Maulkorb für Frauen?

Der Maulkorb wird immer weniger getragen
Catherine Booth
swf
fraf

"Wie in allen Gemeinden sollen auch bei euch die Frauen in den Gottesdiensten schweigen und dort nicht das Wort ergreifen" (1 Kor 14,34).

Als ich mich mit dem Thema "Frauen in der Bibel" beschäftigte, stiess ich auf folgendes Zitat: "Wenn wir vom Segen her urteilen, der fast immer vom Dienst der Frauen in der Sache Christi floss, dann fürchten wir am Tage des Gerichts eine schlimme Erkenntnis: dass nämlich herauskommt, dass eine falsche und ungerechtfertigte Anwendung des Textes 'Die Frau schweige in der Gemeinde' in der Kirche mehr Schaden und in der Welt mehr Böses verursacht und Gott entehrt hat, als irgend ein anderes Übel."

Begabte Theologin

Wer schrieb so kühne Sätze? Sie stammen von einer gewissen Catherine Booth. Um herauszufinden, wer diese mutige Frau war, konsultierte ich alle grossen theologischen Nachschlagewerke. Keines dieser Lexika würdigte diese Frau eines eigenen Artikels. Unter "Booth" entdeckte ich lediglich: William Booth ist der bekannte Gründer der Heilsarmee.

Nach einer aufwendigen Suchaktion fand ich es doch noch heraus: Catherine Booth (1829-1890) ist die nicht weniger bedeutsame Frau an der Seite von William Booth. Aus den mir zur Verfügung stehenden Informationen schloss ich, dass sie geistig und theologisch begabter war als ihr Mann. Er war den theoretischen Anforderungen einer Predigerausbildung nicht gewachsen. Sie setzte sich zu ihrer Zeit souverän mit den führenden Auslegern und Gelehrten des Altgriechisch auseinander, obwohl sie keine theologische Ausbildung genossen hatte. Ihr Lebens lang litt sie an einer Rückenmarkerkrankung. Während den Wochen, in denen sie wegen dieser Krankheit ans Bett gefesselt war, eignete sie sich ihr beeindruckendes theologisches Wissen an. Schon mit zwölf Jahren war sie Vorsitzende eines Jugendverbandes. Durch Reden und Zeitungsartikel setzte sich die engagierte junge Frau für die Mission ein. 1844 erlebte die fünfzehnjährige Catherine Mumford ihre Bekehrung. 1855, bevor sie ihr Ja-Wort zur Verbindung mit William Booth gab, bestand sie gegenüber ihrem zukünftigen Ehemann auf einer partnerschaftlichen Ehe. Bis er 1879 die Heilsarmee gründete, arbeitete William Booth als sehr erfolgreicher Reiseevangelist. In ihrem Engagement stand Catherine Booth ihrem Mann in nichts nach. Sie beeinflusste und unterstützte ihn in entscheidenden Fragen. Sie liess keine Gelegenheit aus, um zu predigen und Menschen für das Evangelium zu gewinnen. Ihr Einsatz für das Recht der Frauen, predigen zu dürfen, war ein harter Verstoss gegen die Verhaltensvorschriften für Frauen im damaligen viktorianischen England.

Natur nicht mit Gewohnheit verwechseln

Die anfänglich zitierten Sätze von Catherine Booth fand ich schliesslich in einem Büchlein von 1892. Der Aufsatz trägt den Titel "Female Ministry or, Woman's Right to Preach the Gospel" ("Der kirchliche Dienst der Frauen oder Das Recht der Frau, das Evangelium zu predigen"). Darin entkräftet Catherine Booth die Einwände gegen den Predigt- und Lehrdienst der Frauen.

Damals empfand man die Arbeit von Frauen in der Öffentlichkeit als unnatürlich und unweiblich. Auch den Predigtdienst von Frauen beurteilte man in diesem Sinne. Hier entgegnet Catherine Booth ganz grundsätzlich, dass oft Natur mit Gewohnheit verwechselt werde. Man sei es gewohnt, dass Frauen im privaten Bereich tätig seien, und meine deshalb, das sei ihre Natur. Sobald sich eine Frau in die Öffentlichkeit wage, werde dieses Ungewohnte als unnatürlich empfunden. Booth hält dem entgegen: "Wir können nichts Unnatürliches oder Unbescheidenes an einer Frau entdecken, die entsprechend angezogen auf der Kanzel erscheint. Gott gab der Frau eine schöne Gestalt, eine gewinnende Art, eine überzeugende Redefähigkeit und vor allem ein feinfühliges Gespür. All das scheinen uns natürliche Qualitäten für die öffentliche Arbeit."

Warum soll eine Frau nicht predigen?

Booth leuchtet es weiter nicht ein, dass die Frau an Küche und Spinnrad gebunden bleiben soll, während der Mann die Arbeit auf dem Feld längst verlassen durfte. Nach dem biblischen Schöpfungsbericht habe Gott den Mann dazu bestimmt, den Acker zu bebauen. Für einen grossen Teil der Männer werde hier offensichtlich eine Ausnahme gemacht, weil sie geistige Fähigkeiten hätten. Warum sollte diese Ausnahmeregelung nicht auch für einen Teil der Frauen mit denselben Fähigkeiten gelten? Falls nicht, müssten sich Gott folgende Fragen stellen: Warum hat er ein Wesen mit Begabungen ausgestattet, die es gar nicht brauchen darf? Warum darf eine Frau mit den entsprechenden Fähigkeiten nicht öffentlich predigen?

Es sei unnötig, dass Frauen predigten, war ein weiteres Argument, das damals vorgebracht wurde. Es gebe genügend sozial-diakonische Aufgaben, in denen sie sich bewähren könnten.

Catherine Booth wittert hinter diesem Argument die Missgunst der Männer. Sie wollten die Ehre, die mit der Verkündigung des Wortes verbunden sei, nicht mit den Frauen teilen. Der Bereich, in dem eine Frau tätig ist, so Booth in ihrer Streitschrift, sollte doch nicht von der Missgunst der Männer bestimmt werden, sondern von der Führung des Heiligen Geistes und den Gaben. Wenn eine Frau die notwendigen Gaben mitbringe und fühle, dass sie der Heilige Geist zum Predigen berufe, gebe es kein Hindernis.

Catherine Booth erinnert an die Frauen in der Urkirche, die öffentlich redeten. Schon kurz nach Ostern habe Jesus Maria aufgefordert, zu den Brüdern zu gehen, um sie über seine Auferstehung zu informieren (Matthäus 28,9ff.). "Es wäre eigenartig, wenn Jesus einer Frau diesen Auftrag zum öffentlichen Zeugnis gegeben hätte, wenn Frauen öffentlich gar nicht reden dürften." Weiter weist Booth auf die Töchter des Philippus hin, die Prophetinnen waren (Apostelgeschichte 21,9). "Die Frauen, die Paulus ausdrücklich als seine Mitarbeiterinnen im Evangelium nennt, werden wohl auch nicht nur Dienstmägde gewesen sein" (Philipper 4,2ff.; Römer 16,3ff.).

"Müssen Frauen ihre Talente begraben?"

Laut Booth ist es eine bekannte Tatsache, dass Gott immer wieder den öffentlichen Dienst von Frauen benutzt hat, "um Seelen zu retten und die Gemeinde aufzuerbauen". Catherine Booth fragt deshalb provokativ, ob Gott wirklich wolle, dass die Frauen ihre Talente begraben. "Hat die Beschränkung der Frauen auf den sozial-diakonischen Bereich vielleicht sogar etwas damit zu tun, dass das Evangelium heute so wirkungslos ist?" Das sind harte Anfragen an solche, die den Predigtdienst der Frauen für unnötig halten.

Der bei weitem schwerwiegendste Einwand war natürlich, dass das Predigen von Frauen unbiblisch sei. Bis heute werden Frauen durch dieses Argument am Predigen gehindert. Dürfen wir etwas gegen das ausdrückliche Wort von Gott tun? Die Antwort von Catherine Booth auf diese Frage war eindeutig: Nein! So geht sie in ihrem Aufsatz den einzelnen Bibelstellen sorgfältig nach.

Bezüglich 1. Korinther 11, 2-16 (Haartracht der Frauen, wenn sie im Gottesdienst prophetisch reden oder beten) argumentiert Catherine Booth, Paulus gehe hier davon aus, dass Frauen in den korinthischen Gottesdiensten öffentlich sprachen. Wie konnte Paulus das voraussetzen, wenn er gegen das Predigen von Frauen gewesen wäre? Die Auslegung vieler Männer stehe im Gegensatz zu dem, was Paulus hier voraussetze.

Booth verweist in diesem Zusammenhang auf das Pfingstereignis. Petrus zitiert in seiner damaligen Predigt einen Text des Propheten Joel (2,28-32), von dem er sagt, dass er sich heute erfüllt habe: "Und es wird geschehen in den letzten Tagen - spricht Gott - da werde ich ausgiessen von meinem Geist über alles Fleisch, und eure Söhne und Töchter werden weissagen, und eure Jünglinge werden Gesichte sehen, und eure Greise werden Träume träumen. Ja, auch über meine Knechte und über meine Mägde werde ich an jenem Tag von meinem Geist ausgiessen, und sie werden weissagen" (Apg 2,17ff.). Im neuen Bund werden also auch die Frauen mit dem Geist Gottes ausgerüstet, damit sie weissagen können, folgert Booth. So ist es eigentlich ganz natürlich, dass wir auf Frauen stossen, die in der Gemeinde reden. Der Punkt, dass Frauen weissagen, sei in 1. Korinther 11,3-16 klar und deutlich und auch unbestritten, werde aber meist übersehen.

Bei der Auslegung von 1. Korinther 14,34 (s.o.) geht Catherine Booth sehr souverän und wissenschaftlich vor. Sie lässt sich nicht auf eine Polemik ein. Der Schlüssel zum Verständnis dieser Verse liege im griechischen Wort "reden". Mit erstaunlichem philologischen Gespür und exegetischem Geschick geht Booth diesem einen Wort nach. Sie konsultiert die besten griechischen Lexika und die gründlichsten Kommentare, bis sie zum Schluss kommt, "reden" meine im Zusammenhang des Textes "störendes Dazwischenreden". Es ist der Frau also nur verwehrt, durch gedankenloses Reden den Gottesdienst zu stören.

Catherine Booth fragt sich in diesem Zusammenhang, wie es dazu komme, dass durch diese einzige Stelle im 1. Korintherbrief und dazu noch durch eine falsche Auslegung, den Frauen die Lippen für Jahrhunderte verschlossen wurden. Sie vermutet, dass das mehr als ein unglücklicher Zufall war. Anhand einer Stelle aus dem Römerbrief zeigt sie, wie die Bibel gegen die Frauen ausgelegt wurde: Paulus empfiehlt am Schluss des Römerbriefes Phöbe der Fürsorge der Gemeinde (Röm 16,1). Er nennt sie "unsere Schwester und Dienerin der Gemeinde". Wenn das griechische Wort für "Diener" sich auf einen Mann bezogen habe, so Booth, werde es mit "Prediger" übersetzt, wenn es sich auf eine Frau beziehe, werde aber an eine "Dienstmagd" gedacht.

Ein neuer Tag bricht an

Vieles, wofür Catherine Booth gekämpft hat, ist heute für uns zur Selbstverständlichkeit geworden. Falls es das noch nicht ist, so ist es höchste Zeit dafür. Von ihr gilt es zu lernen, dass jeder Mensch, Frau und Mann, gabengemäss eingesetzt werden soll. Die Gaben, die einem Menschen geschenkt worden sind, sollten über seine Aufgabe entscheiden - und nicht irgendeine Ideologie.

Ein hoffnungsvolles Zitat dieser grossen Vorkämpferin für die Rechte der Frauen ist für uns auch heute noch wegweisend: "Gott sei Dank, dass es in Sachen Frauen Tag wird. Frauen untersuchen und studieren die Dinge selbständig. Sie wollen anerkannt werden als verantwortliche Wesen, verantwortlich vor Gott für die Überzeugung von ihrer Aufgabe. Gedrängt durch den Heiligen Geist überschreiten sie die unbiblischen Schranken, die die Kirche gegen sie aufgerichtet hat. Ein Theologe, der dann noch lehrt, dass die Frau schweigen soll, obwohl der Geist Gottes sie drängt zu reden, der wird angesehen wie ein Astronom, der lehrt, dass die Sonne ein Satellit der Erde sei."

Datum: 26.03.2002
Autor: Martin Forster
Quelle: Bausteine/VBG

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