Vom Bewunderer zum Bekenner

Der Bestatter

Lange war er heimlich von ihm begeistert gewesen. Es brauchte eine grosse Krise, bis er es wagte, zu ihm zu stehen.
Gemälde «Deposition» von Rogier van der Weyden, mit Jesu Leichnam und Joseph von Arimathäa

Joseph war eine echt interessante Gestalt. Reich, aus alter Familie, war er Teil der politischen Führung des Landes. Mitten unter korrupten Politikern und selbstgefälligen Windfahnen hatte er sein Leben lang versucht, sich selbst treu zu sein und eine gerade Linie zu fahren. Er war älter geworden und abgeklärter.

Und nun, vor allem im letzten Jahr, machte ein junger Rabbi von sich reden, der mit ein paar Männern und Frauen durchs Land zog und so anders war als alle anderen. Joseph konnte es sich nicht erklären: von diesem Jesus von Nazareth ging eine unerklärliche Faszination aus. Er zog ihn an.

Einer gegen alle

Eines Tages wurde Jesus im Hohen Rat verhandelt. Die meisten seiner Kollegen waren der Meinung, dass dieser junge Volksheld, dem alle Herzen zuzufliegen schienen, gefährlich sei. Die Besatzer sahen es gar nicht gern, wenn sich revolutionäre Kräfte im Land regten.

Joseph hatte sich zu Wort gemeldet und einen anderen Standpunkt vertreten. Wenn jemand nichts Böses getan hat, darf man ihn auch nicht bestrafen, sagte er – egal, wie unbequem er ist. Aber er war überstimmt worden – nicht nur von den politischen Hitzköpfen, sondern auch von denen, die lieber ihren Frieden hatten – und auch von denen, die nichts sagten und damit zur schweigenden Mehrheit wurden.

Eine turbulente Woche

Und nun die letzte Woche – eine Woche, wie er sie noch nie erlebt hatte. Die Ereignisse hatten sich überschlagen, Jesus war festgenommen, gefoltert und verhört worden. Wie viele heimliche Bewunderer, hatte auch Joseph gehofft, dass dieser Mann, der Kranke heilen und – nach zuverlässigen Berichten – sogar Tote auferwecken konnte, zum grossen Befreiungsschlag ausholen und sich durch irgendein Wunder befreien würde.

Aber nichts geschah. Jesus schwieg. Zuerst war Joseph verwirrt, dann aber wurde etwas ganz tief in ihm wach und immer stärker. Hier war ein Mann, für den er sich einsetzen musste. Je stiller Jesus wurde, um so unruhiger wurde Joseph. Hier musste etwas geschehen. Warum schwieg er selbst? War es nicht feige, nur so privat an diesen Jesus zu glauben?

Von heimlich zu öffentlich

Als sie ihn ans Kreuz schlugen, fühlte Joseph, als wenn die Nägel ihn selbst durchbohrten. Etwas in ihm zerbrach. Joseph stand auf und tat etwas, was er in seinem ganzen Leben noch kaum getan hatte: er begab sich in Gefahr. Er meldete sich beim römischen Statthalter Pontius Pilatus an. «Gib mir bitte den Leib dieses Jesus. Ich möchte ihn anständig begraben», bat er ihn. Und er bekam ihn. Eigentlich war Pilatus froh, denn er hätte nicht gewusst, was er mit diesem Leichnam anfangen sollte.

Joseph war reich. Und wie viele aus der Oberschicht hatte er bereits sein eigenes Grab gekauft und vorbereitet, in einer Felsenhöhle nahe der Stadt. Er nahm den zerschlagenen und blutigen Leichnam des Jesus von Nazareth, wickelte ihn in Tücher und legte ihn in sein eigenes Grab. So wurde Joseph von Arimathäa zum Bestatter Jesu. Der Tod dieses Mannes am Kreuz machte ihn zum öffentlichen Bekenner.

Das Ende, das zum Anfang wird

Joseph hat es geahnt, wir heute können es erleben: dieser Tod am Kreuz, diese scheinbare Niederlage des Jesus von Nazareth ist eigentlich sein grösster Sieg. Wenn ein Unschuldiger stirbt, wenn Gott das mit seinem Sohn machen lässt, dann läuft das Böse an Jesus ins Leere. Dieses geheimnisvolle Schweigen und letzte Ertragen – menschlich sieht es wie das Ende aus, bei Gott ist es der Anfang einer ganz neuen Geschichte. Seitdem gilt: wer Gott wirklich kennenlernen will, geht zum Kreuz. Von diesem Tod geht verändernde Kraft aus – Joseph der Bestatter war einer der ersten, der das erlebte. Millionen sind bis heute gefolgt.

Datum: 19.04.2014
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Jesus.ch

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