Der Traditionalisierungsschub

Die neuen Väter zwischen Ideal und Wirklichkeit

Väter mit Kinderwagen haben das Strassenbild erobert. Doch weshalb bleibt bei den «neuen Vätern» trotz dem internationalen Ideal aktiver Vaterschaft so vieles beim Alten?
Vater mit Kinderwagen
Johanna Possinger
Michael Meuser

Die «neuen Väter», die sich aktiv in der Betreuung und Erziehung der Kinder und in der Hausarbeit beteiligen, sind in der westlichen Welt zu einem Standart geworden, den inzwische auch die Politik unterstützt. Johanna Possinger, Professorin für Frauen- und Geschlechterfragen an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg, spricht vom «Ideal aktiver Vaterschaft als internationales Phänomen». Das macht auch Sinn: Wenn sich Väter engagieren, unterstützen sie damit nicht nur die Mutter, sondern auch die Entwicklung der Kinder. Sie können ihnen Erfahrungen und Erlebnisse vermitteln, die sie von der Mutter weniger oder gar nicht bekommen, wie die Forschung inzwischen belegt hat.

In der Praxis zeigt sich aber, dass nur eine Minderheit der Väter die gewünschten Standarts erfüllen können, auch wenn viele das eigentlich möchten. Denn es gibt eine Reihe von Hindernissen.

Karrierebewusste Männer müssen mindestens 100 Prozent arbeiten

Zum Beispiel die Arbeitswelt. Für viele Betriebe gilt grundsätzlich eine 100 Prozent-Arbeitszeit für Männer, die auch auf der Karriereleiter vorwärts kommen wollen. Dies betonten Referenten an einer Tagung der Universität Zürich am 22. Und 23. August 2019 in Zürich. So wies zum Beispiel Johanna Possinger darauf hin, dass 40 Prozent der Väter in Deutschland eine Arbeitszeit zwischen 60 und 80 Prozent bevorzugen würden. Doch lediglich 6,5 Prozent können den Wunsch auch realisieren. Andererseits arbeiten 52 Prozent der Väter Vollzeit oder mehr, was gemäss Umfragen eigentlich nur neun Prozent möchten. Das führe öfter zum Phänomen «Erschöpfte Familie», wie die Referentin betonte.

Eiszeit in der Familienpolitik

Andere Referierende wiesen darauf hin, dass auch die aktuellen Angebote für die Kinderbetreuung, die Verfügbarkeit von Eltern für die Schule oder das Steuerrecht die traditiionelle Rollenverteilung begünstigen. Für mehr Geschlechtergerechtigkeit brauche es Fortschritte sowohl in der Politik wie in den Unternehmungen. Für die Schweiz fielen dabei Ausdrücke wie Steinzeit und Eiszeit an.

«Maternal Gate»

Michael Meuser, Professor für Soziologie und Geschlechterverhältnisse an der Technischen Universität Dortmund, nannte einen weiteren wesentlichen Grund. Er machte darauf aufmerksam, dass wir zwar von «neuen Vätern» sprechen, aber nicht von «neuen Müttern». Oft fühlten sich Frauen bei der Erziehungs-, Betreuungs- und Hausarbeit schlicht kompetenter als der Mann. Väter, die sich engagieren, nähmen daher oft eher die Rolle eines Praktikanten ein. Inzwischen hat sich bereits der Begriff «Maternal Gatekeeping» eingebürgert.

Re-Traditionalisierung

Obwohl sich das Paar vor der Geburt eine moderne Rollenverteilung wünsche, komme es danach zu einer Re-Traditionalisierung, wobei der Vater Vollzeit und die Mutter allenfalls Teilzeit arbeite. Und dies, obwohl sich 60 Prozent der Eltern mit Kindern unter drei Jahren eine egalitäre Aufteilung von Erwerbs- und Hausarbeit wünschen.

Die Frage der Geschlechtsunterschiede

Nicht diskutiert wurde auch an der Tagung der Universität Zürich die Frage, ob es nebst Geschlechtergerechtigkeit auch Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt, die in die Überlegungen und Konzepte einbezogen werden müssten. Zum Beispiel die Tatsache, dass immer noch die Frau die Kinder gebärt und daher ganz anders mit dem Kind verbunden ist als der Vater. Mit Folgen, die oben angedeutet werden (Maternal Gate). Einzig Markus Theunert, Leiter des Schweizerischen Instituts für Männer- und Geschlechterfragen und der Fachstelle «männer.ch» sprach von der Notwendigkeit eines «geschlechtsreflektieren Handelns» und von «reflektierten Geschlechterrollen», ohne aber dabei ins Detail zu gehen.

Zum Thema:
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Datum: 27.08.2019
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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