Verstossen

Selbstmord schien der letzte Ausweg zu sein...

Selbstmord
Selbstmord

Ihre Worte trafen mich mitten ins Herz: "Eine Krankenschwester muss einfach auf ihre Patienten eingehen können. Wie soll sich denn ein Kranker oder Sterbender getröstet fühlen, wenn Sie so schnell die Fassung verlieren? Wenn nicht ein Wunder geschieht, werden Sie in wenigen Wochen die Schule verlassen müssen."

Meine Augen taten mir weh, als ich meine Tränen zurückhalten wollte. Meine Lehrmeister hatten ja Recht – sobald ich unter Menschen war, hatte ich keinerlei Selbstvertrauen mehr. Niemand ahnte, wieviel Mühe ich mir doch gab! Nichts wünschte ich mir sehnlicher als eine gute Krankenschwester zu sein. Aber irgendwie schaffte ich es einfach nicht. Ich hatte einen Neuanfang machen wollen und stand jetzt da als Versagerin.

Meine Kindheit verlief noch ziemlich normal, aber nach meinen Teenager-Jahren fühlte ich mich zutiefst gedemütigt, verwirrt und minderwertig. Ich hatte keinerlei Selbstwertgefühl mehr. In der siebten Klasse hatte ich die Schule gewechselt und war sehr gespannt auf das Neue – bis zu jenem Tag im Januar.

Verstossen

Auf dem Weg zu meinem Schrankfach traf ich einige Klassenkameradinnen– die mich verprügelten.

Diese Gemeinheit meiner "Schulkolleginnen" hätte mir gar nicht soviel ausgemacht, wenn der Spuk nur schnell vorbei gewesen wäre. Aber das Ganze eskalierte. Man nannte mich die "Fledermaus vom Lande", und jeder ging mir aus dem Weg, sobald ich auftauchte. Nach und nach machten auch Kinder aus anderen Klassen mit. Ich wurde im Gang herumgeschubst, auf den Kopf geschlagen und die ganze Schulstunde über mit Spuckbällchen bombardiert.
Nach dem Abschluss zog ich so schnell wie möglich ganz weit weg von daheim. Ich wollte mir einen neuen Namen als geachtete Krankenschwester machen.

Versagen

Aber diese Worte meiner Lehrmeisterin brachten meine tiefen Narben von dieser jahrelangen Zurückweisung an den Tag. Ich hatte ja keine Ahnung von Freundschaft oder sinnvollen Gesprächen, und so konnte ich auch weder meine Patienten trösten noch auf meine Kollegen zugehen. Ich platzte mit meinen Fragen und Kommentaren einfach heraus und überlegte gar nicht, wie sie auf andere wirken könnten. Das brachte mich in viele heikle Situationen. Meinen Eltern war es unverständlich, wie ich in den theoretischen Fächern so gut abschneiden und dennoch eine so schlechte Krankenschwester sein konnte.
Ich hatte niemanden, an den ich mich in meiner Not hätte wenden können, und mein Abgang von der Schwesternschule hätte meiner Familie Schande bereitet. Das einzige, was mir übrigblieb, war also Selbstmord – falls nicht doch noch jenes Wunder geschähe.

Verabreden

Am nächsten Tag war die Krankenhaus-Cafeteria ungewöhnlich voll. Alle Tische waren besetzt, und so fragte mich eine junge Frau Ende Zwanzig, ob sie sich nicht zu mir setzen könne. Beim Essen erzählte sie von einem Single-Treff, den sie gerade organisierte und der mich vielleicht interessieren könnte. Ich war viel zu deprimiert, als dass ich noch mehr Leute hätte treffen wollen. Aber ich wollte nicht unhöflich sein und liess mir ihre Nummer geben.

An jenem Abend konnte ich mich nicht auf meinen Lernstoff konzentrieren. Wozu auch all die Zeit und Kraft verschwenden, wenn ich sowieso von der Schule fliegen würde? Am Ende bräuchte ich ja wirklich jemanden zum Anlehnen; einen Freund vielleicht? Ich rief die junge Frau an.
Es war ein Freitagabend. Sie holte sie mich ab und fuhr mich zu diesem Treffen. Aber mir wurde dort ganz schnell unwohl. Ich als Atheistin war in einer Kirche gelandet und befürchtete nun, in irgendwelche religiösen Dinge hineingezogen zu werden. Dieser Single-Treff war nämlich, wie mir bald klar wurde, eine Bibelgruppe für Alleinstehende. Ich war ausser mir. Im Lauf des Abends jedoch kamen viele Leute auf mich zu und suchten wirklich ein Gespräch mit mir. Mein Ärger kühlte sich wieder ab, und in mir regte sich doch tatsächlich das merkwürdige Gefühl, akzeptiert zu werden.

Verwundert

In der Woche darauf überlegte ich, ob ich wieder zu dem Single-Treff gehen sollte oder nicht. Denn an Religion war ich eigentlich gar nicht interessiert. Dann rief eine dieser jungen Frauen bei mir an – einfach so. Nennt sich so etwas "Freunde haben"? Ich war gespannt.
Beim zweiten Treffen sprach jemand anderes. Er las aus der Bibel vor, und irgendwie machten seine Worte sogar Sinn. Bis dahin war mir die Bibel immer nur ein einziges mysteriöses Durcheinander, viel zu archaisch als dass man sie ernst nehmen müsste. Aber an diesem Abend bekamen sie für mich so etwas wie Leben. Das brachte mich durcheinander. Nicht nur, dass die Bibel mit einem Mal in mein eigenes Leben hineinsprach. Ich fühlte mich sogar direkt angenommen!
Am nächsten Abend, einem Samstag, war ich allein in meinem Zimmer. Ich versuchte zu schlafen, aber die Angst vor den nächsten Wochen überwältigte mich. Ich hatte doch alles unternommen, um endlich mehr Selbstvertrauen und Takt zu gewinnen. Aber je mehr ich es versuchte, desto schlimmer versagte ich. Meine Gedanken kreisten nur noch darum, wie und wo ich sterben würde. Aber dann kam mir der Abend zuvor wieder in den Sinn. Zum ersten Mal, seit ich mich entsinnen konnte, hatte ich das Gefühl, ich werde bedingungslos angenommen. Diese Leute waren anders als alle Menschen, die ich je kennengelernt hatte. Warum nur? Sollte ich all die Jahre danebengelegen haben, und es gab tatsächlich einen Gott?

Vertraut

Eines jedenfalls war mir klar: So, wie ich selber mein Leben anging, würde ich es bald zerstört haben. Ich schrie: "O Gott, ich weiss ja nicht einmal, ob es dich gibt. Aber falls doch, dann hör mir jetzt bitte zu. Übernimm Du mein Leben. Ich kann nichts richtig machen. Leite mich so, wie Du es für richtig hältst. Ich übergebe Dir mein Leben." Da spürte ich zum allerersten Mal ganz umgeben von Frieden und Sicherheit; wie wenn man eine warme Decke um ein hilfloses Neugeborenes schlägt.
In den nächsten Tagen und Wochen fing ich an, in der Bibel zu lesen. Beim Leben von Jesus musste ich weinen. All die Jahre hindurch hatte ich nichts als Ablehnung und Versagen erlebt – und doch stand er nun da mit weit geöffeten Armen. Ich sollte sein Kind werden, das er nun liebevoll und sorgsam durchs Leben führt. Ich entdeckte, dass mich nichts von Gottes Liebe trennen konnte, kein Mensch, keine Situation, kein Versagen, keine Sünde. Er liebte mich bedingungslos, mich, eine Meisterin der Ablehnung! Der Schöpfer der ganzen Welt interessierte sich für genau dieses Wesen und liebte es!

Verbunden

Ich übergab Jesus die Herrschaft über mein Leben und liess ihn entscheiden, ob ich von der Schule fliegen würde oder nicht. Ich war ja jetzt in seiner Fürsorge, und die machte mir auch seine grosse Liebe für andere bewusst. Jetzt stand mir nicht länger die Sorge um jede kleine Bewegung im Krankenhaus im Vordergrund, sondern die Frage, wie ich den Menschen um mich herum helfen könnte.

Meine Lehrmeisterinnen merkten natürlich, dass ich mich jetzt völlig anders verhielt. Plötzlich bedeuteten mir die Menschen um mich herum wirklich etwas, ich wollte für die Patienten ein Gewinn sein – nicht um selber anerkannt zu werden, sondern um sie zu stärken und zu trösten. Ich bestand dieses Semester und machte schliesslich meinen Abschluss mit Bravour.

Seit 17 Jahren bin ich Krankenschwester. Ich habe an verschiedenen Stellen gearbeitet und dabei mehr oder weniger schwierige Situationen erlebt. Eines jedoch kann ich mit Gewissheit sagen: Gott hat meine Hand nie losgelassen. Über alles hat er die Kontrolle, und alles wird zum Guten zusammenwirken. Das hat er versprochen, und das ist mir Frieden und Trost geworden in den beschwerlichsten Augenblicken und hat mich zu einer mitfühlenden Krankenschwester gemacht statt zu einem fahrigen Nervenbündel.

Jesus spricht, "Kommt her zu mir, alle die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken." Ich habe am eigenen Leib und an der eigenen Seele erfahren, dass dieses Wort wahr ist.

Autorin: Jeannette Inman, R.N.

Datum: 05.05.2004
Quelle: Woman Today

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