Protest erreicht Religion

In Frankreich häuft sich der Vandalismus in und um Kirchen

Die Franzosen kultivieren ihren Protest. Der macht teils auch vor heiligen Orten nicht mehr halt. Verstreute Hostien, zerschossene Fenster, Schmierereien und gestürzte Grabsteine: Angriffe auf Kirchen häufen sich.
Auch die Notre Dame Kirche in Dijon wurde Opfer von Vandalismus.

Notre-Dame in Dijon gilt als die schönste Kirche Burgunds aus dem 13. Jahrhundert. Am Samstagmorgen drang ein Unbekannter in die Pfarrkirche ein, verstreute Hostien um den Hauptaltar und verwüstete den Chorraum. Der Vorfall reiht sich ein in eine wachsende Zahl von Vandalenakten in französischen Kirchen. Allein in der vergangenen Woche wurden laut Bericht Gotteshäuser in Nîmes, Lavaur und Houilles Ziel von Übergriffen.

Brandspuren und Schusslöcher

Brandspuren auf dem Altar, Einschusslöcher in Kirchenfenstern, Raub von liturgischen Gefässen samt den darin aufbewahrten Hostien. Alle paar Tage ein neuer Fall von Vandalismus. Die Kirche von Houilles war zuletzt gleich dreimal hintereinander Ziel von Übergriffen. Ein Teil des Kreuzes wurde abgebrochen sowie eine Marienstatue und der Altarraum beschädigt.

Auch die grossen Bischofskirchen werden nicht verschont. 2013 wurden binnen weniger Tage die gotischen Kathedralen von Limoges und Nantes mit Parolen beschmiert und geschändet. Obszöne Schmierereien, Hitler-Bärte und andere Nazi-Embleme, Teufelssymbole wie die Zahl «666» auf einem Altar. Auf das Hauptportal von Limoges aus dem 13. Jahrhundert schmierten Linksradikale die Worte «Kirchenrecht = Scharia».

Laut Zahlen des Innenministeriums, welche die Zeitung «Figaro» am Dienstag zitierte, sind katholische Kirchen besonders oft Ziel von Verwüstungen. 2017 entfielen demnach von insgesamt 978 Vorfällen an Kultusorten 878 auf christliche Einrichtungen.

Sehr unterschiedliche Motive

Die Motive all dieser Taten sind denkbar verschieden: Übermut, Frust, Drogenkonsum, Hass oder Habgier. Doch allen ist eines gemeinsam: wachsende Gleichgültigkeit gegenüber den religiösen Gefühlen der anderen. Ist das eine Folge der französischen Übung des Laizismus, der traditionellen revolutionären Bereitschaft, seinen Überzeugungen auch handgreiflich Ausdruck zu verleihen? Der Verdunstung religiöser Bindungen? Rache für kirchliche Missbrauchsskandale? Oder tatsächlich eine gesellschaftliche Radikalisierung?

Bei vielen ist es wohl schlichte Lust am Politisieren und Zerstören. An die Pariser Kirche Sacré-Cœur wurde 2014 «Fuck tourism» gesprüht – eine klare Botschaft an Millionen Besucher jährlich.

Doch eine der Schmierereien lässt darauf deuten, dass sich die Täter auch politisch ganz bewusst die französische Nationalbasilika ausgesucht hatten: «Lang lebe die Kommune», jener blutige linke Volksaufstand 1871, der seinen Ausgang auf dem Montmartre nahm. In Zeiten von sozialer Krise, Strassensperren und Gelbwesten ist Fundamentalprotest gegen das Establishment «en vogue».

Bischofskonferenz äussert sich nicht

Frankreichs Bischofskonferenz will sich zu der jüngsten Welle von Vandalismus nicht offiziell äussern. Hintergrund: Es gibt gewisse Spitzenzeiten solcher Übergriffe. Man will nicht durch Empörung Trittbrettfahrer ermuntern und so weitere Schändungen vermeiden. Auch Strafankündigung für die Täter gehört zum verbalen Ritual nach terroristischen oder vandalistischen Straftaten. Natürlich: Verbale Stärke wird einerseits erwartet. Andererseits nutzt sie sich ab.

In der Vergangenheit hat Frankreichs Bischofskonferenz davor gewarnt, in die «Falle» von Terroristen zu tappen und sich medial gegenseitig zu überbieten. Kirchen müssten «offene Orte für die Menschen bleiben». Solcherart gerader Rücken, gepaart mit christlicher Gelassenheit, wirkt wohltuend, kommt jedoch mit jedem neuen Vorfall auf den Prüfstand. Die meisten Dorfpfarreien können sich Alarmanlagen oder Ähnliches nicht leisten, um ihre Kirchen sorglos offenzuhalten.

Auch radikale Taten

Besonders radikal war die Ermordung des 85 Jahre alten Pfarrers Jacques Hamel am Altar seiner Kirche im Arbeiterort Saint-Etienne-du-Vouvray bei Rouen im Juli 2016. Einer der beiden jungen Islamisten hatte die Tat wie selbstverständlich in den Sozialen Netzwerken angekündigt: «Du nimmst ein Messer, gehst in eine Kirche, du schlachtest jemand ab, trennst zwei oder drei Köpfe ab, damit hat es sich!»

Den Mord verübten sie mit einem Küchenmesser, wie man es zum Gemüseschälen benutzt, stachen einen weiteren 87-Jährigen nieder, der knapp überlebte. Während schon ein Einsatzkommando unterwegs war, begann einer der Islamisten mit den traumatisierten Frauen in der Kirche ein gespenstisches Gespräch über Gott und ihren Glauben.

Austragungsorte von Grabenkämpfen

Und der rechtsextreme Theoretiker und Waffenkundler Dominique Venner erschoss sich im Mai 2013 demonstrativ vor dem Hauptaltar der Pariser Kathedrale Notre-Dame. In seinem Blog schrieb er noch: «Wir treten in eine Zeit ein, in der Worte durch Taten bekräftigt werden müssen», um «die Bewusstlosen aufzuwecken».

Diese Art des vermeintlichen gesellschaftlichen Weckrufs hat vor allem eines bewirkt: In Frankreich sind Kirchen zunehmend zu einem Austragungsort extremistischer Grabenkämpfe geworden.

Datum: 15.02.2019
Autor: Alexander Brüggemann
Quelle: kath.ch

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