Wir sind es derart gewohnt, auf so vielen Ebenen zu «müssen», dass wir gar nicht mehr hinterfragen, was wir eigentlich «wollen». Auch im Glauben sind diese zwei Verben voneinander zu unterscheiden.
Bestimmt gibt es zahlreiche Dinge, die wir tun, weil es sonst unangenehme Konsequenzen für uns
hätte. Wenn du nicht zur Schule gehst oder wenn du nicht bei der Arbeit erscheinst, könntest du
von der Schule fliegen oder deinen Job verlieren.
Wenn du zur Schule gehst, weil du später in deinem Leben einen spannenden und erfüllenden
Job kriegen möchtest, dann musst du nicht mehr zur Schule: Nein, dann hast du gewählt, dass du
zur Schule gehen willst. Wenn du willst, beanspruchst du für dich den Standpunkt der freien Wahl.
Menschen, die dauernd behaupten, zu müssen, widerspiegeln die Position von ausgesprochen
starker Fremdbestimmung.
Es ist schwer nachvollziehbar, dass so viele Menschen sagen, dass sie müssen, müssen, müssen,
wenn sie doch zweifelsohne ein freies Leben führen könnten. Möglicherweise steckt in mancher
hektischen Lebensphase hinter der häufig benutzten Aussage «Ich muss!» eine grosse Portion
Selbstmitleid.
«Ich will» wirkt selbstbewusst
Machen wir es kurz: «Ich muss» – das heisst in Wirklichkeit oft «Ich will»! Ich will
zur Arbeit, ich will zum Sport, ich will noch etwas besorgen, ich will was leisten, ich
will überzeugen, ich will nach Hause, ich will ins Bett. Was denkst du, wie du dich
fühlst, wenn du ab sofort mit «Ich will» auftrittst? Bist du gespannt darauf, wie du
von deinem Umfeld wahrgenommen wirst, wenn du konsequent aussprichst, was
du willst? Richtig: Deine Wirkung gegen aussen wird selbstbewusst, stark, selbstbestimmt, unabhängig und frei. Und diese Ausstrahlung wird ganz bestimmt auch
dein Umfeld positiv zur Kenntnis nehmen.
Zählst du dich zu den Menschen, die in Bezug auf den Glauben mit «Müssen»
und «Wollen» ein gewisses Verständnisproblem haben? Glaubst du, dass du
einen freien Willen hast? Oder ist für dich selbst das kleinste Detail im Leben
von Gott vorherbestimmt und folglich nicht beeinflussbar?
Der freie Wille in der Bibel
Es ist unbestritten, dass der freie Wille eine der persönlichen Eigenschaften von
Gott ist. Und da Gott gesagt hat, dass er uns nach seinem Ebenbild erschaffen
hat (1. Mose, Kapitel 1, Vers 26; 1. Mose, Kapitel 2, Vers 7), ist es doch höchst wahrscheinlich, dass auch wir
Menschen über einen freien Willen verfügen – korrekt?
Als Gott die Schöpfung vollendet hatte, brachte er den Menschen in den Garten
von Eden. Er gab ihm die Aufgabe, den Garten zu bearbeiten und ihn zu bewahren. «Dann schärfte er ihm ein: 'Von allen Bäumen im Garten darfst du essen,
nur nicht von dem Baum, der dich Gut und Böse erkennen lässt'» (1. Mose, Kapitel 2, Verse 16–17). Damit übertrug Gott uns Menschen die Verantwortung im Umgang mit der
Schöpfung, und gleichzeitig überliess er uns die freie Wahl, wie wir diese Pflege wahrnehmen und wovon wir essen wollen. Der Mensch durfte seither tun
und lassen, was er wollte. Wer in der Schöpfungsgeschichte weiterliest, kommt
an die Stelle, wo der Mensch, der abgesehen von dieser winzig kleinen Einschränkung alles hatte, dazu verführt wird, genau von diesem einen Baum der
Erkenntnis zu essen. Damit hat der Mensch gegen Gott rebelliert und sich mit
ihm auf eine Stufe stellen wollen. Diese Selbstinszenierung, dieses Aufplustern
unseres so krass egoistischen Willens konnten die beiden ersten Menschen damals nicht vermeiden – geschweige denn irgendein anderer Mensch seither.
Durch das gesamte Alte Testament der Bibel hindurch hatte Gott den Plan, sein
Volk und schliesslich die gesamte Menschheit zu befreien und zu retten. Doch
erst «durch Christus sind wir frei geworden, damit wir als Befreite leben. Jetzt
kommt es darauf an, dass ihr euch nicht wieder vom Gesetz versklaven lasst»
(Galater, Kapitel 5, Vers 1). Ein grundsätzlich neues, zwangbefreites Wollen entsteht aber nur
durch das Einwirken und den Einfluss von Gottes Geist: «Und doch ist es Gott
allein, der beides in euch bewirkt: Er schenkt euch den Willen und die Kraft, ihn
auch so auszuführen, wie es ihm gefällt» (Philipper, Kapitel 2, Vers 13).
Rahmenbedingungen für den freien Willen
Im Glauben, und ganz generell im Leben, gibt es Rahmenbedingungen, die dich
den uneingeschränkten freien Willen nicht ausleben lassen.
Wenn du Rücksicht auf andere nimmst oder wenn du dich einem Ziel unterordnest, dann geht es nicht um Fremdbestimmung, sondern dann hast du diese
Rahmenbedingungen frei gewählt. Gott wünscht sich, dass wir unser Verhalten
von der Liebe prägen lassen statt von Egoismus. Vorbehaltlose Liebe, die aus
freiem Willen weitergegeben wird und auch einmal verzichten oder hintenanstehen kann, ist das höchste Geschenk.
Gott mag selbstbewusste Menschen, die nicht müssen, sondern von
Herzen gerne eine lebendige Beziehung zu ihm wollen; Menschen, die
in der Konsequenz davon die Rahmenbedingungen einer bewusst gewählten Beziehung oder eines bewusst gewählten Zieles gerne annehmen und einhalten werden.
Dieser Text stammt aus dem Buch «Bibel Coaching» (Fontis-Verlag) von Philippe Hauenstein. Das Buch ist im Livenet-Shop erhältlich.