Migranten im Heiligen Land

Israels Christentum im Wandel

Ausländische Christen verändern das Erscheinungsbild der Kirchen in Israel. Doch nur ein Bruchteil der Migranten wird bleiben. Wie könnte ein Miteinander von einheimischen und ausländischen Christen aussehen?
Antonius Kirche in Jaffa

Bis zu fünf Messen an Samstagen und drei an Sonntagen finden in der Antonius-Kirche im Zentrum Jaffas statt. Kaum gehen die arabischen Katholiken nach Hause, parkt ein Bus nach dem anderen bei der Kirche ein. Jüngere Frauen steigen aus, Inderinnen aus Goa. «Bevor die Christen aus dem Ausland gekommen sind, waren wir vielleicht noch 2‘000 Katholiken», sagt der Einheimische Augustin Sayegh. «Natürlich sind sie eine Bereicherung für uns.» Laut dem Priester der Gemeinde übersteigt die Zahl der ausländischen Katholiken im Grossraum Tel Aviv die der Eingesessenen inzwischen um das Zwanzigfache.

Christliche Migranten

Seit Jahrzehnten klagen die Kirchen im Heiligen Land über sinkende Mitgliederzahlen. Während der Intifada schwoll der Strom der Emigranten aus den palästinensischen Gebieten an. In Israel entwickelte sich die Zahl der Christen vergleichbar mit dem muslimischen und jüdischen Bevölkerungswachstum. Der Mitgliederschwund in den alteingesessenen arabischen Gemeinden wurde aber weitgehend aufgefangen durch die ins Land strömenden christlichen Fremdarbeiter.

Wenig Berührungen

Nur ein Bruchteil der neuen Christen wird für immer bleiben. Inder und Filipinos, die in der Pflege alter und kranker Leute tätig sind oder in der Landwirtschaft arbeiten, kommen in der Regel nur für ein paar Jahre nach Israel, um sich eine bessere Zukunft zu Hause zu verdienen. Zwischen den arabischen und den ausländischen Christen gibt es kaum Berührungspunkte. «Jede Gruppe bleibt für sich», sagt Augustin Sayegh. Die Sprachbarriere und kulturelle Unterschiede sind Gründe dafür.

Englisch oder Ivrith?

In der Kirche in Jaffa singen die Filipinos ihre auf die Leinwand projizierten Lieder mit Gitarre, Tambourin und einem Chor. Viele der Frauen tragen leichte Kopftücher. Am Sonntagmorgen sind kaum Kinder in der Kirche, und auch die Männer lassen sich an zwei Händen abzählen. Die Stimmung ist gelöst, der Chor singt zweistimmig «We shall overcome» und andere Gospels. Die Predigt wird auf Englisch gehalten.
 
Die grosse Zahl der ins Land strömenden Christen ist für die Ortsgemeinden eine Herausforderung. Problematisch ist auch, dass die Kinder in israelisch-jüdische Schulen gehen und dort Hebräisch lernen, während in den christlichen Gemeinden Arabisch und Englisch gesprochen wird. Der Pater plant jetzt christlichen Unterricht in Ivrith (Neuhebräisch).

Austausch oder Zerstückelung?

Nicht nur die asiatischen und afrikanischen Migranten verändern das Erscheinungsbild der Kirchen in Israel, sondern auch die russischen Einwanderer und die messianischen Juden. Von einem «völlig neuen Christentum des Heiligen Landes» spricht Propst Uwe Gräbe von der evangelischen Erlöserkirche in Jerusalem. Mitentscheidend für die Entwicklung der Gemeinden sei die Frage, «ob es zu einem Austausch und gegenseitiger Befruchtung zwischen den alteingesessenen christlichen Gemeinden und diesen Neueinwanderern kommen wird oder zu einer weiteren Fragmentierung und einem berührungslosen Nebeneinander».

«Christentum der kleinen Inseln»

Die alteingesessenen Gemeinden in den palästinensischen Gebieten dürften, so Gräbe, «durch Auswanderung und niedrige Geburtenzahlen weiter schrumpfen». Übrig bliebe eines Tages ein «Christentum der kleinen Inseln», vor allem in der Umgebung der heiligen Stätten.

Datum: 29.11.2011
Quelle: Livenet / epd

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