Unbekanntes Land in Westafrika

Spannung in Guinea

In der Hauptstadt Conakry, die auf einer Halbinsel am Atlantik liegt und zwei Millionen Einwohner aus allen Volksgruppen hat, herrscht derzeit grosse Spannung. Die zweite Runde der Präsidentenwahl, die am 19. September hätte stattfinden sollen, wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Gründe dafür reichen Jahrzehnte zurück.
Unterwegs zu den Peul: Strasse im Wald Guineas.
Die Hälfte der Guineer ist unter 14-jährig.

Guinea gehört zu den Ländern Westafrikas, die selten in den Schlagzeilen auftauchen. Es ist sechs Mal so gross wie die Schweiz und hat etwa zehn Millionen Einwohner. Das guineische Volk setzt sich aus über 40 verschiedenen ethnischen Gruppen zusammen. Sie sprechen jeweils ihre eigene Sprache, die Amtssprache ist Französisch.

Putschisten und Attentäter

Nach der Unabhängigkeit von Frankreich 1958 war Guinea ein sozialistischer Staat unter der Herrschaft von Ahmed Sekou Touré, der politisch anders Denkende hinter Gitter brachte. Nach seinem Tod 1984 übernahm General Lansana Conté die Macht. Wegen Armut, Missständen und Korruption kam es 2007 zu Massendemonstrationen mit mehreren hundert Toten. Nach Zugeständnissen des Präsidenten beruhigte sich das Land. Als er Ende 2008 starb, entstand ein Machtvakuum. Nach zwei Tagen übernahm eine Militärregierung unter Hauptmann Moussa Dadis Camara die Macht. Als politische Gegner am 28. September 2009 im Fussballstadion von Conakry eine Massenkundgebung durchführten, feuerte das Militär in die Menge und tötete vermutlich viele Dutzend Menschen. Am 3. Dezember 2009 überlebte Präsident Camara ein Attentat schwer verletzt. Seither führt der Vize-Präsident und Verteidigungsminister Sékouba Konaté die Regierungsgeschäfte. Mit dem von ihm ernannten Premierminister aus der Opposition hat er auf Präsidentschaftswahlen hingearbeitet, um dem Land Stabilität zurückzugeben.

Hartes Leben in einem reichen Land

Guinea ist reich an Bodenschätzen und hat ein günstiges Klima, aber es gehört trotzdem zu den ärmsten Ländern der Welt. Zum einen lässt sich das auf Misswirtschaft zurückführen. Ein weiterer Grund ist Korruption und Ausbeutung der Ressourcen durch einige wenige, so dass der Ertrag in private Taschen fliesst statt in die Staatskasse. Guinea zählt zu den zehn korruptesten Ländern der Welt. Die Auswirkungen der Korruption sind verheerend und ziehen sich durch alle Lebensbereiche. Dies fängt beim Verkehrspolizisten an, der die Hand aufhält, über Lehrer, die für Geld oder Sex bei der Klausur ein Auge zudrücken, bis hin zur Vetternwirtschaft auf höchster politischer Ebene.

Die Lebenserwartung beträgt 54 Jahre, die Hälfte der Bevölkerung ist jünger als 17 Jahre. Die Alphabetisierungsrate liegt bei 36%. Es besteht allgemeine Schulpflicht, aber bei weitem nicht jedes Kind geht auch zur Schule. Obwohl die öffentlichen Schulen kein Schulgeld kosten, müssen doch Schuluniformen, Hefte und Kugelschreiber gekauft werden, was kinderreiche Familien häufig vor Probleme stellt. An öffentlichen Schulen ist eine Klassenstärke von 200 Schülern nicht ungewöhnlich, so dass der gewünschte Lernerfolg häufig ausbleibt und es vorkommt, dass Fünftklässler noch nicht lesen können.

Die Kindersterblichkeit ist 15,5 Mal so hoch wie in der Schweiz. Krankheiten, die in Europa harmlos sind, können hier tödlich enden, da medizinische Hilfe häufig zu spät gesucht wird. Einerseits werden meistens zuerst Zauberdoktoren konsultiert, andererseits sind Ärzte und Medikamente teuer. Obwohl 1965 die Genitalbeschneidung von Mädchen offiziell verboten wurde, wird dieser Initiationsritus noch verbreitet praktiziert. Hilfsorganisationen schätzen, dass 99% der guineischen Frauen an den Geschlechtsorganen verstümmelt sind.

Religion

Guinea wird in vier natürliche Regionen unterteilt. In dreien ist jeweils eine Volksgruppe vorherrschend: die Susu im Küstengebiet, die Peul im Fouta Djalon (Bergland) und die Malinke in Oberguinea (Haute-Guinée). Diese drei Regionen sind sehr stark muslimisch geprägt. Als der Islam im 17. Jahrhundert von Osten her nach Guinea vordrang, wurden diese Gebiete islamisiert. Die südöstlichste Region (Waldguinea) wurde dabei ausgespart. Daher konnte hier der christliche Glauben wesentlich besser Fuss fassen, als im 19. Jahrhundert die ersten katholischen Missionare ins Land kamen. Heute sind 85% der guineischen Bevölkerung Muslime, 10% sind Anhänger von Naturreligionen und 5% sind Christen. Die beiden letzteren sind vorwiegend in Waldguinea zu finden.

Das Land ist vom Volksislam geprägt, also einem muslimischen Glauben gemischt mit animistischen Elementen. Es herrscht Religionsfreiheit in Guinea, aber ein Muslim, der sich zu Jesus Christus bekehrt, hat mit starken Problemen zu kämpfen: Von sozialer Isolation über wirtschaftliche Nachteile bis hin zu Lebensgefahr.

Datum: 22.09.2010
Autor: Gitte Kröger

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