So schnell wird Ruth Graham ihren Besuch in «Angola»,
dem «Louisiana State Penitentiary», nicht vergessen. Durch eine Begegnung mit
einem Mann lernte sie, was Vergebung bedeutet. Sie selbst führte einen langen
Kampf mit diesem Thema, der unter anderem durch drei Scheidungen führte.
Ruth Graham
Ruth
Graham, Tochter des Evangelisten Billy Graham, wird ihren Besuch in «Angola», dem «Louisiana State
Penitentiary», wohl nicht so schnell vergessen. Zusammen mit mehreren Beratern,
Pastoren und einer Psychologin war Ruth Graham eingeladen worden, das Gefängnis
zu besuchen. Gern nahm sie die Einladung an, «im Glauben, dass das
Evangelium von Jesus Christus einen grossen Unterschied im Leben der Insassen
machen könnte».
Während
des Besuchs wurde die Gruppe gebeten, sich mit mehreren Personen in der
Todeszelle zu treffen. «Ich war verängstigt. Gefangene zu besuchen ist eine
Sache, aber in die Todeszelle zu gehen eine andere. Aber ich konnte nicht 'nein'
sagen. Wir sahen einen langen Korridor von Zellen, und ich trat ein. Wir haben
uns getrennt, damit wir mit so vielen Männern wie möglich reden können.»
«Kann ich dir ein Lied singen?»
Graham
traf zuerst einen Mann namens Michael, einen charmanten 30-Jährigen mit braunen
Augen. «Er streckte mir die Hand entgegen, stellte sich vor und fragte: 'Kann ich
dir ein Lied singen?'»
Graham
stimmte zu und Michael begann mit einer Interpretation der klassischen Hymne
«It is Well with my Soul». «Und ich wusste, dass mit seiner Seele alles in
Ordnung war, mitten im Todestrakt. Dann gab er mir ein kleines, aus den Fäden seines Bettlakens gewebtes Kreuz. Ich habe es noch, es bedeutet mir sehr viel.»
Ein oberflächliches Verständnis von
Vergebung
Lokale
Nachrichtenagenturen berichteten von Grahams Besuch im Gefängnis, so dass es nicht
lange dauerte, bis sie eine E-Mail von einer Person erhielt, die speziell nach
Michael fragte. «Der Mann fragte mich: 'Weisst du bestimmt, ob Michael gläubig
ist?'. Ich bejahte und wollte wissen, warum er sich danach erkundigte. Er
antwortete: 'Weil Michael meinen Enkel auf brutale Weise ermordete.'»
Der
Mann, der einst Missionar in Nepal war, hatte in den Jahren nach dem Tod seines
Enkels für Michaels Erlösung gebetet. Er sagte, dass er kein Vergnügen an
Michaels bevorstehender Hinrichtung habe und hoffte, dass er vor seinem Tod die
Erlösung finden würde.
Ruth Graham: «Mir
wurde klar, wie oberflächlich mein Verständnis von Vergebung war. Vergebung ist
heilig.»
Gefühl der Verlassenheit
Billy Graham mit Tochter Ruth
Grahams
eigener Weg der Vergebung war alles andere als einfach. «Vergebung ist etwas,
mit dem ich die meiste Zeit meines Lebens zu kämpfen hatte.» Als Tochter eines
der renommiertesten Evangelisten der Welt, spürte Graham oft das
Gewicht des Dienstes ihres Vaters.
Sie
habe ihren Vater geliebt, «er ist mein Held». Gleichzeitig sei er viel gereist.
«Als kleines Mädchen wollte ich, dass ein Vater mich ins Bett bringt, mich zu
Spaziergängen in den Wäldern mitnimmt, aber er war nicht zu Hause.» So sei sie
mit einem Gefühl der Verlassenheit aufgewachsen. «Mein ganzes Leben lang suchte
ich nach Sicherheit, etwas, um diese Stelle zu füllen.»
Affäre: Am Boden zerstört
Auf
der Suche nach einer Lösung für diese Lücke heiratete Graham
ihren ersten Mann im Alter von nur 18 Jahren. Als sie entdeckte, dass ihr Mann
in eine lang andauernde Affäre verwickelt war, war sie am Boden zerstört und liess
sich bald darauf scheiden. Es folgten zwei weitere Ehen, die beide ebenfalls in
Scheidungen endeten.
«Ich
wusste nicht, warum ich immer wieder den gleichen Fehler machte; ich wusste
nicht, was mit mir los war. Ich sprach mit einem guten Freund, der sagte: 'Ruth,
du fühltest dich als kleines Mädchen verlassen.' Mir schossen Tränen in die Augen,
weil ich nicht wollte, dass es wahr ist. Ich liebte meinen Vater, aber es stimmte. Das Teil passte zu meinem Puzzle. Ich bekam ein gutes Bild davon, warum
ich so dringend Sicherheit brauchte. Die Wahrheit über meine Vergangenheit zu sagen,
war mein erster Schritt, um mir und meinem Vater zu vergeben.»
Jesus ist meine Sicherheit
«Mein
Vater und ich konnten nie darüber reden, denn als ich es herausfand, war er
nicht mehr fähig, Gespräche zu führen. Er hat in seinen Memoiren geschrieben, dass all die Reisen,
die er unternommen hat, Auswirkungen auf unser Leben gehabt haben müssen – und so
war es auch bei meinem Leben.»
Vergebung
sei ein lebenslanger Prozess. «Wenn wir uns dafür entscheiden zu vergeben,
kommen vielleicht sechs Monate später die Emotionen zurück und man denkt, dass
man vielleicht nicht wirklich vergeben hat. Aber Emotionen sagen nicht die
Wahrheit. Wir müssen auf dem Wort Gottes gegründet stehen.»
«Vergebung bedeutet, loszulassen»
«Vergebung
bedeutet, sich selbst ein Geschenk zu machen, es bedeutet, loszulassen, es ist eine
Möglichkeit, emotional gesund zu werden und noch so viel mehr», sagt
Ruth Graham heute. «Sie ist heilig. Als Jesus sagte: 'Vater, vergib ihnen', was
geschah dann? Er gab sein Leben für uns. Vergebung ist heiliger Boden.»
Ein
erster Schritt sei einfach, Gott um die Bereitschaft der Vergebung zu bitten,
«und dann die Entscheidung zu Vergeben zu treffen». Und sie rät dazu, das Datum aufzuschreiben,
«weil der Teufel kommen und sagen wird, dass du nicht vergeben hast, aber du
hast es. Dann erneuere deinen Geist durch die Bibel.»
Keine Bitterkeit und Scham mehr
Bitterkeit
und Scham können das persönliche und geistliche Wachstum behindern. «Scham ist
ein Werkzeug des Teufels; wir müssen keine Scham empfinden, wenn wir in
Christus sind. Gott ist nicht wütend auf uns. Er will unseren Geist mit der
Wahrheit der Bibel erneuern und zeigen, dass wir geliebt und kostbar sind.»
Der
Feind versuche, einen daran zu hindern, diese Wahrheit zu erkennen. «So müssen
wir unseren Geist mit der Bibel erneuern.» Zudem lädt sie dazu ein, die
verwandelnde Kraft des Evangeliums anzunehmen und wahre Freiheit in
Christus zu finden.