Unmoralisch

Fast wäre es zur Konzernverantwortungs-Sensation gekommen

Die Schlacht ist geschlagen. Die KVI ist trotz guten Umfragewerten am Ständemehr gescheitert. Die Schweiz hat eine Chance verpasst. Ein Kommentar von Fritz Imhof.
Plakat zur Konzernverantwortungs-Initiative

Der Abstimmungskampf zur Konzernverantwortungsinitiative legte vieles von der Schweizer Seele offen, machte aber auch auf grosse Mentalitätsunterschiede aufmerksam. Hier die Unterstützer des Anliegens, denen eine ethische Verantwortung der Schweizer Wirtschaft in dieser Welt ein hohes Gut bedeutet. Dort die Bedenkenträger, Unternehmer und Politiker/innen, die der Wirtschaft keine Steine in den Weg legen wollten, auch wenn sie hinter der Hand einräumten, dass bedenkliche Unterlassungssünden geschehen bis hin zur Skrupellosigkeit.

Man erinnere sich: noch ist es nicht lange her, dass das Bankgeheimnis knallhart verteidigt wurde, obwohl längst klar war, dass mit seiner Hilfe viele dubiose Gelder in der Schweiz versteckt werden konnten. Die Banken machten damit einen schönen Teil ihres Geschäfts. Nur der Druck aus dem Ausland führte schliesslich zum Umschwung. Mit einer Annahme der KVI hätte die Schweiz vorangehen und sich ein positives Image verschaffen können. Nun wird sie früher oder später nachziehen müssen, denn der Gegenvorschlag, der jetzt in Kraft tritt, genügt nicht.

Du sollst den Wohlstand nicht gefährden

Die Diskussion um die Konzernverantwortungsinitiative spiegelte eine verbreitete Geisteshaltung in der Schweiz. Man könnte daraus schon fast ein 11. Gebot ableiten: Du sollst den Wohlstand nicht gefährden. Dass die Schweiz besonders im 18. und 19. Jahrhundert schwer unten durch musste, zum Beispiel in der Folge der napoleonischen Kriege, wirkt nach. Breite Armut soll es in unserem Land nicht mehr geben, so der meist unerwähnte Beweggrund für heutige wirtschaftspolitische Kampagnen. Der Präsident der ICCC, Michel Koegler, sagte einst an einer Konferenz: «Die Schweiz hat einen Krämergeist!»

Die wirtschaftsethische Debatte fehlte

Dies scheint auch eine Ursache dafür zu sein, dass im Abstimmungskampf eine eigentliche wirtschaftsethische Debatte nicht stattfand. Und diese hätte es dringend gebraucht. Es hätte eine Wertedebatte sein müssen, die aufzeigt, wo Verantwortung und Rücksicht vor Gewinnstreben kommen muss – mit Schwerpunkt Rohstoffgewinnung und -Handel.

Weshalb soll letztlich ein Schweizer Unternehmen im Ausland ethisches Verhalten an den Tag legen? Diese Frage schien zum Beispiel die Justizministerin Karin Keller Sutter nicht zu beschäftigen. Dagegen wurden Kirchenleitungen öfter und zuweilen heftig angegriffen, weil sie sich mehrheitlich auf die Seite der Befürworter schlugen.

Gefährlicher Zeitgeist?

Ebenso wenig Wirtschaftsredaktor Peter A. Fischer, der in einem Leitartikel den Befürwortern der KVI vorwarf, einem gefährlichen Zeitgeist zu huldigen, indem sie moralische Werte über die Interessen der Wirtschaft stellten und damit das Funktionieren des Marktes gefährdeten. Statt einen Ausgleich der wirtschaftlichen und ethischen Interessen zu suchen. Die Befürworter wollten einfach den bösen Konzernen einen Denkzettel verpassen, argumentierte er reichlich undifferenziert in der NZZ vom 14. November 2020. Andere prangerten einen angeblichen moralischen Kolonialismus an, als ob es verwerflich wäre, im fernen Ausland Menschenwürde mit den gleichen Massstäben zu messen wie zuhause.

Es braucht eine Beschwerdestelle

Wenn es im Abstimmungskampf zu polemischen Äusserungen kam, ist das nicht unproblematisch. Wer hier zu weit geht, demontiert sich aber selbst. Schwieriger ist es, wenn mit Unwahrheiten gefochten wird. Behauptet wurde wie schon früher – zum Beispiel bei der Erbschaftssteuer-Initiative –, dass die Initiative die KMUs gefährde. Damit lässt sich schön Stimmung machen und Ängste erzeugen. Da konnte der Initiativtext noch so klar auf die Konzerne zielen, auch diesmal wurde aus der angeblichen Bedrohung von KMUs das Hauptargument geschmiedet. Es braucht ein Gremium von Sachverständigen, an die sich Gegner und Befürworter wenden können, wenn sie zum Schluss kommen, dass die Gegenseite lügt. Sonst leidet früher oder später auch in der Schweiz die Demokratie.

Zum Thema:
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Datum: 30.11.2020
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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