Tot mit acht Jahren

Tobias hatte den Himmel vor Augen

Seine Geschichte bewegte viele Menschen: Tobias Roller starb im Juli 2017 mit acht Jahren an einem seltenen Gendefekt. Viele Medien berichteten über seinen viel zu frühen Abschied. Jetzt erscheint das Buch «Sonnenfarben», in dem Tobias' Vater über die Zeit mit seinem Sohn erzählt.
Tobias Roller (Bild: tobias-roller.de)
Tobias wollte nur noch Sonnenfarben verwenden.

Das Glück scheint vollkommen: Nach zwei Mädchen bekommt Familie Roller einen kleinen Jungen. Doch bald mehren sich die Probleme und die Eltern merken, dass mit Tobias etwas nicht stimmt. Dramatische Situationen und Krankenhausaufenthalte folgen. Nach Jahren erst die Diagnose: Tobias leidet an einer Autoimmunerkrankung. Therapien versprechen Hoffnung, zeitweise geht es Tobias verhältnismässig gut, er kann den Kindergarten und die erste Klasse besuchen. Doch dann verschlechtert sich sein Zustand rapide. In den letzten Monaten seines Lebens wird die Klinik sein Zuhause. Auch das Pro-Medienmagazin berichtete über seine Geschichte.

Tobias' Vater Johannes Roller erzählt nun in seinem Buch «Sonnenfarben» von beidem: Leiden und Lebensfreude. Es handelt von Schmerzen und schweren Entscheidungen, einem ausgehebelten Familienleben und einem Abschied, der zu Herzen geht. Aber auch vom festen Glauben an Gott, von berührender Geschwisterliebe und einem fröhlichen und lebensbejahenden Kind.

Herr Roller, durch das Buch haben Sie alles noch einmal durchlebt. Wie ging es Ihnen damit?
Johannes Roller: Es kam noch mal die Erinnerung an viele schöne Momente in all dem Leid. Wie Tobias, der sich so quälen musste, all den festsitzenden Schleim abzuhusten, danach seine kleine Hand auf meine legte und sie gestreichelt hat zum Dank, dass ich bei ihm war – solche Momente sind unglaublich. Vieles hat mich froh gestimmt. Andererseits die Zeit am Ende auf der Intensivstation, wo er so schwach wurde und sich kaum noch auf dem Klo halten konnte… Das alles noch einmal so vor Augen zu haben und durchzuerleben, das war nicht einfach, das muss ich ehrlich sagen. Wenn ich nicht das Ziel vor Augen gehabt hätte, mit dem Buch anderen zu helfen, hätte ich das vielleicht nicht gemacht.

Was bedeutet der Titel «Sonnenfarben»?
Vierzehn Tage vor seinem Tod hat Tobias seiner Maltherapeutin gesagt, dass er jetzt nur noch in Sonnenfarben malen möchte. Im Nachhinein war uns klar: Er hat gespürt, dass er nicht überleben wird. Trotzdem hatte er diesen kindlichen Glauben und eine Hoffnung – er wusste, wo er hingeht.

Diese Lebensfreude von ihm scheint im Buch trotz all dem Leid immer wieder durch…
Mir ist da sein letzter Geburtstag in Erinnerung, als er acht Jahre alt wurde. Es war gut zwei Monate vor seinem Tod. Die Krankenschwestern hatten in der Nacht sein Zimmer hergerichtet und sangen für ihn. Seine Ärzte kamen und schenkten ihm ein Buch. Den ganzen Tag war etwas los, die Eltern anderer Kinder schauten vorbei, weil sie Tobias so gern hatten. Abends stand er da in seinem Schlafanzug, sein Bauch vom Kortison ganz aufgedunsen, sein Gesicht geschwollen, überall die Kabel heraushängend. Und er stand mit einem glücklich strahlenden Gesicht an seinem Geburtstagstisch und dankte Gott im Gebet für den schönen Geburtstag, den er gehabt hatte. Das hat mir so die Tränen in die Augen getrieben! Es war so eine hoffnungslose Situation und er hat es trotzdem in dieser Fröhlichkeit als Kind angenommen und ist durch seinen Glauben nicht verzweifelt. Da bekommt die Aussage von Jesus, wir sollten werden wie die Kinder, eine überzeugende Bedeutung.

Tobias hat einen Regenbogen in Sonnenfarben gemalt und der Regenbogen war auch für Sie ein Symbol – was hat er Ihnen bedeutet?
Mir sind in der Zeit immer wieder Regenbogen aufgefallen, oft an Tagen, wo es um tiefgreifende Entscheidungen ging. Ich habe es so empfunden, dass Gott uns hilft, die richtigen Entscheidungen zu treffen, selbst wenn unser Kind nicht überlebt. Wir hatten die Gewissheit, dass er uns beisteht und uns Kraft gibt und dass alles einen Sinn hat.

Kann man in so einer Situation nicht eher den Glauben verlieren?
Das kann man sicher. Bei mir gab es eine Situation im Krankenhaus, als Tobias noch sehr klein war. Keine Behandlung half, er wurde per Sonde ernährt und spuckte trotzdem alles wieder aus. Es war völlig hoffnungslos. Keiner wusste, was für eine Krankheit er hat. Er hat gejammert, weil sein kleiner Körper total zerstochen war. Das hat mir das Herz zerrissen. In dieser Nacht habe ich gebetet, dass Gott doch endlich eine Entscheidung treffen soll: dass es besser wird oder dass er ihn zu sich holt, damit das Leiden endlich ein Ende hat. Das war das einzige Mal, dass ich gezweifelt habe.

Vor allem Sie als Vater waren viel an Tobias' Seite – woher hatten Sie die Kraft?
Ich war zum Glück gesundheitlich in einer guten Kondition. Aber die meiste Kraft haben mir mein Glaube an Gott gegeben und die vielen Menschen im Hintergrund, die für Tobias und für uns gebetet haben und mit denen wir in engem Kontakt standen. Ganze Gemeinden haben für Tobias gebetet, Kindergruppen, Gebetskreise. Um dieses Gebet zu wissen, hat eine unglaubliche Kraft gegeben. Ich habe ja Entscheidungen von gewaltiger Tragweite treffen müssen. Da macht man sich auch im Nachhinein immer noch Gedanken: Hätte ich der Stammzellentransplantation nicht zustimmen sollen, wo es ihm doch gerade so gut ging? Hätten wir dann noch ein paar Jahre gehabt? Ganz fern bleiben diese Gedanken nie.

Wie geht es Ihnen heute? Kommt man über so einen Verlust überhaupt jemals hinweg?
Man lernt, damit umzugehen. Man ist ja auch in den Alltag eingebunden und abgelenkt. Aber einfach loszulassen, das geht gar nicht. Neulich habe ich auf einem Spaziergang ein kleines Laufrad gesehen, das genau so aussah wie Tobias' Laufrad damals. In dem Moment denkt man sofort an ihn, wie er selbst darauf gesessen hat. Wenn ich seine Schulkameraden sehe, denke ich: Jetzt wäre er auch so gross. Das können Sie gar nicht ausblenden, das kommt automatisch. Aber es sind auch schöne Erinnerungen. Wir waren letzten Sommer an der Nordsee, es ergab sich sogar, dass es dieselbe Ferienwohnung war, in der wir mit Tobias gewesen waren. Dort war alles wieder da: wo er im Bett neben mir gelegen hat, wo wir zusammen spazieren gegangen sind. Er war in Gedanken immer präsent. Eine Hilfe ist auch zu wissen, dass Tobias jetzt an einem guten Ort bei seinem himmlischen Vater ist.

Was erhoffen Sie sich von Ihrem Buch?
Mir selbst hilft es sehr über die Trauer hinweg, wenn ich sehe, dass unser Kind über seinen Tod hinaus etwas Positives bewirken kann. Zwar ist jeder Mensch anders, aber ich glaube, es kann unglaublich Halt geben, wenn man sieht, wie andere mit so einer Situation umgegangen sind. Mein grösster Wunsch ist, dass Tobias mit seiner Lebensfreude und Lebenskraft anderen helfen kann. Dass Menschen, die vielleicht um ihr eigenes Kind trauern, sehen, dass es auch schöne Momente gibt. Und dass es die Hoffnung gibt, dass man sich einmal wiedersehen wird.

Zum Originalartikel auf PRO.

Zum Thema:
«Den Himmel gibt's echt»: Nahtodgeschichte berührt erneut die Massen
Zum Tod vom Sohn: TobyMac: «Er wollte ein Mann mit Narben und Geschichte sein»
Familientragödie mit Folgen: «Ich habe ein Kind verloren und ein anderes wiederbekommen»

Datum: 23.02.2021
Autor: Christina Bachmann
Quelle: PRO Medienmagazin

Publireportage
Werbung
Livenet Service
Werbung