Ein frühreifes Kind

Als ich noch jung und verwöhnt und verzogen war, anstatt alt und verwöhnt und verzogen zu sein, beschloss ich an einem Weihnachtsvorabend, all meine früheren Briefe an den Weihnachtsmann zu widerrufen und ihn um ein Puppenhaus zu bitten. Umständlich und mit vielen Entschuldigungen setzte ich Wunschzettel Numero zwei auf, platzierte ihn gut sichtbar auf dem Kaminsims, ging glücklich zu Bett und löste Traurigkeit und Verstörung bei denen aus, die mir eine hübsche Schiefertafel und 50 Stück verschiedenfarbiger Kreide gekauft hatten.

Man konnte einem Kind doch das Weihnachtsfest nicht verderben, beratschlagte man aufgeregt, aber auf der anderen Seite hatten alle Geschäfte schon geschlossen, und ein Puppenhaus war nirgends mehr aufzutreiben. So versuchten meine Eltern, eines zu basteln. Stunde um Stunde mühten sie sich mit einer grossen Schachtel ab, die sie weiss bemalten, in die sie Fenster hineinschnitten und an der sie Schornsteine anbrachten, die immer wieder herunterfielen. Eine der seltenen Streitereien ihres Ehelebens entstand über ihrer gemeinsamen Unfähigkeit, so etwas Simples wie ein Puppenhaus zu bauen.

"Jungen sollte man auf der Schule ein Mindestmass an handwerklichem Geschick beibringen", stöhnte meine Mutter, als die Hausfront zum soundsovielten Male einsackte. "Frauen könnten ruhig ein bisschen mehr von Kinderspielzeug verstehen", versetzte mein Vater, als er abermals den Topf mit Klebstoff hervorholte.

Dann dachten sie an Stroh und ob sie vielleicht ein Puppenhaus im hawaiianischen Stil anfertigen sollten, was jedoch keine so gute Idee gewesen wäre, falls ich noch nie was von Häusern in Polynesien gehört hätte.

"Für all das viele Geld, das wir in diese teure Schule stecken", sagte mein Vater. "sollte man eigentlich erwarten, dass sie wenigstens die Grundbegriffe der Geometrie kennt." "Geographie"; verbesserte ihn meine Mutter. Aber das Stroh war sowieso feucht, und so mussten sie sich was anderes ausdenken.

Ein Puppeniglu mit Holzwolle aus Schnee wurde in Erwägung gezogen und wieder verworfen. Ein Puppenwigwam schien gar kein so schlechter Gedanke zu sein, vorausgesetzt, sie hätten es fertiggebracht, eine Puppe als Indianerin zu verkleiden. Aber dazu brauchte man Felle, Häute oder Leinwand. Der Kissenbezug, den meine Mutter schon zerschnitten hatte, erzielte jedenfalls nicht den gewünschten Effekt.

Beide dachten nun an meine jüngere Schwester, die soviel einfacher zufriedenzustellen war und der schon ein Teddybär oder eine Rassel gefallen, ja, die sogar strahlen würde, wenn sie gar nichts geschenkt bekäme.

"Lass uns fair sein", sagte mein Vater. "Sie ist erst zwei. Maeve ist sechs." "Ich frage mich, ob es überhaupt normal für ein sechsjähriges Mädchen ist, sich ein Puppenhaus zu wünschen", sagte meine Mutter. So vertrödelten sie eine weitere Stunde damit, Standardwerke über normale Sechsjährige von Dr. med. Usa und ähnlichen Kapazitäten durchzuforsten, mit dem Ergebnis, dass mein Wunsch zwar normal, aber lästig war. Also begannen sie wieder von vorn.

Sie holten Ziegel und Steine aus dem Garten. Sie zogen das Nachschlagewerk `Tausend Dinge, die ein Junge machen kann` zu Rate, fanden darin aber nichts über die Herstellung eines Puppenhauses. Dafür las sich mein Vater bei der Passage fest, in der es darum ging, dass eines der tausend Dinge, die ein Junge machen kann, darin besteht, einen Tunnel quer durch den Garten zu graben, mit dem sich Blumenbeete bewässern lassen. "Das ist genau das, was wir an Weihnachten gebrauchen können", seufzte meine Mutter, "dass dir die Nachbarn dabei zusehen, wie du die Blumenbeete mit unterirdischen Tunnels bewässerst."

Es war bereits kurz vor Tagesanbruch. Das dickliche, rosige Engelchen schlief tief und fest im Vertrauen auf die Allmacht des Weihnachtsmannes. Sie schlichen in mein Kinderzimmer, stellten die Schiefertafel auf und schrieben mit einer der Kreiden eine Nachricht darauf. "Liebe Maeve. Euer Kamin ist zu eng, und ich schaffe es nicht, das Puppenhaus hinunterzubringen. Bitte sei nicht traurig. Ich werde es dir als Sondergeschenk irgendwann im Januar zukommen lassen. Du bist dieses Jahr ein gutes Mädchen gewesen. All die Rentiere haben nach dir gefragt. Alles Liebe, Dein Weihnachtsmann."

Es war Morgen und ich trommelte mit leuchtenden Augen auf meine schlafenden Eltern ein, sie sollten aufwachen. Aufwachen? Nach gerade mal zwei Stunden Schlaf war das für sie keine leichte Aufgabe. Dann wirkten sie ziemlich verschreckt. Drohte ich, meine Siebensachen zu packen und in die grosse weite Welt zu gehen? Gab es Tränen und Wutanfälle, die allen den Tag verderben würden? Nichts dergleichen. "Das glaubt ihr nicht!" Rief ich. "Der Weihnachtsmann hat mir eine persönliche Mitteilung hinterlassen. Sie steht auf so `ner doofen Schiefertafel, aber mit seiner Handschrift ist sie sicher ziemlich wertvoll. Niemand hat je was Handschriftliches vom Weihnachtsmann zu Gesicht bekommen. Wir müssen das unbedingt jedem zeigen. Wir könnten die Tafel an ein Museum ausleihen und viel Geld dafür nehmen."

Es wurde ein schönes Weihnachtsfest, wie alle Weihnachten, die wir gemeinsam verbracht haben. Das einzige, was mich jetzt in dieser Jahreszeit immer ein wenig traurig stimmt, ist, dass ich vergessen haben könnte, ihnen zu sagen, dass ich sie sehr, sehr ... aber wahrscheinlich wussten sie's auch so.

Orig: Aprecocious Child, aus ,My First Book' von Maeve Binchy, Dublin 1976, © by Maeve Binchy (Christine Green, London). - Aus dem Englischen übersetzt von Frank T. Zumbach.

Datum: 21.11.2002

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