Bibel. Willi kümmert sich nicht gross darum, packt sie ein und
zieht weiter. Die Frauen versprechen, für ihn zu beten. Doch der Friede,
den er in ihrer Gemeinschaft empfunden hat, verlässt ihn. Er liest
buddhistische und hinduistische Bücher, geht davon aus, dass alle
Religionen das gleiche Ziel haben, aber sein Hunger nach Sinn bleibt.
Langeweile auf Goa
Weihnachten in Goa, das ist Willis nächste Station, von der er sich
viel verspricht. Doch dort herrscht erdrückende Stille, alle stehen
unter Drogen. «Jeder wartete darauf, dass endlich etwas geschieht, wir
hatten uns nichts mehr zu sagen», erzählt Willi und fügt an: «Heute wird
das alles romantisiert: Wenn ich jemandem sage, dass ich einer der ganz
frühen Hippies war, reagieren die Leute meistens erstaunt und
bewundernd.» Rückblickend stellt er klar: «Nichts ist weiter von der
Wahrheit entfernt als das!»
Als der Jugendliche Bekannte trifft, wirft
er mit ihnen einen starken LSD-Trip ein. «In der Schweiz floh man an
Wochenenden aus seinem geregelten Leben in einen LSD-Trip», erklärt
Willi. «Hier war der Startpunkt bereits Wahnsinn. Ich fühlte mich wie
ein Planet, der seine Umlaufbahn verliert…» Der Trip verstärkt die
Farben des Monsun-Sonnenuntergangs. Die Welt sieht wunderschön aus, aber
die Schönheit schmerzt unendlich, weil sie ihm keine Erfüllung schenkt.
Orientierungs- und ziellos sieht Willi am Strand einen armen Fischer
und sehnt sich nach dessen Leben.
Monster und Mächte
Mit seinem Kumpel Boris verlässt er den Hippie-Strand und zieht in
eine selbstgebaute Hütte im Urwald. Sie leben spartanisch. In einem der
kleinen Tee-Zelte gehen sie eines Tages etwas trinken. Im Innern hängt
ein Kalender mit Schweizer Naturbildern. Willi schaut hin und flippt
aus. Als hätten böse Geister von ihm Besitz ergriffen, springt und
schreit er herum. Seine fürchterliche Ausstrahlung lässt die Menschen
vor Schreck erstarren. Ein Hund bewegt sich rückwärts ins Abseits, als
Willi und Boris das Zelt verlassen. Drogen, mangelnde Ernährung und
psychische Überforderung fordern beim Teenager ihren Tribut. «Dieses
'Sich Auflösen' ist Horror, alles andere als das ersehnte Nirwana»,
weiss er heute. «Dem Leben, dem Sein kannst du nicht entfliehen, du
musst es annehmen.»
Fast Versuchskaninchen
Schliesslich kehrt Willi krank nach Hause zurück. Der Hausarzt weist
ihn ins Spital Münsterlingen ein, wo seine heftige Malaria behandelt
wird. Dort wird Dr. Kuhn, ein renommierter Psychiater, auf ihn
aufmerksam. Er forscht zusammen mit der Pharmaindustrie und sucht
Probanden, um die Wirkung von Medikamenten zu testen. Doch dafür müsste
der junge Mann von der medizinischen in die psychiatrische Abteilung
wechseln. Seine Mutter verweigert ihr Einverständnis, denn Willi ist
noch nicht volljährig. «Mutter hat mich damals davor gerettet,
Versuchskaninchen eines umstrittenen Arztes zu werden», hält Willi
dankbar fest.
Grosse Erkenntnis
Wieder auf den Beinen, streift er mit seinem Jugendfreund, dem
späteren Theologen Benedikt Peters aus Arbon, durch die Wälder. Sie
reden über ihre Erfahrungen, auch über den christlichen Glauben. Dann
reist zuerst Benedikt Richtung Indien, später Willi. Dass sie einander
mitten in der Wüste wieder treffen, bezeichnet er als Wunder. Das
Christentum lässt beide nicht los.
In Kalkutta lernen sie George Verwer
kennen, den Gründer der christlichen «Organisation Mobilisation» (OM).
Verwer und seine Mitarbeitenden laden Hindus und Buddhisten ein, Jesus
Christus kennenzulernen. Auch Benedikt und Willi erkennen und erleben,
dass Jesus ihren Lebensdurst stillt. Innert Kürze lernen die jungen
Männer die Landessprachen Urdu und Hindi. Sie können sich mit den Leuten
unterhalten, verkaufen Bücher und Bibeln für OM und sind gut darin.
Doch dann erkennt Willi, dass er sich durch sein asketisches Leben und
gute Taten den Himmel verdienen will. Er erkrankt an Typhus und bricht
auch psychisch zusammen. «Kommt alle her zu mir, die ihr euch abmüht und unter eurer Last leidet! Ich werde euch Ruhe geben.» Dieses Jesus-Wort
aus dem Matthäus-Evangelium, Kapitel 11, Vers 28 nimmt er für sich in Anspruch.
Liebe und Lernen
Zurück in der Schweiz besucht Willi 1974 eine Bibelschule und lernt
im Sommereinsatz Erika kennen. Deren Vater ist nicht begeistert, als ihm
seine Tochter ihren Freund vorstellt: keine abgeschlossene Ausbildung,
dafür eine wenig vertrauenserweckende Vergangenheit… Doch Willi hat mit
Jesus sein Leben neu geordnet. Ein gutes Jahr später heiratet er Erika.
Die 24-Jährige arbeitet als Primarlehrerin, Willi holt mit 28 Jahren die
Matura nach und schliesst sein Ökonomiestudium mit einem Doktorat ab.
Ab 1980 gründet er in Pakistan christliche Schulen, in Indien baut er
zudem ein eigenes Unternehmen in der Finanzbranche auf. Erika und Willi
leben in der Schweiz, werden Eltern von drei Kindern und haben heute
vier Enkel.
Höheres Ziel
Auch 50 Jahre später ist Willi davon überzeugt, in Jesus den Sohn
Gottes gefunden zu haben. «Dass Jesus der Messias ist, bestätigt sich in
seinen Prophezeiungen, die sich alle, bis auf seine Wiederkunft,
erfüll haben», erklärt Willi Brammertz. Das seien Wahrheiten, die er nicht
leugnen könne. «Zudem gibt mir der Gedanke an Gott Halt, wie sonst
nichts auf der Welt.» Willi hat gefunden, wonach er in Indien, Pakistan,
im Hinduismus und Buddhismus, auf Drogentrips und in der Wissenschaft
suchte: Sinn und Halt im Leben, Erfüllung und ein Ziel, das über das
Leben auf dieser Erde hinausgeht. Und die Möglichkeit, in Beziehung zu
leben, mit Menschen und dem Schöpfer des Universums.