Schweizer Menschenrechtsaktivistin über die Hintergründe
Der Prozess gegen ehemalige katalanische Regierungsmitglieder, die am 1. Oktober 2017 ein Unabhängigkeitsreferendum zur Abstimmung brachten, das zur Ausrufung einer unabhängigen Republik führte, endete am Montag mit einem harten Urteil: Der ehemalige katalanische Vizeministerpräsident Oriol Junqueras wurde zu 13 Jahren Haft wegen Aufruhr verurteilt, drei ehemalige Kabinettsmitglieder erhielten zwölf Jahre Freiheitsentzug, die ehemalige Parlamentspräsidentin 11,5 Jahre, zwei weitere ehemalige Mitglieder der Regionalregierung sowie zwei Bürgerrechtler wurden ebenfalls zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, und drei katalanische Politiker wegen zivilen Ungehorsams mit hohen Geldstrafen belegt.
Monika Diethelm, Sie
gelten als «Frau mit der gelben Schleife» und setzen sich bewusst für die
Unterstützung der Angehörigen der ehemaligen katalanischen Regierung ein. Wie
ist Ihre Reaktion auf den Urteilsspruch?
Monika Diethelm: Ich habe harte Strafen erwartet, bin aber
dennoch sehr erschüttert, dass neun Personen für die Ausübung der Demokratie zu
vielen Jahren Gefängnis verurteilt wurden. Es ist offensichtlich, dass die
Verurteilten die ihnen zur Last gelegten Taten nicht begangen haben, sondern
dass Zusammenhänge konstruiert wurden, um die politische Frage der Zukunft von
Katalonien juristisch «lösen» zu können. Führende Juristen aus ganz Spanien haben
immer wieder dargelegt, dass die Verurteilten unschuldig sind.
Nach dem Urteil kam es zu
Ausschreitungen; der katalanische Regierungschef Torra begrüsste die «Märsche
für die Freiheit». Wie stehen Sie dazu?
Man muss genau unterscheiden: Die weitaus
meisten Aktivitäten sind friedlich, so wie die erwähnten «Märsche der Freiheit»,
und folgen den Prinzipien des zivilen Ungehorsams von Mahatma Gandhi oder
Pfarrer Martin Luther King. Die wenigen Ausschreitungen werden naturgemäss viel
mehr beachtet. Es gibt Hinweise, dass sie zum Teil von Provokateuren ausgelöst
wurden. Der katalanische Präsident Torra hat sich klar von der Ausübung von
Gewalt distanziert. Die Polizei hat auch oft friedliche Demonstranten
angegriffen und verletzt, u.a. ein Mitglied des Parlamentbüros.
Wie kommt es, dass Sie sich neben Ihrer
Arbeit als Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie so intensiv für die
Unabhängigkeit Kataloniens einsetzen? Gibt es persönliche Bezüge?
Ich war während des Referendums vom 1.
Oktober 2017 in Spanien, als spanische Polizeikräfte über 1000 Wähler verletzt
haben, sodass ich diese Ereignisse intensiv mitbekommen habe. Dazu kommt, dass
ich mich seit meiner Jugend für Menschenrechte engagiere. Ausserdem war meine
Mutter jüdischer Abstammung und fand als Emigrantin in der Schweiz Schutz vor
Nazideutschland, sodass mich auch das Schicksal der katalanischen Politiker im
Exil in Belgien, Schottland und der Schweiz berührt.
Erzählen Sie von Ihren Aktivitäten zur
Unterstützung Katalonien. Sie haben sogar Katalanisch gelernt…
Ja, ich bin immer noch daran, Katalanisch
zu lernen, und freue mich sehr, dass ich mich immer besser in dieser Sprache
verständigen kann. Ich versuche, so gut wie möglich über die Ereignisse in
Katalonien zu informieren, mit Tweets, Leserbriefen, Interviews und Gesprächen
mit interessierten Leuten. Als Mitglied des Vereins «ANC Schweiz» und der
Gruppe «Foreign Friends of Catalonia» helfe ich auch beim Übersetzen von Texten
für Veranstaltungen, Medieninformationen, etc. In diesen Gruppen sind wir alle
unbezahlte Freiwillige. Und schliesslich schreibe ich jeden Monate Briefe an
die Verurteilten, um sie zu ermutigen und ihnen zu zeigen, dass sie nicht
allein sind.
Spielt Ihr Glaube eine Rolle bei Ihrer
Motivation, sich in die Beziehungstragödie zwischen Katalonien und Spanien
einzumischen?
Ja, sehr. Einige der jetzt Verurteilten
sind gläubige Christen, zum Beispiel Oriol Junqueras oder Quim Forn. Sie haben
mich mit der Art und Weise, wie sie ihr Schicksal annehmen, in meinem Glaubens-
und vor allem Gebetsleben sehr ermutigt. Ich bete regelmässig für Katalonien.
Auch manche meiner Freunde in Katalonien oder die Familie eines der politischen
Gefangenen, mit der ich ab und zu Kontakt habe, freuen sich darüber, dass ich
für sie bete.
Was ist Ihr Wunsch für Katalonien und
Spanien?
Mein Wunsch ist, dass sie sich an einem Verhandlungstisch treffen können – mit einer internationalen Mediation, zu der zum Beispiel die Schweiz bereit ist. Und dass sie sich auf eine Volksabstimmung in Katalonien einigen, mit der das katalanische Volk entscheiden kann, ob es unabhängig werden oder Teil Spaniens bleiben will. Und natürlich, dass die Gefangenen freigelassen werden und die Exilierten in ihre Heimat zurückkehren können.
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Datum: 19.10.2019
Autor: Meike Ditthardt
Quelle: Livenet