Wichtiges Übergangsjahr

Algeriens Krise und seine Christen

Der Verzicht des algerischen Präsidenten auf die Beteiligung an den nächsten Präsidentenwahlen kam überraschend. Die evangelischen Christen im Land hoffen jetzt auf Verbesserungen im letzten Amtsjahr Bouteflikas, der 2017 einen wegen Blasphemie verurteilten Christen begnadigt hat.
Abdelaziz Bouteflika

In Algerien hat der gesundheitlich schwer angeschlagene, bewegungs- und sprechbehinderte Präsident Abdelaziz Bouteflika bewiesen, dass sich hinter dieser Fassade ein nach wie vor vernünftig denkender, handlungsfähiger Geist verbirgt: Bei seiner Rückkehr vom zweiwöchigen Spitalaufenthalt in der Schweiz erfüllte er die Forderung Hunderttausender Dauerdemonstranten nach einem Verzicht auf eine fünfte Kandidatur, die seine Umgebung für ihn geplant hatte. Zudem entmachtete er die dafür Verantwortlichen.

Bouteflika ist noch handlungsfähig

Schon früher hatte der seit 2013 von einem Schlaganfall gezeichnete algerische «Dauerpräsident» bewiesen, dass er durchaus noch eigenständig zu denken und zu handeln vermag. So im Fall des wegen Beleidigung Mohammeds zu fünf Jahren Gefängnis verurteilten evangelischen Christen Slimane Bouhafs, eines zu Jesus bekehrten früheren Muslims. Sein «Verbrechen» hatte darin bestanden, auf Facebook Zweifel an der persönlichen Integrität des Islam-Begründers geäussert zu haben. Nach 20 Monaten Haft wurde er jedoch von Bouteflika begnadigt und konnte Ostern 2017 überraschend zu seiner Familie heimkehren.

Nach vertraulichen, jedoch zuverlässigen Informationen aus der Präsidentenkanzlei in Algier war diese Begnadigung keine Routineangelegenheit: Der Staatschef hatte persönlich Bouhafs unter den ihm vorgelegten Fällen vorgezogen.

Einst Hoffnungsträger für die Christen

Der antifranzösische Freiheitskämpfer und langjährige algerische Aussenminister Bouteflika war 1999 zum Präsidenten als Hoffnungsträger für eine Befriedung des Landes nach neun Jahren Bürgerkrieg mit militanten Islamisten gewählt worden. In dieser blutigen Zeit hatten immer wieder Morde an katholischen Bischöfen, Priestern und Mönchen Aufsehen erregt, doch zählten auch die etwa 15’000 Gäubigen der «Protestantischen Kirche von Algerien» (EPA) zu den weniger prominenten, stillen Leidtragenden.

Im Zuge seiner gesetzgeberischen Massnahmen zur Wiederherstellung des religiösen Friedens hatte Bouteflika 2006 auch über das kirchliche Leben der algerischen Christen verfügt. Sein «Gesetz zur Regelung nicht-muslimischer Gottesdienste» sollte diese eigentlich vor Vorwürfen und Angriffen radikaler Islamisten schützen. In den letzten Jahren wurden seine Vorschriften jedoch zunehmend zur Kontrolle und Behinderung des christlichen Lebens missbraucht.

Die Christen als Sündenböcke

Die seit Bouteflikas Erkrankung wieder wachsenden Spannungen zwischen einer immer noch von französisch-laizistischen Vorbildern geprägten Zivilgesellschaft und einem wieder erstarkenden Islamismus verführten dazu, die Regimekritik der Politmuslime auf Algeriens Christen als Sündenböcke abzulenken: Seit 2017 wurden Dutzende evangelische Kirchen geschlossen. Die Behörden begründeten das mit ihrer angeblichen Baufälligkeit, mangelnder Sicherheit oder auch der Teilnahme von ausländischen Gästen an kirchlichen Feiern. Das bedarf in Algerien schon seit 2006 einer Vorausgenehmigung durch die örtliche Polizei.

Hoffnung auf das letzte Jahr des Präsidenten

Die jetzt von Abdelaziz Bouteflika für die Zeit seiner maximal einjährigen Amtsverlängerung angekündigte «Neue Ordnung» wird daher insbesondere den evangelischen Christen mehr Religionsfreiheit und Rechtsschutz bringen müssen. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre ist vor allem das Gesetz von 2006 gerade dort verbesserungsbedürftig, wo es um die angebliche «Blasphemie» von Christen gegen Mohammed und den Koran, Versammlungsfreiheit und Freizügigkeit bei den Kultstätten geht. Wenn der scheidende Präsident das noch schafft, könnte er als wahrer «Landesvater der Versöhnung» in Erinnerung bleiben.

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Datum: 14.03.2019
Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet

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