An der Wahrheit festhalten

Ungesunder Mainstream in den Grosskirchen

Der evangelische Pfarrer und Theologieprofessor Samuel Leuenberger beobachtet die aktuellen Entwicklungen in den etablierten Grosskirchen mit Besorgnis. «Wir müssen an der Selbstauslegung von Gottes Wort festhalten!», lautet sein dringlicher Aufruf.
Samuel Leuenberger (Bild: zVg)

Samuel Leuenberger (*1942), verheiratet mit einer Amerikanerin, war 36 Jahre evangelisch-reformierter Pfarrer in verschiedenen Kantonen und unterrichtete ab 1985 an der STH Basel (Staatsunabhängige Theologische Hochschule Basel). 2004 wurde er zum Professor ernannt und lehrte trotz Ruhestand bis 2012.

Liturgien, gesunde Lehre und lebendiger Glaube

«Ich war bereits als Kind interessiert an schönen Liturgien», erklärt Leuenberger. Diese waren ein wichtiger Grund für seinen Entscheid zum Theologiestudium in Bern. Eine gesunde, sich an der Heiligen Schrift orientierende Theologie interessierte ihn damals nicht. Ihn faszinierte vor allem die Anthroposophie mit ihren geistigen Höheflügen. Während des ersten Auslandsemesters in Oxford kam er in Berührung mit der offiziellen Liturgie der Church of England, mit dem Book of Common Prayer von 1662. Die Schönheit dieser Liturgie liess Leuenberger nicht mehr los.

Nach dem Staatsexamen erhielt der junge Theologe ein Stipendium für Zusatzstudien in den USA. Dort kam er in den Jahren 1969 bis 1971 in Kontakt mit bibeltreuen Kreisen und durch deren Einfluss begann er, die Heilige Schrift gründlich zu lesen. In erster Linie das Zeugnis der Bibel, aber auch bekennende Christen waren die wichtigsten Anstösse für den Durchbruch zum lebendigen Glauben und zur Abwendung von esoterischen Ideologien.

«Jesus oft nur als moralisches Beispiel»

Es geschah während der Zeit der Wirksamkeit in den reformierten Pfarrämtern in Oberhelfenschwil und Gampelen – es ist die Zeit zwischen 1976 und 1984 –, als Samuel Leuenberger klar wurde, dass die Mainstream-Theologie sich zusehends den gesellschaftlichen Trends anpasst. Diese Entwicklung habe sich bis heute fortgesetzt. Dabei werde an den Grundpfeilern biblischer Lehre gerüttelt. Innerkirchlich werde in grossem Ausmass die biblische Botschaft von Gott, der in Jesus Mensch geworden ist, geleugnet. Jesus gilt lediglich als moralisches Beispiel und wird auf die sozial-ethische Ebene reduziert. «Versöhnungstod am Kreuz und leibliche Auferstehung werden vielfach geleugnet», beobachtet Samuel Leuenberger. Jesu leibhafte Wiederkunft werde als naive Vorstellung von in mythischem Denken gefangenen Gläubigen abqualifiziert. Auch in ethischer Hinsicht erhielten Abtreibungsgegner und in Bezug auf «Ehe für alle» kritisch eingestellte Gläubige innerkirchlich wenig Unterstützung.

Nach Leuenbergers Überzeugung steht oder fällt der reformierte Gottesdienst mit der inhaltlichen Qualität der Predigt. «Die Heilige Schrift sollte in ihrer Selbstauslegung das Fundament und eine mahnende Stimme sein», ist Leuenberger überzeugt. Deshalb kam bei ihm der Drang auf, Theologiestudenten zu unterrichten, um so gesunde Lehre in der Kirche zu verbreiten. Hierzu musste er Doktorieren.

Book of Common Prayer mit ökumenischer Weite

Als Thema für seine Dissertation wählte Leuenberger das Book of Common Prayer 1662 mit seinen biblischen Bausteinen. Durch die Beschäftigung mit diesem liturgischen Buch ging ihm auf, wie in den Hauptgottesdiensten stets das «Apostolische Glaubensbekenntnis» und auch das «Unser Vater» gesprochen wird. Im Abendmahlsgottesdienst kommen die «Zehn Gebote» hinzu und eine Definition des Leibes Christi. Er erkennt darin die wahre Kirche, die aus der Gemeinschaft aller Gläubigen besteht.

Alle drei Hauptliturgien (Morgen- und Abendgebet, Abendmahlsfeier) haben Glauben erweckenden Charakter. Sie enthalten wesentliche gottesdienstliche Elemente der Alten Kirche, der Orthodoxen Ostkirche, der Lutherischen Kirche sowie Elemente des Puritanismus. Damit ist eine ökumenische und konfessionsübergreifende Weite ohne jegliche Verwässerung vorhanden.

Notwendigkeit von Leitplanken durch Bekenntnisschriften

Im Verlauf weiterer Tätigkeit als Gemeindepfarrer in Schlossrued (1986-2007) und als Dozent an der STH Basel wurde Leuenberger die Wichtigkeit von Bekenntnisschriften immer stärker bewusst. Als besonders wertvoll hält er den Heidelberger Katechismus und das Zweite Helvetische Bekenntnis von Heinrich Bullinger. Sie sind wie Leitplanken, welche biblische Lehre und Verkündigung auf den Leuchter stellen und willkürlichen vom Zeitgeist diktierten Auslegungen der Heiligen Schrift den Riegel schieben. Diese Bekenntnisse waren in den schweizerischen Landeskirchen bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Kraft.

Innerhalb der Lutherischen Kirche entstand in den 1960er Jahren mit der Bekenntnisbewegung «Kein anderes Evangelium» eine Ökumene, welche die wahre Kirche als eine quer durch alle Konfessionen hindurchgehende Gemeinschaft von Gläubigen sieht – mit der Bibel als unentbehrliches Fundament. Sie lässt sich nicht durch ein Diktat von «Political Correctness» einschüchtern. Leuenberger gehört dieser Bewegung an, die Notstände innerhalb der protestantischen Konfessionskirchen beim Namen nennt. Hierbei geht es um generelle Befürwortung von Abtreibung, Ehe für alle, häufige Israelfeindlichkeit und manipulierte Haltung gegenüber dem Islam.

Für Samuel Leuenberger ist klar: «Wahre Einheit der Kirche besteht bereits und muss durch keine Superorganisation erstellt werden.» Eine Welteinheitskirche erliege leicht der Gefahr, andere Religionen zu integrieren und den biblisch-missionarischen Auftrag ausser Kraft zu setzen. Die wahre Kirche sei immer gesellschaftsrelevant, rechne aber trotzdem mit Verfolgung. «Sie weiss, dass Jesus am Ende der Sieger ist.»

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Datum: 22.03.2021
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet

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