Bundesgerichtshof entscheidet

Facebook-Urteil: «Im Zweifel für die Meinungsfreiheit»

Facebook darf nach deutschem Recht nicht so einfach Beiträge löschen oder Nutzer sperren. Ein BGH-Urteil hat weitreichende Folgen für die Meinungsäusserung in dem Sozialen Netzwerk und stellt es vor neue Herausforderungen.
Facebook

Bevor Facebook Nutzer sperrt, muss es diese Nutzer über die geplante Sperrung informieren und ihnen die Möglichkeit einer Anhörung geben, damit sie sich erklären können. Bei der Löschung von Beiträgen, weil sie zum Beispiel Hassrede beinhalten, muss Facebook die Nutzer zumindest nachträglich informieren. Das entschied der Bundesgerichtshof (BGH) Ende Juli und erklärt sein Urteil nun in einer Pressemitteilung. Anlass für die Verhandlung war eine Klage von zwei Nutzern, von denen Facebook im Jahr 2018 zwei Beiträge gelöscht hatte, weil sie sich abschätzig über Muslime und Zuwanderung geäussert hatten. Die Nutzer klagten dagegen.

Weil laut BGH in den Löschregeln von Facebook bisher nicht steht, dass Nutzer informiert werden oder sie die Möglichkeit bekommen, sich zu erklären, seien diese Regeln derzeit unwirksam – auch in Bezug auf die gelöschten Beiträge der beiden Kläger. Facebook müsse diese Beiträge deshalb wieder freischalten und dürfe sie auch nicht erneut löschen. Laut Facebook verstiessen die beiden Beiträge gegen die Gemeinschaftsstandards des Netzwerks, denen jeder Nutzer zustimmen muss. Sie sollen anstössige oder diskriminierende Inhalte verhindern. Nicht alle Äusserungen, die Facebook verbietet, verstossen jedoch gegen deutsche Gesetze.

In einem der Beiträge wurde ein Video kommentiert, in dem eine Person mit Migrationshintergrund es ablehnt, von einer Polizistin kontrolliert zu werden. In dem Text hiess es unter anderem: «DIE WERDEN SICH HIER NIE INTEGRIEREN UND WERDEN AUF EWIG DEM STEUERZAHLER AUF DER TASCHE LIEGEN … DIESE GOLDSTÜCKE KÖNNEN NUR EINES MORDEN … KLAUEN … RANDALIEREN … UND GANZ WICHTIG … NIE ARBEITEN.»

Im zweiten Kommentar hiess es in dem von Facebook gelöschten Beitrag unter anderem: «Deutsche Menschen werden kriminalisiert, weil sie eben eine andere Ansicht von ihrem Heimatland haben als das Regime. Migranten können hier morden und vergewaltigen und keinen interessiert's!»

Laut BGH waren diese beiden Äusserungen aus dem Jahr 2018 von der Meinungsfreiheit gedeckt. In den Fällen kollidiere die Freiheit der Meinungsäusserung mit der Berufsausübungsfreiheit von Facebook. Diese stelle sicher, dass Facebook grundsätzlich dazu berechtigt sei, Kommunikationsstandards vorzuschreiben, Beiträge zu löschen oder Nutzer zu sperren. Nach deutschem Recht müsse sich das Netzwerk jedoch dazu verpflichten, «den betreffenden Nutzer über die Entfernung eines Beitrags zumindest nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos vorab zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und eine Möglichkeit zur Gegenäusserung einzuräumen».

Trump könnte wieder freigeschaltet werden

Das Urteil des BGH sei wegweisend, weil es zum einen zeige, dass Facebook das Recht habe, «seinen Nutzern bestimmte Kommunikationsstandards» vorzugeben und «löschen und sperren darf, wenn die dagegen verstossen», sagte Rechtsanwältin Pia Lorenz im «FAZ Einspruch Podcast». Zum anderen zeige das Urteil, dass Facebook Standards setzen dürfe, die über das deutsche Strafrecht hinausgehen. Das sei ein «sehr weites virtuelles Hausrecht». Das fördere zwar eine Kommunikationskultur, in der sich viele Nutzer wohlfühlten. Aber damit könne ein privates Unternehmen aufgrund eigener Kriterien Meinungsäusserung «völlig unterbinden». Und das, obwohl Facebook durch seine Grösse «öffentliche Kommunikation faktisch möglich» mache.

Bisher findet sich in den Nutzungsbedingungen von Facebook kein Hinweis auf ein Anhörungsverfahren, das das BGH fordert. Bis das geschaffen ist, sei alles, was nach deutschem Recht nicht strafbar ist, auf der Plattform erlaubt, schreibt FAZ-Autor Rolf Schwartmann in einem aktuellen Artikel der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» über das BGH-Urteil. Derzeit gelte damit deutsches Strafrecht als Massstab für Löschungen und Sperrungen bei Facebook. «Nichts, was bei Facebook gepostet ist, darf mehr gelöscht werden, wenn es nicht strafbar ist.» Darüber hinaus hat das Urteil auch Konsequenzen für die alten Beiträge: «Alles, was in der Vergangenheit gelöscht wurde, muss Facebook daraufhin überprüfen, ob es strafbar ist. Anderenfalls kann Facebook mit Erfolg auf Freischaltung der gelöschten Beiträge verklagt werden.» So könnte theoretisch auch Donald Trump in Deutschland seine Sperre für Facebook aufheben lassen und alle seine Posts wieder freischalten lassen, schreibt Schwartmann.

Kein Freibrief für Hass und Hetze

Das Urteil stärke die Meinungsfreiheit, schreibt Schwartmann, die «nicht deswegen faktisch abgeschafft werden darf, weil deren Wahrung die Anbieter sozialer Netzwerke und einen Teil der Nutzer überfordert». Ein Anhörungsverfahren sei wichtig, um auf Tatsachenbasis über Löschen und Sperren entscheiden zu können – und nicht, weil ein automatischer Filter vermeintlich Verstösse erkannt hat. Diese Regel gelte auch für andere Privatunternehmen und ähnele dem Widerspruchsverfahren in der Verwaltung. Wenn in den Nutzungsbedingungen nicht auf alle Regeln hingewiesen werde, stelle das eine Benachteiligung des Nutzers dar. Die Konsequenz zeige sich wie im aktuellen Urteil für Facebook. Die Grundrechte der Nutzer müssten immer geschützt sein.

Auch wenn einige das Urteil als Freibrief für Hass und Hetze im Netz wahrnehmen könnten, setze es lediglich die Verfassung um. Schwartmann verweist auf eine Äusserung des ehemaligen Verfassungsrichters Johannes Masing, der einmal gesagt habe: Der Freiheitsanspruch des Grundgesetzes sei schwer zu ertragen. Die Meinungsfreiheit erlaube es aber, jede Meinung zu äussern. Die Grenzen lägen nämlich nicht im Inhalt, sondern in der Form der Äusserung. «Übersetzt bedeutet das: Man darf eine Person nicht mögen, man darf ihr das und vieles, was schlimm ist, auch sagen. Man darf sie dabei aber nicht beleidigen.» Über allem stehe schlussendlich der Verfassungssatz: «Im Zweifel für die Meinungsfreiheit».

Jetzt sei es an Facebook, seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen anzupassen, schreibt Schwartmann. Aufgabe des BGH, hier genaue Anweisungen zu geben, sei das nicht.

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Datum: 16.08.2021
Autor: Swanhild Zacharias
Quelle: PRO Medienmagazin

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