Thomas Buchers Ziel

Einen schlafenden Riesen wecken

Der Zürcher Thomas Bucher ist seit Oktober neuer Generalsekretär der Europäischen Evangelischen Allianz (EEA). Wir fragten ihn über seine Prioritäten, Ziele und Absichten.
Thomas Bucher

Livenet: Thomas Bucher, Sie haben die EEA bereits seit Januar 2013 interimistisch geleitet. Was hat Sie motiviert, sich definitiv für die Leitungsaufgabe zu entscheiden?
Thomas Bucher:
In meinem Leben bin ich immer wieder in Situationen geraten, wo es zuzupacken galt. Oft waren es Krisensituationen, wo Leitung gefragt war, um die Entwicklung einer Vision und Strategie und die dazugehörenden Prozesse und Strukturen vorwärtszubringen. Die EEA ist an einem solchen Punkt.

Nach zehn Jahren in der europäischen Leitung von OM («Operation Mobilisation») und dem Abschluss von einigen gewichtigen Projekten hatte ich seit einiger Zeit den Eindruck, dass meine OM-Aufgabe ein Ablaufdatum hatte. So war ich innerlich auf eine Veränderung eingestellt. Überrascht war ich, dass es diese EEA-Rolle sein sollte. Aber der Zeitpunkt war richtig.

Wie stellt sich die EEA heute dar? Wo liegen die Chancen?
Für mich ist die EEA ein «schlafender Riese». Es gibt in den nationalen Allianzen viele Initiativen, Ideen und grosse Kompetenzen. Vieles ist aber nicht über die nationalen Grenzen hinaus bekannt. Da liegt ein ungeheures Potential, das füreinander und damit auch für die Gemeinden in Europa zugänglich gemacht werden kann.

Wo ist aktuell besonders viel in Bewegung?
Bewegung, die auch öffentlich wahrgenommen wird, sehe ich im Netzwerk gegen den Menschenhandel und in der EEA-Arbeit in Brüssel, wo im Juni von den EU-Aussenministern neue Leitlinien zur Religionsfreiheit verabschiedet wurden, die der EEA-Delegierte wesentlich mitgestaltet hat.

Die grosse Chance sehe ich darin begründet, dass die Allianz von der Gemeindeebene zur nationalen und europäischen bis hin zur Weltebene durchgängig vertreten ist und auch wahrgenommen wird.

Was sind mittelfristig die grossen Herausforderungen für die EEA?
Matthias Spiess, Generalsekretär der Schweizerischen Evangelischen Allianz, hat das Bild des Parketts geprägt. Die EEA sehe ich ebenfalls als genau das und nicht als Dachorganisation. Zurzeit besteht meine Hauptaufgabe darin, dieses Parkett für das zu nutzen, wozu es wirklich geschaffen worden ist. Die verschiedenen Akteure sollen sich begegnen und einen regen Austausch von Ideen, Projekten und Initiativen pflegen. Es sollen auch gemeinsame Aktionen entstehen und gleichzeitig die europäische Ebene mit ihrem besonderen Beitrag wirkungsvoller werden. Dafür braucht es gut funktionierende Strukturen und Prozesse. Die sind jetzt am Entstehen.

Welche Dynamik haben die in den letzten Jahren neu aufgenommenen Länderallianzen in die EEA gebracht?
Da ist leider in den letzten vier Jahren wegen Vakanzen und personellen Veränderungen nicht sehr viel passiert. Für mich gilt es nun, vor allem die zentral- und osteuropäischen Allianzen so zu integrieren, dass sie ihre Besonderheiten mehr einbringen können und so die EEA bereichert wird.

Wohin möchten Sie die EEA führen?
Eine der Schlüssel-Bibelstellen für die EEA ist für mich Lukas Kapitel 4, Verse 17-21*. Diese Vision des Reiches Gottes ist zentral. Wenn Christen in Europa wieder im guten Sinne prägend sein wollen, dann geht das nur über einen ganzheitlichen Ansatz. Er muss alle Lebensbereiche berühren, und er muss glaubhaft zeigen, dass Gott ein Gott ist, der sich um die Bedürftigen kümmert. Das schliesst für mich selbstverständlich die geistliche Bedürftigkeit ein.

Dann möchte ich Leiter stärken, damit sie dieser Aufgabe gerecht werden können. Kleine nationale Allianzen sollen so unterstützt werden, damit sie die Bedürfnisse der Gemeinden und Organisationen in ihrem Land abdecken können. Und durch die Vernetzung auf europäischer Ebene sollen Synergien entstehen, die zusätzlichen Schub verleihen.

Hat die EEA nachhaltigen Einfluss innerhalb der EU? Hat sie in Brüssel eine Stimme?
Die EEA ist mit ihrer Stelle in Brüssel sehr gut positioniert, um auch auf europäischer Ebene Einfluss zu nehmen. Es geht dort aber nicht darum, Machtpositionen aufzubauen, sondern im Rahmen unserer Möglichkeiten die Stimme der allianznahen Christen zu aktuellen Themen einzubringen und Meinungsbildung und Gesetzgebung mitzugestalten.

Was sind denn wichtige Themen für die europäische Allianz?
Wichtige Themen für die christliche Gemeinde in Europa und damit für die Evangelische Allianz sind unter anderen Gemeindebau und -gründung unter besonderer Berücksichtigung der demografischen Entwicklung, neue Formen der Evangelisation, ein neues Selbstverständnis in einem immer säkulareren Umfeld (wie bringen wir uns ein?), Menschenhandel, Migranten inkl. der vielen Migrantengemeinden.

Was bringt uns die Zukunft?
Ich wäre nicht verwundert, wenn es in den nächsten Jahren einige Turbulenzen auf der wirtschaftlichen Ebene geben würde. Das wird einen Domino-Effekt im sozialen Bereich zur Folge haben. Damit werden sich vermehrt auch wieder klassische Felder der christlichen Nächstenliebe öffnen. Als Menschen, die von der Auferstehung von Jesus her leben, können wir jetzt und dann Zeichen der Hoffnung setzen und damit das Reich Gottes bauen.

Zur Person: Thomas Bucher

Der 57-jährige Zürcher ist am 9. Oktober in den Niederlanden zum neuen Generalsekretär der Europäischen Evangelischen Allianz (EEA) gewählt worden, Bucher hat die Allianz bereits seit Januar 2013 interimistisch geleitet. Von 2002 bis 2008 präsidierte er die Schweizerische Evangelische Allianz (SEA). «Seine festen christlichen Überzeugungen, seine hohen sozialen Fähigkeiten und die Bereitschaft zu einer breiten Zusammenarbeit» seien ausgezeichnete Voraussetzungen für die herausfordernde Tätigkeit des grossen evangelischen Dachverbands, schreibt die SEA. Die EEA vertritt nach eigenen Angaben rund 15 Millionen evangelische Christen in 35 Ländern.

*Die Bibel, Lukasevangelium, Kapitel 4, Verse 17-21: «Man reichte ihm die Schriftrolle des Propheten Jesaja, und als er sie aufrollte, fand er die Stelle, an der steht: 'Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn er hat mich gesalbt, um den Armen die gute Botschaft zu verkünden. Er hat mich gesandt, Gefangenen zu verkünden, dass sie freigelassen werden, Blinden, dass sie sehen werden, Unterdrückten, dass sie befreit werden und dass die Zeit der Gnade des Herrn gekommen ist.' Er rollte die Schriftrolle zusammen, gab sie dem Synagogendiener zurück und setzte sich. Alle in der Synagoge sahen ihn an. Und er sagte: 'Heute ist dieses Wort vor euren Augen und Ohren Wirklichkeit geworden!'»

Datum: 31.10.2013
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Idea / Livenet

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