Abschalten, aber wie?

Unter Strom

Zeitfresser nehmen immer mehr Raum im Leben ein: Fernseher, Computer, IPhone, IPad. Und wann haben Sie das letzte Mal zugunsten Ihrer Familie oder Gott den Off-Knopf gedrückt?
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Donnerstagabend, halb Zehn. Erschöpft vom langen Arbeitstag, das «Komm endlich» von Pia noch im Ohr, starrt Sergio entnervt auf den Bildschirm. Das Update des Firewalls zieht sich in die Länge. Die Wireless-Verbindung war zwischendurch gestört. Endlich! Nein, doch noch eine Fehlermeldung. Gereizt klappt Sergio den Bildschirm herunter. «Es reicht!»

Der allabendliche kurze Austausch mit Pia – «Was machten die Kinder heute? Wie ging's mit der neuen Nachbarin? Was war mit der Heizung los?» vermochte auch nicht zu seiner Entspannung beizutragen. Trotz angezündeter Kerze, trotz dem Glas Rotwein, trotz dem kurzen, gut gemeinten Kuss auf die Wange. Pia bemerkte seine innere Abwesenheit. Sie schwieg.

Sergio wurde von seinen Gedanken fortgetragen. Weit weg von seiner Frau, die sich sanft an ihn geschmiegt hatte. Weit weg von den schlafenden Kindern. Weit weg von all dem, was ihm eigentlich so wichtig war. Ja, auch weit weg von seiner früheren Gewohnheit, am Abend noch zu beten. «Was schiebt sich da zwischen mich und dem, was meinem Leben Sinn verleiht?» fragte er sich. «Wie viel Zeit raubt mir mein Laptop? Die Updates, die nervenden E-Mails, die komplizierte Software zur Bildbearbeitung mit ihren unendlichen Wartezeiten? Das Surfen im Netz? Mein Handy mit den vielen Apps, News-Flashs, Sportresultaten und SMS. Entspringt daraus wirkliche Freude? Oder lasse ich mir kostbarste Lebenszeit von Dingen rauben, die heute so prominent wichtig daher kommen und morgen schon von Neuem abgelöst werden?»

Gedanklich längst ins Gebet hinübergeglitten hört er sich leise flüstern: «Und Du, Herr, stehst daneben und wartest. Wartest, bis ich endlich meine Aufmerksamkeit dem Lebendigen, dem Kostbaren, dem Ewigen, Dir, zuwende. Komm einfach, sagst Du. Es braucht keine Softwarelizenz, kein Wireless. Ein einfaches «Vater, hier bin ich», ein Seufzer, «Herr, hilf», reicht. Schon steht die Verbindung mit dem Allmächtigen, mit der Weisheit, mit der Freiheit und der Liebe, die das Leben sanft umfassen und dabei so wohl ordnen.» Sergio legte den Arm um seine immer noch an ihn geschmiegte Frau. Er fühlte sich angenommen, geliebt, geborgen. Er sah wieder sein Ziel.

Zum Autor:
Hans Esslinger studierte Maschinenbau und Betriebswirtschaft und arbeitete im Kader für verschiedene grosse Schweizer Konzerne. Später übernahm er die Geschäftsführung eines sozialen Unternehmens. Er engagiert für die Anliegen von Menschen mit Behinderung. Hans Esslinger ist seit 1969 mit Ruth Esslinger-Tanner verheiratet. Gemeinsam haben sie zwei erwachsene Söhne.


Datum: 25.04.2012
Autor: Hans Esslinger

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