Südamerika: Präventionsbewusstsein ist nach Tsunami und Katrina gewachsen

Beat von Daeniken
Mitch
Tsunami
Überschwemmung

Seit anderthalb Jahren arbeitet Beat von Daeniken in Perus Hauptstadt Lima für die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) des Eidgenössischen Departementes für auswärtige Angelegenheiten. Der zweisprachige Freiburger ist zuständig für den Bereich Humanitäre Hilfe in Südamerika und ist vor allem in den Deza-Schwerpunktländern Peru, Ecuador und Bolivien tätig. Seine Hauptbeschäftigung ist die Katastrophenprävention.

Die Welt hat Beat von Daeniken schon immer interessiert. Als Kind hat er viel in Atlassen gestöbert. Später hat er Geografie studiert. Anschliessend ist er auf Reisen gegangen, zuerst ein Jahr lang allein, dann ein zweites Jahr zusammen mit seiner Partnerin.

Er meldete sich beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). "Ich wollte noch andere Erfahrungen machen. Ich wollte auch andere Realitäten kennen lernen: Konflikte, Kriege, Katastrophen. Auf den Reisen hatte ich vor allem die schönen Seiten erlebt." Als IKRK-Delegierter war er ein Jahr in Burundi sowie sechs Monate in Afghanistan im Einsatz.

Ein Projekt von A bis Z

Zurück in der Schweiz arbeitete Beat von Daeniken zuerst als Assistent am Geografischen Institut an der Universität Freiburg, dann bei der Stiftung Bildung und Entwicklung in Lausanne, bevor er zur Deza nach Bern wechselte. In der Abteilung Humanitäre Hilfe war er zuständig für Russland, die Ukraine und die Südkaukasus-Länder. Ihn reizte die Aufgabe, ein Projekt von A bis Z zu betreuen, also ein Projekt zu planen, durchzuführen und zu evaluieren. Seit Anfang 2004 ist er in Südamerika tätig.

Als Mitglied der Rettungskette war er mehrmals in Katastrophengebieten im Einsatz, so in Algerien nach einem Erdbeben und in Deutschland und Österreich nach der Hochwasser-Katastrophe. Seinen Heimaturlaub an Weihnachten unterbrach er für einen Kurzeinsatz in Indien nach der Tsunami-Katastrophe.

Präventation hat an Bedeutung gewonnen

Als Verantwortlicher der Humanitären Hilfe in Südamerika arbeitet Beat von Daeniken vor allem in der Prävention. Das mag vielleicht erstaunen, assoziiert man doch bei uns seine Tätigkeit vor allem mit Katastrophen, dem sofortigen Entsenden von Hilfsgütern oder Rettungsteams – meist in Begleitung von Suchhunden - und der späteren Unterstützung beim Wiederaufbau.

"Aber gerade wegen der Tsunami-Katastrophe ist vielen bewusst geworden, wie wichtig Vorbeugemassnahmen sind", erklärt von Daeniken. "Das Mandat der Humanitären Hilfe umfasst vier Bereiche: Soforthilfe, Wiederaufbau, Prävention und Fürsprache für vergessene Konflikte wie beispielsweise Ostkongo. In den letzten Jahren hat die Prävention an Bedeutung gewonnen."

Lehren aus Mitch gezogen

Die Anfänge reichen ins Jahr 1998 zurück und führen nach Zentralamerika. Nach der grossen Mitch-Katastrophe hat die Deza beschlossen, den Präventionsaspekt in ihren Projekten in dieser Region zu integrieren. So sollte etwa vermieden werden, dass an extrem gefährlichen Standorten Häuser gebaut werden. Oder wenn an Orten gebaut wird, wo ein Risiko besteht, dann sollte wenigstens so gebaut werden, dass die Gebäude den Naturgefahren widerstehen können. Ab 2003 ist dieses Konzept dann auch auf Südamerika ausgeweitet worden. Dort ist die Deza in den Andenländern Bolivien, Ecuador und Peru tätig.

Alle Arten von Katastrophen

"In Südamerika sind alle Arten von Katastrophen möglich", erzählt Beat von Daeniken: "Erdbeben, Tsunami, Hochwasser, Hangrutsche, Kälte, Trockenheit." Insofern sei es schwierig, in der Prävention Prioritäten zu setzen. Die Bedrohung durch Naturphänomene werde immer bestehen. Doch Katastrophenrisiko könne durch Präventions- und Vorbereitungsmassnahmen entschieden reduziert werden. Von Daeniken: "Je weniger eine Region anfällig ist auf Zerstörung und je besser die Bevölkerung auf eine mögliche Bedrohung vorbereitet ist, desto geringer sind die Möglichkeiten einer grossen Katastrophe mit verheerenden Schäden und hohen Opferzahlen."

Das klingt zwar ziemlich abstrakt, leuchtet aber ein. Denn ein Beben in einer unbewohnten Wüste ist für die Menschen wesentlich weniger bedrohlich als eines in einem grossen Wohngebiet, wo die Häuser nicht antiseismisch gebaut sind. Und mittels geeigneten Alarmsystemen und erprobten Evakuationsplänen kann sich eine Bevölkerung auf eine mögliche Bedrohung gut vorbereiten.

Einsatzfähiger ziviler Rettungsdienst

Es gilt also nicht nur, präventive Massnahmen zu propagieren wie die Anwendung von antiseismischen Baunormen oder die Vermeidung des landwirtschaftlichen Anbaus an exponierten Hängen. Sollte trotzdem eine Katastrophe eintreten, muss der zivile Rettungsdienst möglichst gut funktionieren. Demzufolge müssen vorher die verantwortlichen Leute ausgebildet und die entsprechenden notwendigen organisatorischen Schritte geplant werden: Erstellung eines Evakuationsplans, Lagerung von Nahrungsmittelreserven, Betreuung von Opfern, Errichtung von Notunterkünften, Sicherung des Zugangs zu Spitälern.

Ausserdem muss die betroffene Bevölkerung genügend informiert und auf solche Situationen vorbereitet werden. Gerade diese Sensibilisierungsaufgabe ist kein leichtes Unterfangen. Häufig bezweifeln die Bewohner die Warnungen, sie schliessen vor gewissen Gefahren die Augen und Ohren. Und kommt es doch zur Katastrophe, klammern sie sich oft zuerst an ihr Hab und Gut, statt sich selber in Sicherheit zu bringen.

Der Fachmann aus der Schweiz arbeitet vernetzt und pflegt Kontakte sowohl zu nationalen wie regionalen und lokalen Behörden. Seine Aktivitäten koordiniert er mit denjenigen von anderen internationalen Organisationen.

Langsamere Gangarbeit bei Präventionsaufbau

Der Zeitbegriff ist relativ. Bei den Humanitären wird speditiv gearbeitet, das weiss er aus eigener Erfahrung bei Rettungseinsätzen nach Katastrophen. Alles muss schnell und zackig gehen. Beim Aufbau des Präventionsprogramms in Südamerika hat er die langsamere Gangart entdeckt.

Ein solches Programm wird nicht von einem Tag auf den anderen umgesetzt. Der Aufbau von Strukturen, die Ausbildung der Verantwortlichen und die Sensibilisierung der Bevölkerung sind Prozesse, die längere Zeit dauern. "Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht." (Afrikanisches Sprichwort). Doch die nächste Katastrophe kommt bestimmt. Ohne Warnung.

Nicht nur in den Entwicklungsländern

Angesprochen auf die verheerenden Folgen des Hurrikans Katrina in den USA, meint Beat von Daeniken: "Der Wirbelsturm Katrina hat einmal mehr aufgezeigt, wie wichtig es ist, Naturgefahren und die damit verbundenen Verletzlichkeiten für Mensch und Infrastruktur zu erkennen und entsprechende Präventions- und Vorbereitungsmassnahmen zu treffen. Auch die so gut organisierte Schweiz bleibt von den Konsequenzen von Naturereignissen nicht verschont. Die diesjährigen Hochwasser haben dies klar gezeigt. Vorbeugen ist besser als heilen, so sagt das Sprichwort. Dafür aber braucht es Mittel, sowohl Geld als auch ausgebildete Fachleute - und dies nicht nur in den Entwicklungsländern!"

Autor: Bernard Waeber. Der Schweizer Entwicklungsfachmann Bernard Waeber lebt derzeit in Perus Hauptstadt Lima. Er arbeitet dort im Auftrag der spanischen Entwicklungszusammenarbeit im Monitoring eines Alphabetisierungsprogramms.

Datum: 21.09.2005
Quelle: Kipa

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