Den Armen eine Freundin sein

An der Rezeption immer im Gespräch
Rahel Straub (links)
Rahel mit Freundin auf dem Schiff

August 2002, Interview mit Rahel Straub, 33 Jahre
Sie ist auf einem Spitalschiff tätig, das in Westafrika die Menschen medizinisch versorgt.

Rahel Straub: Ich arbeite auf einem Spitalschiff. Momentan sind wir in Rotterdam. Im September reisen wir weiter nach England, Deutschland , dann wieder Holland und laden Baumaterial und Medikamente auf. Und im November geht's wieder nach Sierra Leone und Togo.

youthmag.ch: Welchen Job hast du auf dem Schiff?
Rahel Straub: Ich arbeite an der Rezeption und als Tourguide. Ich führe öffentlich Touren für interessierte Leute durchs Schiff und informiere sie über unsere Arbeit. Mein Job an der Rezeption beinhaltet vor allem viel Kommunikation mit unseren eigenen Leuten, aber auch den Besuchern. Das heisst: Fragen beantworten, Telefonate, Computerarbeit und einfach Mami für alles zu sein…

youthmag.ch: Was hat dich dazu bewogen, dieser Arbeit nachzugehen?
Rahel Straub: Ich hatte einen Hunger, Gott näher kennen zu lernen und den Armen eine Freundin zu sein. Ausserdem liebe ich die Zusammenarbeit mit Menschen aus den verschiedenen Ecken der Erde. Und das ist hier der Fall.

youthmag.ch: Wie lange möchtest du auf dem Schiff bleiben?
Rahel Straub: Ich habe mich für zwei Jahre verpflichtet. Was danach ist, werden wir sehen.

youthmag.ch: Wer leitet dieses Projekt?
Rahel Straub: Es wird von einer Missionsgesellschaft geleitet, genannt "Mercy Ships" (Schiffe der Barmherzigkeit). Sie besitzen drei Schiffe. Finanziert wird das Ganze aus Spenden. Die Anastasis hat das Gebiet in Westafrika und Europa. Das andere Schiff ist in Südamerika und eins ist noch im Umbau. Ziel ist es, den Menschen das Evangelium zu demonstrieren, medizinisch zu helfen und sie praktisch zur Selbsthilfe anzuleiten sowie Klinik- und Brunnenbau etc. Wir transportieren also auch Kargo.

youthmag.ch: Habt ihr einen Lohn auf dem Schiff?
Wir verdienen alle nichts. Vom Kapitän, oder dem Koch bis zu Reinigungsfrau. Wir alle werden von Freunden finanziell unterstützt. Ohne die vielen Freunde und Gemeinden könnten wir die Arbeit nicht machen. Jeder von uns bezahlt also sozusagen Crewkosten, die unseren Unterhalt hier decken.


youthmag.ch: Wie funktioniert euer Projekt? Wir erfahren die Menschen von euch?
Rahel Straub: Das ist natürlich sehr komplex. Wir bekommen Einladungen von den Regierungen. Aber auch die gesamte Organisation spielt eine grosse Rolle. Schliesslich aber erfahren die meisten Menschen übers Radio, wo wir aufkreuzen werden und Hilfe leisten. Wenn sie von unserer kostenlosen Behandlung hören, dann ist der Andrang immer sehr gross. Wegen Platznot suchen wir manchmal das Stadion einer Stadt auf, in der wir anlegen, und schauen uns die Leute dort an. Danach bekommen sie einen Behandlungstermin auf dem Schiff.

youthmag.ch: Woher bekommt ihr eure Medikamente?
Rahel Straub: Alle Medikamente bekommen wir durch Spendengelder oder direkt von Krankenhäusern, Firmen oder Privatleuten.

youthmag.ch: Gibt es da eine persönliche Geschichte, die du auf deinen Reisen erlebt hast? Oder ein Erlebnis, das dich für dein Leben geprägt hat?
Rahel Straub: Ja, eine lustige: In Gambia kam der Präsident auf unser Schiff, während ich an der Rezeption war. Er sprach zur ganzen Crew. Dafür durfte ich mich mit seinen 3 Bodyguards unterhalten. Wir hatten gute Gespräche und sie wollten mich auch gleich in ihren Club aufnehmen.
Eine prägende Geschichte habe ich in Sierra Leone erlebt. Dort bin ich zwei Frauen begegnet, die trotz Armut und "kaputtem Leben" einen solch tiefen unmittelbaren Glauben besassen, dass ich nur staunen konnte. Und natürlich davon lernen will.

youthmag.ch: Wir reagieren die Menschen auf eure Hilfe?
Die meisten sind total dankbar. So bin ich oft in Gambia auf der Strasse angesprochen worden von Fremden, die mir von ihren Freunden erzählten, welche auf der Anastasis in Behandlung waren. "You Mercy Ships are good people"(ihr vom Mercy Schiff seid gute Menschen) sagten sie dann oft.
Es gibt aber auch Menschen, die sogar auf dem Krankenbett undankbar sind und die Hilfe als selbstverständlich ansehen.

youthmag.ch: Kannst du dich auch mal zurückziehen auf dem Schiff?
Das ist schwierig, denn meine Kabine ist sehr sehr klein. Ich kann mich kaum darin drehen.
Und dann ist es manchmal schon schwierig, zur Ruhe zu kommen, wenn man so lange unterwegs ist. Denn als Fremdling ist man immer attraktiv und ein guter Ansprechpartner. Nach einen vollen Tag oder wenn man müde ist, kann es schon ganz nervig sein, wenn dann alle quatschen wollen.

youthmag.ch: Du hast jetzt bereits viele Erfahrungen gesammelt. Sind arme Menschen unglücklicher als Menschen in einem Erstweltland?
Rahel Straub:Man müsste erst definieren, was arm heisst. Wenn du jeden Tag ums Überleben kämpfst, weil das Allernötigste fehlt, dann bist du sicher unglücklicher. Wer jedoch ein Dach über dem Kopf hat, und wenn's nur eins aus Wellblech ist, und ausreichend zu essen hat für jeden Tag, der muss nicht unglücklicher sein. Ich denke da an eine Familie, die unter einfachsten Umständen mit ihren Kindern in einem Slum lebt. Die strahlen so viel Freude und Zufriedenheit aus. Da können wir nur davon lernen.


youthmag.ch:
Hast du manchmal Heimweh nach deinen Freunden, deiner Familie?
Rahel Straub: Ja, ich vermisse manchmal einige Leute ganz schön. Zum Glück habe ich noch meine Schwester hier auf dem Schiff. Das ist echt genial.

youthmag.ch: Noch ein paar persönliche Fragen:
Hast du Wünsche für die Zukunft?
Rahel Straub: Ich würde mich freuen, wenn ich noch lange gesund bleibe und für die Menschen um mich herum ein Ermutiger, ein "Geschenk des Himmels" sein kann , und jemand, der Hoffnung vermitteln kann. Das ist überall möglich…

youthmag.ch: Worauf könntest du nicht verzichten in deinem Leben?
Rahel Straub: (Lacht) Ich glaube, auf einen Sinn oder eine Aufgabe in meinem Leben. Ich könnte nicht lange durchhalten, ohne irgendein Ziel.

youthmag.ch: Wie erholst du dich von deinem Alltag?
Rahel Straub: Ich bin gerne mit Menschen zusammen, spreche gerne viel mit Freunden. Bin aber auch gerne allein für mich und lese etwas oder spiele Klavier.

youthmag.ch: Welchen Fehler würdest du am ehesten bei einem Freund entschuldigen?
Rahel Straub: Ich denke, die Fehler, die ich auch bei mir entdecke, die kann ich gut verzeihen.
Vergesslichkeit, Verspätung etc.

youthmag.ch: Wem würdest du einen Preis verleihen, wenn du könntest?
Rahel Straub: Meinem Freund in den Slums in Afrika. Er spielt den ganzen Tag mit den Kindern im Dreck und kümmert sich um sie. Dort, wo andere schon längst nicht mehr hinschauen, ist er. In der westlichen Welt könnte man ihn nicht brauchen, aber dort ist er für die Kinder Gold wert. Auch die Afrikaner fragen sich, was der dort macht, und können sein Verhalten überhaupt nicht nachvollziehen. Aber das ist ihm egal. Er ist einer der versteckten Helden dieser Welt.

youthmag.ch: Was bringt dich zum Weinen?
Rahel Straub: Die Härte des Lebens, die meinen Freunden widerfährt. Das macht mich manchmal sehr traurig. Aber auch die Gleichgültigkeit der ungleichmässigen Verteilung von Gütern gegenüber. Es ist den meisten Menschen egal, dass viele Menschen gar nichts haben und andere so viel.

youthmag.ch: Lieblingsfilm?
Rahel Straub: "Les Miserable" und "Braveheart". Die Botschaft von Braveheart hat mich fasziniert. Dass ein Mann so lange und ausdauernd für die Freiheit kämpft bis zum Letzten. Ich denke ,da können wir so viele Parallelen zu unserem Leben im Glauben ziehen.

youthmag.ch: Lieblingsbuch?
Rahel Straub: "Imprisoned in Iran". Ein Mann erzählt aus seinem Leben, wie er an der Grenze abgefangen und ins Gefängnis gesteckt wurde. Er war auch Christ und hatte eine solche Angst in diesem Land. Und er erzählt so eindrücklich und spannend wie Gott wirkt.

youthmag.ch: Womit hast du dein erstes Geld verdient?
Rahel Straub: In einem Kunstkartenverlag. Dort habe ich Karten in Folien gesteckt. Dabei habe ich viel über die Malerei gelernt. Auch noch heute kann ich dieses Wissen anwenden.

youthmag.ch: Was machst du gerne in deiner Freizeit?
Rahel Straub: Ich gehe gerne einkaufen. Shopping.

youthmag.ch: Was können Frauen besser als Männer?
Rahel Straub: Mitfühlen.

youthmag.ch: Was können Männer besser als Frauen?
Rahel Straub: Spontan etwas helfen. So erlebe ich es jedenfalls des öfteren.

youthmag.ch: Wenn dein Haus brennt, dann kannst du nur einen Gegenstand mitnehmen. Was nimmst du mit?
Rahel Straub: Ich kann auf dem Schiff nichts mitnehmen. Ich hole nur meine Livewest.


youthmag.ch: Was für ein Vorbild hast du?¨
Rahel Straub: Mutter Theresa, Chris Child, mein Freund aus Afrika, meine Mutter und meine Chorleiterin- sie war eine wunderbare und einfache Frau.

youthmag.ch: Was würdest du anders machen, wenn du dein Leben nochmals beginnen könntest?
Rahel Straub: Ich würde Entscheidungen schneller treffen. Ich habe mir immer viel zu viel Gedanken gemacht, welche Schritte ich gehen soll. Denn Gott geht mit uns den Weg und wenn es ihm nicht passt, dann wird er schon eingreifen. Ich hatte auch immer viel zu viel Angst davor, Fehler zu machen, dabei kann man aus Fehlern sehr viel lernen.

youthmag.ch: Was ärgert dich am Christentum am meisten?
Rahel Straub: Das Unverständnis für Andersdenkende macht mich traurig. Ich sehe auf dem Schiff auch, dass unser Glaube an Jesus auch auf ganz verschiedene Weise gelebt wird. Die Gottesdienste der Afrikaner sind sehr lebendig, laut und lustig. Da muss sich ein Schweizer erst dran gewöhnen. Die Herzen sollten wachsen.

youthmag.ch: Dein Morgenritual?
Rahel Straub: Ich bin eher gegen Rituale. Ich liebe die Freiheit!

youthmag.ch: Was schätzt du besonders an deinen Freunden?
Rahel Straub: Die Treue, wie sie mit mir durchs Leben gehen. Das finde ich wunderbar. Ich schätze an einem Freund, wenn man mit im lachen, Witze reissen, aber auch tiefe Gespräche führen kann. Das liebe ich besonders an einem Freund.


youthmag.ch:
Was ist das Wichtigste, was die Menschen von Gott wissen sollten?
Rahel Straub: Dass er sie liebt - Ende.
Viele denken gleich, wenn sie Gott hören: Ich bin sündig, ich muss etwas leisten und tun. Diese Klischees sind sehr hartnäckig. Aber wenn dir Gott wirklich etwas gibt, dann ist es Freiheit und noch mal Freiheit. Ich weiss, das jemand da ist, der dich immer liebt. Er hält uns wie Kinder in seinem Arm. Bedingungslos.

youthmag.ch: Was magst du an Jesus besonders?
Rahel Straub: Ich schätze sehr, dass ich sein kann, wie ich bin und dass er mich tröstet, wenn es mir sehr schlecht geht. Manchmal hat man auch so eine Wut oder auch Freude, die man dann einfach rauslassen kann. Das tut gut.
Ich kann mit ihm sprechen, wo ich auch bin und habe immer einen echt guten Berater an meiner Seite.

Vielen Dank für das Interview.

Iris Muhl

Datum: 20.08.2002
Quelle: Jesus.ch

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