Die alten Bibelübersetzungen

Neben der Übersetzung ins Latein (Vulgata) gab es auch bald Übersetzungen in das Syrische. Wann diese syrische Übersetzung des Alten Testaments (die Peschitta) ent­standen ist, ist nicht bekannt. Diese Handschrift mit 2. Mose 6,2-12 stammt aus dem Jahre 464 n. Chr. und befindet sich im Britischen Museum in London.

Selbstverständlich geriet bei der Ausbreitung des Christentums die Bibel auch unter Menschen, die kaum oder gar kein Griechisch verstanden. Deshalb entstanden schon in den frühen Jahrhunderten der Kirchengeschichte übersetzungen der Bibel in andere Sprachen der Antike. Eine dieser Sprachen war Syrisch, also die aramäische Sprache, die von vielen der ersten Christen gesprochen wurde. Aus den verschiedenen altsyrischen Versionen der Bibel kristallisierte sich eine Standardversion heraus, die als Peschitta (d.h. "einfach") bekannt wurde. Hinsichtlich des Neuen Testaments war diese Version wahrscheinlich eine Revision alt-syrischer übersetzungen, ausgeführt von Bischof Rabbula von Edessa am Anfang des 5. Jahrhunderts. Das Alte Testament der Peschitta basiert auf einer Übersetzung aus dem Hebräischen, die schon in den ersten Jahrhunderten unter dem Einfluss der Septuaginta zustande kam. Andere antike Übersetzungen waren die.Koptische (altägyptisch); diese entstand gleich in zwei verschiedenen Dialekten (dem Sahidisch Oberägyptens und dem Bohairisch Niederägyptens) und wurde die Standardversion der koptischen Kirche. Weiter entstanden in den ersten Jahrhunderten Übersetzungen in Äthiopisch, Arabisch, Armenisch, Georgisch u.a.

Für die Geschichte der Bibel in Europa sind vor allem die lateinischen Übersetzungen bedeutsam. Schon im vierten Jahrhundert kannte man verschiedene "altlateinische" Übersetzungen, die aber ziemlich voneinander abwichen und darum den Leser nicht befriedigten. Im Jahre 382 n. Chr. wurde der Gelehrte Hieronymus von dem römischen Bischof Damasus beauftragt, eine Revision der lateinischen Bibel anzufertigen; genau wie Rabbula, der etwa zur gleichen Zeit die syrische Ausgabe neu überarbeitete. Hieronymus erledigte seine Aufgabe sehr gewissenhaft. Er wurde in Bethlehem sesshaft und studierte alle alten Handschriften des hebräischen Alten und des griechischen Neuen Testaments, die er in die Hände bekommen konnte. Nach etwa zwanzig Jahren Arbeit (386-405 n. Chr.) beendete er seine lateinische Übersetzung, die den Namen Vulgata bekam, das heisst "einfach" (sein Latein war das des "normalen Volkes"; vgl. auch den Namen Peschitta). Obwohl man diese brillante Arbeit des Hieronymus nicht sofort begeistert aufnahm, entwickelte sie sich doch allmählich zur lateinischen Standardversion und wurde schliesslich die offizielle Bibel der römisch-katholischen Kirche - bis auf den heutigen Tag. Die Bedeutung dieser Übersetzung zeigt sich auch darin, dass viele alte europäische Bibelübersetzungen sich nicht auf den Urtext stützten, sondern auf die Vulgata.

Im selben Jahrhundert, in dem die Vulgata beendet wurde, begann das Römische Reich langsam zu zerfallen. Germanische Stämme aus dem Norden, wie Vandalen und Goten, marschierten in das Kaiserreich ein und richteten grosse Verwüstungen an - einen wahren "Vandalismus". Auch die christliche Kirche hatte unter diesen Raubzügen zu leiden. Aber in einsamen Klöstern führten tapfere Mönche ihre Schreibarbeiten fort. Ihre Handschriften sind oft wahre Juwelen der Schreib- und Dekorationskunst. In dieser dunklen Zeit war diese eifrige "Mönchsarbeit" von grosser Bedeutung für die Erhaltung der Bibel; denn bei den Einfällen der Germanen wurden viele Handschriften beschädigt oder gingen verloren.

Eine Methode, dieser Vernichtung entgegenzuwirken, war das eifrige Abschreiben, aber manche tapferen Christen begriffen bald, dass es noch eine zweite "Methode" gab: die Verkündigung des Evangeliums unter diesen Volksstämmen! Einer dieser klugen Missionare, der uns besonders interessiert, war Wulfila (oder Ulfilas), der "Apostel der Goten",; er begriff, dass diese rauhen Scharen nur mit dem Evangelium erreicht werden konnten, wenn man ihnen die Bibel in ihre eigene Sprache übersetzte. Und so entstand durch ihn schon im vierten Jahrhundert die erste Bibelübersetzung in eine germanische Sprache! Andere mutige Missionare verkündigten das Evangelium weiteren Volksstämmen. Die Folge war, dass die christliche Kirche nicht nur diese Invasion überlebte, sondern äusserlich sogar stärker wurde als je zuvor, weil die Germanen Christen wurden. Wir sagen "äusserlich", weil es natürlich eine Frage bleibt, für wie viele von ihnen der christliche Glaube wirklich eine Herzens- und Gewissenssache war und eine innerliche Lebensänderung zustande brachte.

Trotz der frühen Entstehung der gotischen Übersetzung durch Wulfila darf man aber nicht annehmen, dass die Bibel in den folgenden Jahrhunderten nun in allerlei europäische Sprachen und Dialekte übersetzt wurde. Latein war die Umgangssprache in der römisch-katholischen Kirche, und das Studium der Bibel war nur kirchlichen Führern vorbehalten. Sogar gegen Ende des 13. Jahrhunderts waren Teile der Bibel erst in sieben europäische Sprachen übersetzt. Die Kirche begnügte sich damit, die Botschaft der Bibel dem Volk vornehmlich in lateinischen Predigten oder in Form von Bildern weiterzugeben. Malereien an Kirchenmauern, Holzschnitzarbeiten, Statuen (Heiligenfiguren), Fensterglasmalerei und auch dramatische Berichte von "Wundertaten Heiliger" sowie "Mirakelspiele", die in Kirchen und auf Kirch- und Marktplätzen aufgeführt wurden, waren die einzige "biblische Information" für das "gewöhnliche Volk". Dieses aber wollte die Botschaft der Bibel in seiner eigenen Sprache hören ...

Datum: 31.10.2005
Autor: Willem J. Glashouwer
Quelle: Die Geschichte der Bibel

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