Wegschauen oder Nähertreten?

Foto: www.bonner-muenster.de

Es gibt in der Beziehungsgeschichte zwischen Gott und Mensch immer wieder Zeiten, in denen Gott schwieg. Es sind jahrelange Abschnitte ohne ein hoffnungsvolles Wort vom Höchsten. Die Zeit der Versklavung des Gottesvolkes in Ägypten waren solche Schweigejahre. Doch noch jedes Mal war es Gott, der den Gesprächsfaden wieder aufnahm – damals mit Mose.

Eines Tages geht der an einem Dornbusch vorbei, so wie an hundert Tagen zuvor auch. Aber diesmal ist etwas anders. Der Busch brennt durch die Gegenwart Gottes! Mose unterbricht seine Arbeit. Er will nachsehen, warum der Strauch brennt und trotzdem nicht verbrennt. Die Wende im Leben von Mose und dessen Volk nimmt ihren Anfang.

Verständnisfrage: An welchem Punkt beginnt der Auszug, was ist der entscheidende Impuls? Es ist das Nähertreten von Mose zu einem unbekannten Phänomen. Es ist seine Neugier, bestimmt aber auch seine Erwartung, vom Besonderen etwas zu lernen. Damit beginnt der Auszug Israels aus der Sklaverei. Mose will sich etwas Ungewöhnliches näher ansehen. Dafür ist er bereit, seine Arbeit, seinen Tagesablauf, seinen Weg zur Herde zu unterbrechen.

Erst mit dem fragenden Nähertreten, wird Mose die Wucht dieses Ereignisses klar. Er betritt heiligen Boden. Jetzt, wo er bereit ist, sich auf etwas einzulassen, dass ausserhalb seiner Erfahrungswelt liegt, tritt ihm Gott entgegen. Was Mose praktisch erlebte, formulierte Jakobus theoretisch: „Naht euch Gott! Und er wird sich euch nahen. Säubert die Hände ihr Sünder, und reinigt die Herzen, ihr Wankelmütigen.“ (Jakobus 4,8)

Mose hätte genügend Gründe gehabt, den Dornbusch links liegen zu lassen. Immerhin rief die Arbeit.

So wie bei uns. Wir bewegen uns ganz im Bereich des Sichtbaren. Hier greifen unsere von Kindsbeinen an gelernten Strategien. Rational und logisch teilen wir die Ereignisse ein und – reagieren auf Unvorhergesehenes mit Ignoranz oder Verärgerung. Ein brennender Busch am Weg – ein Grund stehen zu bleiben?

Suchendes Reagieren auf Unvorhergesehenes, Überraschendes? Rechnen mit der Gegenwart Gottes und seinen Wegen, die vermutlich in den allermeisten Fällen ausserhalb unseres Terminkalenders und Erfahrungshorizonts verlaufen? Ist dieses Suchen in uns verankert? Bei Mose war es das noch, selbst nach 40 Jahren einsamen Hirtenlebens!

Hätte Mose damals den Dornbusch ignoriert oder verärgert zertreten, wären die Konsequenzen enorm gewesen. Mose hätte damit den Auszug aus Ägypten, das Volk Israel, seine Berufung, seinen ganzen, ihm von Gott vorbereiteten Weg, verpasst! Er hätte die Begnung mit Gott und die Erfüllung seines Lebensauftrags verpasst.

Aber er stoppt, schaut sich die Sache aus der Nähe an. Und dann hört er Gott reden. Er erteilt Mose den grossen Auftrag, Israel aus den Fängen des Pharao wegzuführen.

Gott und sein Reich sind jedem Menschen ganz nahe. Er gibt sich auch zu erkennen. Er offenbart sich uns. Aber man muss einmal innehalten, den grauen Alltag unterbrechen und hinschauen auf den Gekreuzigten und Auferstandenen. Auf Christus, der das Bild des unsichtbaren Gottes ist (Kol. 1,17). Dann wird er zu unserem Herzen sprechen.

Rolf Höneisen

Chefredaktor „factum“; www.factum-magazin.ch

Datum: 26.01.2003

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