Spätere Bibelübersetzungen

Die erste vollständige Übersetzung in Englisch wurde von John Wycliff zusammen mit John Purvey und Nicholas de Hereford gemacht und wurde im Jahre 1388 fer­tiggestellt. Der Widerstand gegen die Bibelübersetzung war so gross, dass Wycliffs Leichnam später ausgegraben wurde, zu Asche verbrannt und in den Fluss gestreut wurde. Die »Wyciff Bibelübersetzer« haben sich nach diesem mutigen Mann ge­nannt. Diese Originalbibel aus dem Jahre 1410 ist das einzige bestehende Exemplar.

Die Versuche im Mittelalter, Teile der Bibel in der jeweiligen Landessprache im Volk zu verbreiten, stiessen von Seiten der Bischöfe und Kardinäle auf grossen Widerstand: sie befürchteten, dass das Volk die Bibel nicht nach dem offiziellen Verständnis auffassen und auslegen würde. Im Jahre 1199 wurden in Lyon (Frankreich) einige Menschen verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt, weil sie Teile der Bibel in der französischen Sprache unter das Volk gebracht hatten. Diese Märtyrer gehörten zu den Waldensern, einer Art evangelischer Bewegung, die wahrscheinlich im elften Jahrhundert entstanden ist.

In England stammten die ältesten übersetzten Bibelteile schon aus dem achten Jahrhundert, aber es dauerte noch bis zum 14. Jahrhundert, bis die Bibel als Ganzes ins Englische übersetzt wurde. Diese Arbeit wurde von dem britischen Gelehrten und Priester John Wycliff ausgeführt. Er arbeitete zusammen mit John Purvey und Nicholas von Hereford und beendete sein Werk 1388. Unter grosser Geheimhaltung (aus Furcht vor kirchlichen Behörden) wurde diese handgeschriebene englische Bibel viele Male kopiert. Die fertigen Kopien gab Wycliff seinen Nachfolgern ("Lollarden" genannt) mit, die als Laienprediger ausgesandt wurden, um in den Dörfern und Städten aus diesen Bibeln vorzulesen und zu unterweisen. Oft wurden diese mutigen Männer gefangengenommen und bestraft, manche sogar auf dem Scheiterhaufen verbrannt. WycIiff selber starb, bevor die Verfolgung ausbrach, aber sein Leichnam wurde ausgegraben und verbrannt und die Asche in einen Fluss gestreut. Es gab aber drei grosse Ereignisse, die keine Verfolgung aufhalten konnte. Das erste grosse Ereignis war die Erfindung der Buchdruckerkunst in der Mitte des 15. Jahrhunderts durch Johann Gutenberg. Und siehe da: Das erste Buch, das aus der Druckerpresse kam, war die Bibel! Im Jahre 1452 - 1455 druckte Gutenberg nämlich die Vulgata, teils auf Pergament (ca. 30 Stück), teils auf Papier (ca. 120 Stück). Die zwei Teile dieser weltberühmten "Gutenberg-Bibel" zählen zusammen 1282 Seiten. Die Initialen und Schmuckränder in dieser Bibel wurden noch von Hand gemalt; ferner gebrauchte Gutenberg für jeden Buchstaben verschiedene Typen. Er wollte durch diese Variation seiner gedruckten Bibel so gut wie möglich das Aussehen einer Handschrift verleihen! Es gibt noch etwa fünfzig Exemplare dieser "Gutenberg-Bibel", und jedes davon ist viele hunderttausend Mark wert (siehe Kap. 1). Die epochemachende Erfindung der Buchdruckerkunst verbreitete sich schnell, und innerhalb von fünfzig Jahren waren schon Teile der Bibel in sechs Sprachen gedruckt.

Das zweite Ereignis war die neue Kenntnis der griechischen Sprache und das damit verbundene Interesse. Fast alle europäischen Übersetzungen waren bisher auf die Vulgata gegründet, aber jetzt gelangten viele alte Handschriften der christlichen Kirchen des Ostens nach Europa und wurden hier eifrig studiert. Als erster publizierte der holländische Gelehrte Desiderius Erasmus von Rotterdam eine gedruckte Ausgabe des griechischen Neuen Testaments. Er verglich eine bestimmte Anzahl Handschriften, und im Jahre 1516 gab er in Basel einen griechischen Text heraus, zusammen mit einer parallel laufenden lateinischen Übersetzung. Eigentlich war es eine in Eile gemachte Arbeit. Die Ausgabe war voller Fehler und musste mehrmals revidiert und neu herausgegeben werden - denn Erasmus wollte seine Arbeit vor dem spanischen Kardinal Ximenes, Erzbischof von Toledo, beenden. Eigentlich hatte Ximenes dieses Rennen schon gewonnen, denn er hatte seine Arbeit bereits im Jahre I502 angefangen, und sein griechisches Neues Testament war 1514 schon gedruckt. Er hielt diese Ausgabe aber zurück, weil er sie mit einer Ausgabe des hebräischen Alten Testaments zusammenfügen wollte. Diese wurde 1517 fertig (mit Hilfe jüdischer Christen), aber es dauerte (möglicherweise durch kirchliche Bürokratie) noch weitere 5 Jahre bis diese "Complutensische Polyglotte" erschien. (Complutensisch kommt von Complutum, lateinischer Name der Stadt Alcala, wo die Arbeit durchgeführt wurde; "Polyglotte" bedeutet: ein mehrsprachiges Werk.)

Jetzt entstanden eine ganze Reihe Ausgaben des griechischen Neuen Testaments, aber alle basierten auf dem mangelhaften, inzwischen jedoch stark korrigierten Werk von Erasmus. Die bedeutungsvollste Ausgabe war die des Pariser Druckers Etienne (oder Stephanus) im Jahre 1550. Sie wurde drei Jahrhunderte lang immer wieder neu aufgelegt und galt als Standardtext des griechischen Neuen Testaments, der als Basis dienen sollte für viele weitere Bibelübersetzungen.

Datum: 28.10.2005
Autor: Willem J. Glashouwer
Quelle: Die Geschichte der Bibel

Verwandte News
Werbung
Werbung
Livenet Service