Palliative Care

«Viele fragen, ob es ein Leben nach dem Tod gebe»

Pfarrerin Karin Tschanz leitet ein Projekt der Aargauer Landeskirche zur Entwicklung der Seelsorge sowie eines qualitativ hochstehenden freiwilligen Begleitdienstes im Bereich Palliative Care. Sie bietet im Dezember 2012 am TDS Aarau einen Weiterbildungskurs zum Thema «Schwerkranke und Sterbende unterstützen und begleiten» an. Das Interview.
Pfarrerin Karin Tschanz, Expertin für Palliative Care

Frau Dr. Tschanz, wie beschreiben Sie Palliative Care?
Karinn Tschanz:
Palliative Care ist die Begleitung von Menschen in der letzten Lebensphase sowie von chronisch kranken Menschen und von Menschen ohne Heilungschancen. Dabei soll nicht nur der Körper, sondern ebenso der innere Mensch im Mittelpunkt stehen. Die Betreuung soll professionell und kompetent, aber auch menschlich und respektvoll sein. Zur Palliative Care gehören fünf Aspekte: pflegerische und medizinische Behandlung sowie soziale, spirituelle und psychologische Unterstützung. Zum Netzwerk des palliativen Begleitdienstes gehören ausgebildete Fachpersonen aus den Bereichen Medizin, Pflege, Seelsorge und Beratung sowie Freiwillige, die mehr als die Hälfte ausmachen. «Umfassend» ist das entscheidende Attribut für unsere Arbeit.

Begleitet Palliative Care auch junge Kranke?
Wir begleiten auch Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit chronischen oder fortschreitenden Krankheiten. Es gibt Kinder, die mit solchen Krankheiten geboren werden, das ist dann eine besondere Herausforderung für uns. In diesen Fällen brauchen oft auch die Eltern und Angehörigen eine Begleitung, was wir innerhalb der Palliative Care selbstverständlich bieten. Auch hier heisst das Stichwort: «umfassend».

Wie sehen Sie die Verbindung zwischen Palliative Care und dem christlichen Glauben?
Zum einen ist es für die umfassende Betreuung wichtig, in allen fünf Aspekten – medizinisch, pflegerisch, sozial, spirituell und psychologisch – professionelle und kompetente Hilfe bieten zu können. Und so wie Mediziner/innen Profis in Gesundheitsfragen sind, hat die Kirche eine hohe Fachkompetenz im Bereich der psychosozialen und spirituellen Begleitung. Natürlich gibt es kirchenferne Menschen, die jahrelang keine Kirche besucht haben. Aber meistens wächst im letzten Lebensabschnitt der Wunsch, sich mit spirituellen Themen auseinanderzusetzen. Vor dem Tod beschäftigen Menschen Fragen von Schuld und Vergebung unabhängig davon, ob sie kirchenfern oder gläubig sind. Viele fragen auch, ob es ein Leben nach dem Tod gebe und wie Gott wohl sein könnte. Solche Fragen tauchen bei glaubenden wie bei kirchenfernen Menschen auf. Hier kann die Kirche durch Seelsorge und gute Begleitung helfen. Der christliche Glaube bietet in Jesus Christus Hoffnung, Vergebung und Befreiung an. Diese Glaubensinhalte werden zurückhaltend und respektvoll angeboten, wenn Sterbende oder ihre Angehörigen andeuten, dass sie sich über Glaubensfragen Gedanken machen oder von der Schuldfrage belastet sind. Einige Menschen sprechen übers Sterben, bei anderen verstehen wir eine Bibel oder einen Konfirmationsspruch beim Bett als Einladung, über den Glauben zu sprechen.

Wie formulieren Sie Ihre persönliche Vision?
Wahrscheinlich haben Sie es schon bemerkt: Mein Lieblingswort in dieser Thematik heisst «umfassend». Palliative Care ist eine umfassende Betreuung der Schwerkranken und Sterbenden und ihrer Angehörigen. Der Fokus ist nicht nur auf dem körperlichen Befinden aus medizinischer und pflegerischer Sicht, sondern auch das psychische, soziale und spirituelle Befinden wird ernst genommen. Wichtig ist, dass neben den Fachpersonen auch Angehörige und Freiwillige in die Begleitung eingeschlossen werden. In den Lehrgängen in Palliative und Spiritual Care werden somit die Kompetenzen der Fachpersonen und der Freiwilligen gefördert und ausgeweitet. Die Rückmeldungen sind eindrücklich: Menschen, die Schwerkranke und Sterbende begleiten, merken, dass sie durch die palliative Arbeit zwar herausgefordert werden, aber auch persönlichen Gewinn schöpfen: Viele betonen, dass sie, seit sie Sterbende begleiten, bewusster, intensiver und fröhlicher leben. Sie befassen sich mit ihrem eigenen Sterben und thematisieren ihre Ängste und ihre offenen Fragen, was eine gute Vorbereitung auf ihr eigenes Alter ist und ihnen mehr Lebensqualität und Gelassenheit gibt.

Im Dezember bieten Sie am TDS Aarau einen Kurs an: Was dürfen die Kursteilnehmenden erwarten?
Sie erhalten anhand praktischer Beispiele aus meiner langjährigen Erfahrung als Gemeinde- und Spitalpfarrerin und Kursleiterin einen Einblick in Sterbebegleitung und Palliative Care. Dabei stehen die Bedürfnisse und Prozesse Sterbender und ihrer Angehörigen im Vordergrund, und es wird gefragt, was die Chancen und Herausforderung für ihre Begleitenden sind. Wichtig ist dabei der Blick auf das Wesentliche: die Menschen in ihrer Einzigartigkeit und Würde und die unbegreifliche und geheimnisvolle Liebe und Nähe Gottes.

Pfrn. Dr. theol. Karin Tschanz ist verheiratet und Mutter zweier Kinder. Zurzeit ist sie in einem Projekt der Aargauer Landeskirche für die Aus- und Weiterbildung von Freiwilligen und Berufsfachpersonen in Palliative Care und für den Aufbau eines kantonalen Palliative-Begleitdienstes verantwortlich.

Zum Thema:
Die Kursdaten

Datum: 21.11.2012
Autor: Eva Kesper-Wegelin
Quelle: Livenet / meinTDS

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