Weltgipfel der Informations - Gesellschaft

Weltgipfel

Die Informationskluft wächst weiter, befürchtet die Uno und hält mit einer Konferenzserie zum Thema dagegen. Vom 10. bis zum 12. Dezember findet in Genf der Weltgipfel der Informationsgesellschaft statt. Ihn vorzubereiten, ist die Aufgabe von Vorbereitungskonferenzen, die die Genfer ITU (International Telecommunication Union) veranstaltet. Die dritte Vorbereitungs-Konferenz fand jetzt in Paris statt und hatte die Aufgabe, aus den eingereichten Ideen vieler Initiativgruppen und Nichtregierungsorganisationen einen Aktionsplan zu destillieren, der auf dem Weltgipfel verabschiedet werden kann. Kein leichtes Unterfangen, denn allein die zur Vorbereitung der Vorbereitungskonferenz gesammelten Ideen füllten einen Tagungsband von annähernd 400 Seiten.

Unter dem Titel «Kein menschliches Wesen soll zurückgelassen werden» verabschiedete man als Zwischenbilanz die Vision einer Welt, die auf dem Weg der Informationsgesellschaft zur «gerechten, solidarischen Wissensgesellschaft» ist, wie das Communiqué der ITU formuliert.

Meinungsfreiheit ist ein strittiger Punkt, ebenso die Ablehnung übergeordneter staatlicher Zensurmassnahmen, die ein gefiltertes Netz für Bürger vorsehen. Genf im Dezember, das ist nicht der Endpunkt: Der zweite Teil der Konferenz soll vom 16. bis zum 18. Dezember 2005 in Tunis stattfinden. Das erste grosse Vertragswerk der Genfer ITU war der Weltpostvertrag von 1878. Es brauchte vier Jahre, diesen Vertrag auszuhandeln.

KOMMENTAR

Daniel Kosch

Visionen einer idealen Kommunikationsgesellschaft?

Das Pressecommuniqué zum Abschluss des Vorbereitungstreffens schlägt visionäre, ja geradezu religiöse Töne an: "Kein menschliches Wesen soll zurückgelassen werden", heisst es da. Und der Präsident erinnerte daran, dass das Ziel darin bestehe, dass Informations- und Kommunikationstechnologien "allen Menschen zugänglich sind, unabhängig von Sprache, Kultur, Geschlecht oder Geographie". Es gehe darum, einen Weg zu entwickeln "von der Informationsgesellschaft hin zu einer Gesellschaft des geteilten Wissens, das zu einer grösseren Solidarität unter den Völkern und Nationen führt".

Vollmundige Sprache macht hellhörig

Derartige Verheissungen klingen gut und wecken Hoffnung – sie klingen an biblische Visionen einer grenzenlosen Gemeinschaft der Söhne und Töchter Gottes an, wo keine Unterschiede mehr gelten – zwischen Mann und Frau, Sklaven und Freien und Menschen unterschiedlicher religiöser Herkunft. Aber gerade diese vollmundige Sprache macht hellhörig: Allzu idealistische Versprechungen verdecken oft eine ganz andere Wirklichkeit, in der von den Verheissungen der Freiheit, Gleichheit und solidarischen Geschwisterlichkeit nicht viel zu spüren ist.

Zwischen Wissen und Technik

Leider ist es auch im Fall des "Weltinformationsgipfels" nicht anders. Im Vorfeld finden heftige Auseinandersetzungen statt, die es bisher verhindert haben, dass ein griffiger und mehrheitsfähiger Entwurf für die Schlusserklärung vorliegt. Bei diesen Auseinandersetzungen geht es nicht um die "grossen Wörter", sondern um scheinbar eher nebensächliche Dinge: Müssen Programmiercodes offen gelegt werden? Dürfen einige wenige Firmen weltweit über die Patente für technische Standards verfügen? Werden die technischen Regeln für eine einheitliche Adressierung des Datenaustausches von privaten Instanzen oder von einer transparenten, überstaatlichen Institution verwaltet?

Auch ohne die Details dieser technischen Diskussion zu verstehen, spürt man rasch heraus: Hier geht es um die Verbindungslinien zwischen Wissen und Technik, Macht und Einfluss, Geld und Verdienstmöglichkeiten. Es geht darum, ob "Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten für alle" dadurch entstehen, dass möglichst viele Kräfte an dieser Entwicklung mitarbeiten können, oder dadurch, dass alle ihre Informations- und Kommunikationstechnologien bei den selben Monopolgesellschaften einkaufen müssen.

Die Parallelen zu politischen und religiösen Systemen sind unübersehbar: Da ist auf der einen Seite die Vision einer Welt, die niemanden ausschliesst und möglichst alle beteiligt – und auf der anderen Seite die Realität, dass Macht, Wissen und Gestaltungsmöglichkeiten auf einen kleinen Kreis konzentriert sind.

Und noch etwas Grundsätzliches wird bei der näheren Beschäftigung mit dem bevorstehenden Weltgipfel über die Informationsgesellschaft deutlich: Mit "Visionen" und "Programmen" allein kommen wir einer wirklich offenen, demokratischen und gerechten Kommunikationsgesellschaft nicht näher. Die Deklarationen müssen mit konkreten technischen Vereinbarungen verknüpft werden.

Kirchen und NGOs: Wohlklingende Worte genügen nicht

Es wird daher für die Kirchen und andere Non-Profit-Organisationen nicht genügen, wohlklingende programmatische Aussagen zu machen. Sie müssen sich mit Männern und Frauen verbünden, die vom Fach sind und sich auf die Welt der Technik und der Regelwerke einlassen. Der Fortschritt von Wissenschaft und Technik und der zunehmende Anspruch auf Gleichheit und Mitbestimmung, die beides Ausdrucksformen menschlicher Würde und Freiheit sind, entwickeln sich gleichzeitig.

Es ist zu hoffen, dass die Kirchen und die anderen Nichtregierungsorganisationen sich nicht darauf beschränken zu wiederholen, dass in unserer Informationsgesellschaft "kein Menschliches Wesen zurückgelassen werden soll", sondern sich auch ganz konkret und technisch dafür einsetzen, dass Gleichheit und Mitbestimmung möglich bleiben und noch mehr möglich werden.

Quellen: Kipa/NZZ

Datum: 30.07.2003

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