Gottesdienst

Am Sonntag in die Wellness-Predigt

Der Mensch lebt nicht vom Gesang allein, sondern von der ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Wort, monieren Kritiker der Freikirchen. Andere sprechen von einer Verschanzungstaktik und Abgrenzung gegen aussen. Sind Christen auf Kuschelkurs?
Wellnesspredigt

Wenn Robert Zehnder* am Sonntagmorgen seine Gemeinde besucht, kommt ihm im Eingang jeweils schummrig, süsse Musik entgegen. «Jesus liebt mich…» singen die Gottesdienstbesucher im Einklang mit Schlagzeug und Leuchteffekten und Robert freut sich auf Grund der «leicht-flockigen» Atmosphäre bereits auf eine starke männerfreundliche Predigt. Doch weit gefehlt. Der Prediger zitiert einen Vers aus dem Römerbrief und streift kurz ein Kapitel des Propheten Jesaja, um danach für 30 Minuten mit sanfter Stimme in ein Kindheitserlebnis abzutauchen. Die Freikirchenbesucher sind erschüttert ob so viel Leid und manche zücken ihr Taschentuch, als der Prediger von Gottes Trost spricht. Robert Zehnder aber verlässt genervt die Kirche und denkt: Schon wieder so eine Kuschelpredigt!

Wenig Fragen des Lebens werden beantwortet

Seit über einem Jahrhundert arbeiten Freikirchen daran, eine ansprechende Theologie an den Mann und die Frau zu bringen. Aber was bedeutet das?  Der Trend geht heute eher in Richtung «Kuscheltheologie», die auf dem Kirchenparkett für Unmut sorgt. Kritiker monieren, dass viele Freikirchen derzeit dazu neigen, eine religiöse Bedürfnisbefriedigung anzubieten, die oft an der Oberfläche verharrt und wenig Fragen des Lebens beantwortet. Reinhold Bernhardt, Theologieprofessor an der Universität Basel, nannte dieses Angebot kürzlich in einem Interview der Badischen Zeitung «Wellnessgottesdienst», der im Grunde sehr moralisch und bibelorientiert sei, aber gegen aussen trotzdem sehr locker daherkomme.

Der Theologe kritisiert nicht nur, dass die intellektuelle Anstrengung bei der Auseinandersetzung mit der Bibel nur teilweise erbracht werde, sondern auch dass viele Pastoren und Laienprediger die 2000 Jahre zwischen biblischer Überlieferung und heute einfach ausklammern würden. Es herrsche ein wörtliches Verständnis der Bibeltexte. Gefährlich dabei sei, dass so Bibelstellen selektiv herausgegriffen werden, um sie in das aktuelle Glaubensbild oder Thema hineinzusetzen. So bestehe die Gefahr, dass die christliche Botschaft zu einem religiösen Konsumartikel verkomme und verflache, genauso wie die Gottesdienste.

Schminken an Oasentagen

Die Botschaft wird aber nicht nur zwischen Kirchenwänden schwächer, sondern auch in christlichen Seminaren. Während Recherchen fällt auf, dass in der freikirchlichen Landschaft die Weiterbildungsangebote immer mehr eine sinnliche Wellnessseite erhalten. An manchen Seminaren und Konferenzen werden «Oasentage», «Body, Soul and Spirit» und «Beautyzone mit Schminken und Coiffeur“ angeboten. Sind Christen tatsächlich auf Kuschelkurs?

Der Theologe und Pfarrer Klaus Neumeier sieht das etwas anders. Er kritisiert nicht die Freikirchen, sondern die reformierten Ortskirchen in Deutschland. In seinem Buch «Kirche 2030» spricht er von sogenannten «Kuschelclubs», weil sich die Orts-Gemeinden hinter den Kirchenmauern verstecken und so alte Traditionen aufrecht erhalten wollen. Es brauche eben gerade vielfältige Erfahrungsräume und erlebbare Gemeinschaft mit Jesus Christus in Kirchen, da der Trend zur Individualisierung und Privatisierung stetig wachse. Neumeier sieht die Zukunft der reformierten Kirche nur in der Partizipation, also im Teilhaben, der Zusammenarbeit und der Gemeinschaft unter Gläubigen. Ansonsten, so Neumeier, habe die reformierte Kirche keine Chance auf Entwicklung und Wachstum.

Nicht auf jeden Zug aufspringen

Nicht so viele Freikirchen. Seit vielen Jahren wachsen diese und die reformierte Kirche schaut konsterniert zu. Vor allem junge Leute fühlen sich von ihrem Angebot angesprochen und finden dort eine spirituelle Heimat. Der Theologe Reinhold Bernhardt sieht aber genau dort den Knackpunkt. «Oftmals ist das intellektuelle Angebot zu dünn und zu eng und ältere Menschen verlangen differenziertere Antworten.» Bernhardt bestätigt aber auch, dass das Ausbleiben der Gläubigen in der Landeskirche in der Tat ein Problem sei und sie dort von Freikirchen lernen könne. «Sie darf aber nicht auf jeden Zug aufspringen.»

*Name geändert

Datum: 11.02.2011
Autor: Iris Muhl
Quelle: Jesus.ch

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