Stadtkloster Berlin

Beten und arbeiten im kirchenfernen Umfeld

Vor drei Jahren, im August 2007, haben Mitglieder der Schweizer Communität Don Camillo in Berlin ein Kloster gegründet. Nach schwierigem Einstieg scheint es seinen Platz gefunden zu haben. Matthias Böhni, Redaktor der Reformierten Presse, nahm im Juli einen Augenschein und sprach mit dem Projektleiter Georg Schubert.
Beten.


Die Kirchenglocken des Stadtklosters Segen bleiben plötzlich stumm. Ein Handwerker hat versehentlich die Drähte zur Steuerungsanlage durchgeschnitten. Was nun? Halb so schlimm. Auch dieses Problem wird schon am nächsten Tag gelöst sein – so wie unzählige andere davor auch.


Stadtkloster Segen, an der Schönhauser Allee im Prenzlauer Berg gelegen, zwei U-Bahn-Stationen vom Alexanderplatz entfernt, ehemals Ost-Berlin. Seit drei Jahren betreibt und renoviert die Schweizer Communität Don Camillo dieses von ihr gegründete evangelische Kloster. Die Kirchgemeinde Prenzlauer Berg Nord hatte sie 2004 gefragt, ob sie interessiert sei, ein Kloster aufzubauen. Don Camillos Hauptsitz ist in Montmirail, Kanton Neuenburg, wo die Don Camillos Mitglied der reformierten Landeskirche sind. Die Berliner Don Camillos sind Urs Trösch sowie Georg und Barbara Schubert, Felix und Corinne Dürr mit ihren Kindern, die im Stadtkloster Segen wohnen.


Das rote Backsteingebäude befindet sich in ständiger Transformation. Handwerker jeder Art geben sich die Klinke in die Hand. Offene Kabelstränge verlaufen von Stockwerk zu Stockwerk, überall wird Material gelagert oder verarbeitet, Pläne werden studiert, und der Staub legt sich über alles.

 

Gelingende Improvisation

In dieser Juliwoche ist eine Gruppe der reformierten Kirchgemeinde Bühler AR zu Besuch. Eine Woche helfen die mehrheitlich pensionierten Handwerker bei der Renovation mit, betonieren, streichen, sägen, alles garniert mit urigen Appenzeller Witzen. Es gibt viel zu tun, der Komplex ist gross und verwinkelt: Hier muss ein Gang ausgeräumt, dort eine Schallschutzdecke aufgehängt werden; auch der neue Meditationsraum im Dach soll isoliert werden. Alles läuft relativ improvisiert, aber dafür klappts. Die Handwerker aus der Schweiz erhalten freie Kost und Logis und können an den Abenden und am Wochenende auf Berlin-Tour gehen (siehe unten).


«Das Stadtkloster ist ein gutes Projekt», bilanziert Projektleiter Georg Schubert, «mitten in der Stadt kann man am gleichen Ort beten und arbeiten. Kirche – nicht nur das Gebäude – wird so sichtbar präsent.» Während er im Frühstückszimmer des Klosters erzählt, dröhnt ein Kompressor, der Druck erzeugt, damit die eingerüstete Backsteinwand im Innenhof geputzt werden kann. Die Arbeit wird durch ein Förderprogramm des Landes Berlin finanziert – die Don Camillos könnten sich das sonst nicht leisten.


Georg Schubert erinnert sich an den «ausgesprochen anspruchsvollen» Anfang vor drei Jahren. Man habe den Kulturunterschied zwischen Deutschland und der Schweiz unterschätzt. Das beginne bei der Sprache und ende bei der Telefonnummer, die in Deutschland verschieden lang sein könne und deshalb anders «buchstabiert» werde.

 

Geforderte Bauleitung

Zu diesen Unterschieden kommen andere, zum Beispiel der diffizile Umgang mit kirchlichen und staatlichen Behörden, von denen es viele gibt. Wer in Berlin ein unter Denkmalschutz stehendes Gebäude renovieren will, braucht ein robustes Nervengerüst. Der Bauleiter Felix Dürr muss mit dem «Amt für Planung und Genehmigung, Abteilung Sonderbau, Bezirksamt Pankow» und der «unteren Denkmalschutzbehörde von Pankow» ebenso umgehen wie mit dem Amtsrestaurator Berlin, einer Gerüstbaufirma oder einer Transportunternehmung mit Lkw-Kran. «Uns hier zurechtzufinden hat sehr viel Kraft gekostet», sagt Georg Schubert.


Dazu kommt die «Last der Geschichte»: «Zwei Häuser weiter war ein jüdisches Waisenhaus. Alle Kinder wurden während der Nazizeit deportiert. Weiter oben an der Schönhauser Allee wurde gefoltert.» Die Allee war dann eine der Haupteinfallsachsen der Roten Armee am Ende des Zweiten Weltkriegs. In der DDR sei die «Missbrauchsgeschichte eines Volkes zu ideologischen Zwecken» weitergegangen. Diese Geschichte sei präsent und vor allem die DDR-Zeit nicht bewältigt – auch wenn heute Szeneläden um die Ecke Bio-Lebensmittel oder Design-Babykleider verkaufen.


Die Spuren der Geschichte hätten sich zum Beispiel gezeigt, als eine benachbarte Schule auf der Suche eines Saals für ein Fest war. «Wir boten ihnen die Kirche an. Doch der Schulleiter brauchte enorme Überzeugungskraft bei der Lehrerschaft, das Fest in einer Kirche zu feiern. Die Angst vor ideologischer Vereinnahmung ist gross.» Die Suche nach Personen, die sich verbindlicher für das Kloster engagieren, sei ebenfalls schwierig.


Als Schweizer sei man in der Geschichte unbelasteter und könne Fragen stellen. Man habe sowieso einen Bonus, «die Schweiz gilt als Land, wo vieles gut ist», erzählt Georg Schubert. So hätten sich die Berliner teilweise gewundert, warum jemand freiwillig aus der Schweiz nach Berlin ziehe.


Zwar hat die evangelische Kirche die Don Camillos gerufen, doch war die Unterstützung und Begleitung für die Klosterpioniere schwankend. Kurz nach Ankunft der Don Camillos wurden zwei wohlwollende kirchliche Amtsträger pensioniert, und eine engagierte Kirchenälteste wechselte den Job. «Wir mussten unser Netzwerk neu aufbauen. Die Kirche zeigte zwar viel Interesse, die finanzielle Unterstützung war aber eher punktuell.» Nun laufen immerhin Anträge auf eine landesweite Kollekte in der Brandenburger Kirche und auf Beiträge aus der Klassenlotterie.

 

Das Schiff fährt

«Auf unsere wiederholte Frage, warum sie uns hierher geholt haben, gab es keine Antwort. Irgendwann hörten wir auf zu fragen und interpretierten das als Gestaltungsfreiheit», sagt Georg Schubert. Es gab Krisen und Gedanken ans Aufgeben. Das Architekturbüro ging pleite, ein neues musste gesucht werden. «Das Schiff ist aber nicht untergegangen, es fährt ruhiger denn je, das macht gelassener.»


Mittlerweile hätten sich die Angebote des Klosters eingespielt, zum Beispiel die Gebete, die Abendbesinnungen oder der viermal im Jahr stattfindende Meditationskurs. «An die Abendbesinnung kommen dreissig bis vierzig Leute, das ist für eine Berliner Gemeinde nicht schlecht», meint Georg Schubert. Die Angebote erreichen sowohl die neu zugezogene «Upper Class» des Prenzlauer Bergs wie auch jene Leute, die schon vor der Wende hier wohnten. Unterdessen sind auch verschiedene Gästezimmer fertig renoviert. Nur die Heizung bleibt ein Sorgenkind: Sie ist 30 Jahre alt, und wenn Wohnzimmer und Kirche gleichzeitig geheizt werden, kommt sie nicht mehr nach.

 

Nur 10 Prozent Kirchenmitglieder

Während die Handwerker sägen, fräsen, Schrauben suchen, Zementsäcke herumtragen und sich bereits das Abendprogramm überlegen, erzählt Georg Schubert, was die Schweizer reformierten Kirchen vom Stadtkloster lernen können. «90 Prozent der Bevölkerung im Prenzlauer Berg gehören keiner Kirche an. Wie geht man damit um? Wie kommt man an die Leute heran? Das sind Fragen, die sich den Reformierten in der Schweiz stellen, und es wäre sinnvoll, das nicht nur theoretisch zu bedenken, sondern sich mit Kirchen auseinanderzusetzen, die in dieser Wirklichkeit angekommen sind.» Es bestehe bereits ein Erfahrungsaustausch mit drei Stadtzürcher Kirchgemeinden, die Don Camillo auch finanziell unterstützt haben.


Klostermitglied Urs Trösch hat unterdessen die Drähte zur Steuerungsanlage der Glocken geflickt. Sie funktionieren wieder. Die elektrische Anlage im Kloster ist eine Welt für sich, oftmals findet Urs Trösch erst nach Pröbeln heraus, welche Sicherung zu welcher Steckdose gehört. Nach drei Jahren gibt es schon viele Gewohnheiten. Auch solche, die man sich gar nicht wünscht. Zum Beispiel dass die Heizung schon dreimal an Weihnachten ausgestiegen ist. Aber auch das nehmen die Don Camillos unterdessen mit Humor.


Möglichkeiten, bei Don Camillo mitzumachen:
1. Man besucht das Stadtkloster Segen mit einer Kirchgemeinde-Gruppe, bleibt eine Woche und hilft bei der Renovation. Für die Arbeit erhält man Kost und Logis (ohne Abendessen). Ideal ist eine Gruppe aus Handwerkern und engagierten Amateuren. Don Camillo kann pro Jahr zwei bis drei Gruppen einquartieren.
2. Das Stadtkloster Segen ist gut eingerichtet für Konflager. Die Don Camillos haben dazu ein eigenes Konf-Modul entwickelt, Stichworte Bonhoeffer, Kirche in der DDR.
3. Praktikanten können für zwei bis sechs Monate im Stadtkloster arbeiten, und zwar im Gästehaus und auf dem Bau, und sie sollen an den Gebeten teilnehmen. Sie erhalten Kost und Logis und ein Sackgeld von 160 Euro im Monat.
4. «Normale» Gäste können im Stadtkloster übernachten. Pro Person und Nacht kostet es rund 60 Euro. Don Camillo ist an Leuten interessiert, die einen Bezug zur Stadtkloster-Idee haben.
5. Beim «Kloster auf Zeit» kann man eine längere Zeit im Rhythmus des Stadtklosters mitleben.

Adresse:
Stadtkloster Segen Schönhauser Allee 161, D-10435 Berlin
Mail: georg.schubert@stadtklostersegen.de, Telefon 0049 30 440 377 39
www.stadtklostersegen.de


Datum: 16.08.2010
Autor: Matthias Böhni
Quelle: ref.ch

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