Ulrich Probst

Was macht eigentlich ein Bibelübersetzer?

Dass seine Arbeit einmal etwas mit Gott, mit Menschen und mit der Sprache zu tun haben würde, war Ulrich Probst schon früh klar. Heute beschäftigt sich der Theologe mit der Übersetzung des Alten Testaments der Neuen Genfer Übersetzung NGÜ.
Ulrich Probst (Bild: Hauke Burgarth)
So sieht die Übersetzungsarbeit aus.

Ulrich Probst (53) begrüsst mich mit seinem breiten Lächeln zu unserem Gespräch. Sein Büro sieht eher nach einem Musiker aus (da stehen zwei E-Pianos) als nach Luthers Turmstube auf der Wartburg. Dazu erklärt er mir direkt, dass Luther entgegen dem Klischee ein ganzes Team an Helfern, Vorlesern und Sekretären zur Verfügung hatte – nur so konnte er das Neue Testament in wenigen Wochen übersetzen: «Wir sind nur zu zweit und veranschlagen die Zeit bis 2031, um mit unserer Übersetzung fertig zu werden.»

Ein Schwabe unterwegs in der Welt

Nach dem Abitur zieht es den gebürtigen Schwaben erst einmal in die Welt. Ein Jahr lang ist er in Israel, danach studiert er vier Jahre lang Theologie in Giessen. Weil ein Auslandssemester nicht zustande kommt, belegt Ulrich Probst mehrere Kurse für angewandte Linguistik und Bibelübersetzung beim Missionswerk Wycliff. Davon profitiert er so viel, dass er dem Werk nach dem Studium gern etwas zurückgeben möchte. So geht er erst einmal für zwei Jahre nach Zentralafrika, einem der ärmsten Länder der Welt. Seine Aufgabe ist ein sogenannter Sprach-Survey. Monatelang ist er im Land unterwegs und fragt nach: Wo könnte eine neue Bibelübersetzung sinnvoll sein? Wie viele Menschen sprechen diese Sprache? Wie aktiv ist die Sprachgemeinschaft? Im Rückblick ist er immer noch begeistert. «Ich habe diese Arbeit geliebt. Sie war toll, toll, toll.»

Und die Menschen?

Ulrich Probst kehrt nach Deutschland zurück. Nach seiner Hochzeit geht er zunächst noch einmal für zwei Jahre nach Afrika. Eigentlich will er bei Wycliff in den Bereich «Scripture in Use» einsteigen (Die Anwendung der Schrift). Dabei geht es darum, dass die Bibel nicht nur übersetzt, sondern auch als kulturell relevant gelesen wird. Doch als er mit seiner Frau vor Ort ankommt, ist die Infrastruktur von Wycliff in der Zentralafrikanischen Republik zusammengebrochen. Der jahrelange Bürgerkrieg kostete die Bibelübersetzer ihre funktionierende Verwaltung. Probst springt ein und hilft mit, die Administration neu aufzustellen. Das funktioniert so gut, dass die Partnerorganisation vor Ort einen von ihm ausgebildeten Mann direkt für sich beansprucht. Also baut Ulrich Probst einen weiteren Mitarbeiter auf, der die Arbeit in Afrika für viele Jahre weiterführen wird. Was sich damals nicht besonders anfühlt, ist im Rückblick ein Geschenk Gottes: fruchtbare Arbeit über einen langen Zeitraum hinweg.

Zurück in Deutschland arbeitet er 15 Jahre lang als Pastor in verschiedenen Gemeinden. Doch bei aller Begeisterung für diese Arbeit bleibt die Frage für ihn offen: «Was ist mit den Menschen, die Jesus nicht kennen? Ich arbeite doch fast nur mit Christen?»

Neuanfang

2014 wird Ulrich Probst klar, dass etwas Neues dran ist. Er beginnt, neben seiner Arbeit als Pastor ehrenamtlich Bibelgruppen und Hauskirchen zu gründen. Schliesslich kündigt er seine Pastorenstelle. Kurze Zeit später erreicht ihn ein Anruf des Brunnen-Verlags in Giessen: «Wir steigen als Verlag bei der NGÜ ein und brauchen noch jemanden, der dabei für uns als Übersetzer mitarbeitet. Wir haben an dich gedacht.» Das akademische Arbeiten am Alten Testament war seit Studienzeiten seine Passion – so sagt er zu. Zusammen mit Christa Just übersetzt er seitdem das Alte Testament der Neuen Genfer Übersetzung.

Eine weitere Bibelübersetzung?

Ungefähr 130 Millionen Menschen sprechen Deutsch. Für sie gibt es bereits Dutzende von Übersetzungen. Warum sollte da eine weitere Übersetzung nötig sein?

Ulrich Probst lacht. «Das ist eine gute Frage.» Er erklärt, dass es zwei unterschiedliche Ansätze beim Übersetzen der Bibel gibt. Da gibt es einmal den klassischen Ansatz: So wörtlich wie möglich, so frei wie nötig. Von der Luther- bis zur Elberfelder-Bibel folgen viele Übersetzungen diesem Leitsatz. Sie sind damit sehr wortgetreu, leider aber manchmal unverständlich. Und es gibt den dynamischen Ansatz: Die Aussage des Textes wird in natürlichen Worten, Satzkonstruktionen und Abschnitten in der Zielsprache wiedergegeben. Leider gehen dabei manche Details des ursprünglichen Textes verloren.

Andreas Symank hatte als «Gründer» der NGÜ einen Text im Blick, der gleichzeitig wortgetreu und verständlich war. 25 Jahre lang kämpfte er darum, diese beiden Übersetzungsschwerpunkte möglichst optimal zu vereinen. In dieser Zeit verfasste er das Neue Testament in der Neuen Genfer Übersetzung NGÜ.

Allerdings war schon bald klar, dass nur eine «volle» Bibel dem Anspruch der Leserinnen und Leser gerecht werden könnte. Deshalb begann die Arbeit am Alten Testament.

Wie arbeitet ein Bibelübersetzer heute?

Eine Bibelübersetzung ist immer ein Generationenwerk. Wenn sich die Arbeit daran über Jahrzehnte hinzieht, verbietet sich trendige Sprache von selbst. Trotzdem soll sie für heute und morgen verständlich sein.

Ulrich Probst demonstriert, wie diese Übersetzungsarbeit konkret geschieht. Sein Computerprogramm zeigt auf der einen Seite den hebräischen Grundtext. Den übersetzt er erst einmal Wort für Wort, konsultiert Lexika und studiert die wichtigsten Kommentare. Danach schaut er, wie der Vers oder Abschnitt heute klingen müsste, und fängt an, ihn Stück für Stück zu bearbeiten. Wenn das Ganze einigermassen rund ist, vergleicht er sein Ergebnis mit den verschiedenen deutschen und englischen Übersetzungen in seinem Programm. Liefern sie noch wichtige Ergänzungen?

Schliesslich speichert er den Text ab und gibt ihn seiner Mit-Übersetzerin zum Revidieren. «Christa und ich arbeiten im Team», erklärt Ulrich Probst. «Einer übersetzt, der andere schaut kritisch darüber, ob das Ganze so in Ordnung ist. Dann diskutieren wir und ringen gemeinsam um die besten Formulierungen.» Wer übersetzt und wer revidiert, wird für jedes biblische Buch neu festgelegt. Erst wenn der Text für beide passt, wird er weitergegeben. Dann landet er bei Manfred Dreytza vom Studienzentrum Krelingen und bei Rolf Schäfer, dem Herausgeber der «Biblia Hebraica». In einer Redaktionskonferenz wird – zur Not Vers für Vers – geklärt, was stimmig ist und was noch einmal überarbeitet werden sollte.

NGÜ konkret

Was Andreas Symank ab 1976 mit der Revision der Schlachter-Bibel begann, mündete schliesslich in eine völlig neue Übersetzung, die NGÜ. 2009 erschien das komplette Neue Testament. Seitdem erscheinen Stück für Stück einzelne Teile des Alten Testaments. «Diese jahrelange Arbeit lohnt sich für die beteiligten Verlage nicht», stellt Ulrich Probst klar. «Ohne unterstützende Spenden ist sie nicht möglich.» Doch für alle, die sich für die zeitgemässe und gleichzeitig wortgetreue alttestamentliche Erweiterung der Bibelübersetzung interessieren, gibt es schon jetzt Zwischenversionen zu erwerben. 2019 erschienen die Bücher Genesis und Exodus, 2021 Levitikus bis Deuteronomium, und für 2023 sind Josua, Richter, Rut sowie 1. und 2. Samuel geplant.

Bibel praktisch

Im Blick auf seine Übersetzerarbeit meint Ulrich Probst einfach: «Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal solch einen nachhaltigen Beitrag zum christlichen Leben in Deutschland leisten würde.» Und er ergänzt: «Mir liegt es wahnsinnig am Herzen, dass die Bibel gelesen wir. Da ist es mir erst einmal egal, ob es die NGÜ ist oder sonst eine Übersetzung. Andreas Symank hat einmal gesagt: 'Bibelübersetzungen sind wie Uhren. Keine geht hundertprozentig genau, aber alle reichen aus, um die Zeit abzulesen.' Recht hat er! Ich engagiere mich gern dafür, die vorhandenen Bibelübersetzungen durch eine bessere zu ergänzen, aber noch wichtiger ist es, dass die Bibel tatsächlich gelesen wird. Und am allerbesten, wenn wir das Gelesene auch noch tun. Dann kommt richtig Bewegung in die Welt.»

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Datum: 27.12.2021
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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