Kommentar: Schöne neue Sonntagswelt?

Sonntagsarbeit

Vor einigen Jahren fassten die Vereinten Nationen den Beschluss, künftig nicht mehr den Sonntag, sondern den Montag als den ersten Tag der Woche anzusehen. Als ein Institut der Meinungsforschung vor einiger Zeit nach der Wichtigkeit der Zehn Gebote fragte, kam das Dritte Gebot "Du sollst den Tag des Herrn heilig halten" auf den letzten Platz. Nur ein Drittel der Befragten wollte es noch für heute gelten lassen.

Von Bruno Graber

Es gab Zeiten, da riss man gotische Kathedralen ab, weil man sie nicht mehr gebrauchen konnte. Man war der Meinung, sie seien überflüssig und eigentlich nur im Weg. Heute wundern wir uns über soviel Unverstand. Aber machen wir es zur Zeit besser?

Der Sonntag ist dazu da, den Menschen eine Chance zur Ruhe und damit zur Freiheit von der Arbeit zu geben. Er ist mit die älteste soziale Einrichtung der Menschheit und hatte etwa mit der von Gott begründeten Menschenwürde zu tun. Sein Hauptsinn ist die Ruhe von der Arbeit. Er sollte aber auch Freiraum zum Nachdenken geben, in diesem Sinne ist er wahrhaft ein „Denkmal".

"Der siebte Tag soll ein Ruhetag sein, der dem Herrn, deinem Gott, gehört. An diesem Tag, sollst du nicht arbeiten."

Dieses Sabbatgebot in der Bibel schützt vor Ausbeutung. Menschen treiben andere Menschen in Arbeit ohne Rücksicht auf Personal, Bodenschätze, Natur, allein zum eigenen Gewinn oder Ansehen. Deshalb wird dieses Gebot im 5. Buch Moses (Kapitel 5) so begründet:

"Denk daran, dass du selbst in Ägypten Sklave warst und der Herr, dein Gott, dich mit starker Hand und erhobenem Arm von dort in die Freiheit geführt hat. Deshalb befiehlt er dir, den Tag der Ruhe einzuhalten."

Das Sabbatgebot schützt vor Selbstausbeutung. Wir gefährden unser Leben nämlich auch dadurch, dass wir uns selbst in die Arbeit treiben, sei es aus Angst vor Entlassung, sei es aus blanker Existenznot, sei es aus Lust an der Arbeit, sei es aus blankem Gewinnstreben. Weil die Verführung zur Selbstausbeutung gross ist.

Natürlich bin ich mir bewusst, dass in einer hochzivilisierten Gesellschaft ständig einige Arbeiten ausgeführt werden müssen. Darum geht es ja auch nicht in diesem neuen Gesetz. Es ist sicher richtig, dass wir notwendige Dienste wie Polizei, Krankenpflege und öffentliche Verkehrsmittel auch am Sonntag aufrechterhalten. Und Dienstleistungen, die der Beziehungspflege und der Erholung dienen, sind bis zu einem gewissen Grad auch zu rechtfertigen. Doch wo ist die Grenze? Müssen wir immer alles sofort einkaufen können?

Viele argumentieren, dass mit der Öffnung an Bahnhöfen Arbeitsplätze geschaffen werden können. Aber wenn wir genauer hinsehen, handelt es sich nur um die Verschiebung von Einkäufen aus der Woche, also einzig um eine Verlagerung.

Das Ringen um den Sonntag hat sich in den letzten zwei Jahren intensiviert. Nun hat die Wirtschafts- und Abgabenkommission im Eilverfahren einen Antrag auf Änderung des Arbeitsgesetzes ans Parlament gerichtet, damit Läden an Bahnhöfen nicht nur für den Reisebedarf, sondern auch generell am Sonntag geöffnet werden können. Die Bahnhöfe sollen zu Sonntags-Einkaufszentren werden!

Viele argumentieren, dass mit der Öffnung an Bahnhöfen Arbeitsplätze geschaffen werden können. Aber wenn wir genauer hinsehen, handelt es sich nur um die Verschiebung von Einkäufen aus der Woche, also einzig um eine Verlagerung. Und sind wir wirklich gezwungen, den Sonntag zu opfern, damit wir ein Auskommen für alle schaffen können?

Der freie Sonntag sollte aber idealerweise ein Tag sein, den die Menschen geniessen können, der ihrem Leben mehr Qualität gibt, auf den sie sich freuen. Aus der Wechselbeziehung zwischen Alltag und Sonntag beruht die Fähigkeit der Gesellschaft zum Feiern. Denn das Fest ist mehr als "Freizeit" und Freiheit von der Erwerbsarbeit und dient nicht nur zur Regeneration für die Arbeit. Wenn das nicht gelingt, ist die ursprüngliche Bedeutung, das von Gott angestrebte Ziel verfehlt; und dann können wir auf den Sonntag auch verzichten.

Dies hat auch Folgen für unseren Umgang mit der Welt. Wer den Sonntag bewusst geniesst, sieht auch die Welt anders. Er freut sich an ihrer Schönheit und kann gelassener werden.
Der Sonntag als besonderer Tag der Woche hat aber auch einen hohen sozialen, kulturellen und religiösen Wert. Der Sonntag leistet viel für die Kultur, denn er führt Menschen zusammen. Die festliche Gemeinschaft ist für ein erfülltes menschliches Leben unentbehrlich. Denn feiern kann niemand allein. Der Kern seiner Besonderheit ist also die gemeinsame freie Zeit, nicht zu vergleichen mit einem anderen freien Wochentag. Der Sonntag sieht dafür genügend Zeit- und Spielräume vor. Gemeinsame Zeit ist also die Voraussetzung für gesellschaftliches Leben und die Pflege sozialer Beziehungen in einer zu Individualisierung und Vereinzelung neigenden Gesellschaft und sichert deren Überleben.

Das dramatische Ansteigen sozialer Störungen zwischen den Menschen und die damit verbundenen seelischen Erkrankungen, die sich mittlerweile auch als gesellschaftliche Folgekosten in Millionennhöhe berechnen lassen, sind ein dramatisches Signal in dieser Richtung. Die Zersplitterung, Zerstörung und Auflösung bestimmter Zeitstrukturen, begründet durch noch so stichhaltige Sachzwänge und ökonomische Zusammenhänge, gefährden auch die menschliche Beziehungsfähigkeit und damit das Fundament einer humanen Gesellschaft.

Die Bibel formuliert diese grundsätzliche Frage in unvergleichlicher Weise so: "Was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, und doch Schaden nimmt an seiner Seele ?"

Wollen wir eine Gesellschaft, die rund um die Uhr nur von Ökonomie bestimmt wird? Die Vorlage geht nun an den Ständerat. Es ist noch nicht zu spät: Beten und protestieren sind angesagt.

Artikel zum Thema: Sonntagsarbeit: Ladenöffnungszeiten sollen gelockert werden

Datum: 18.03.2004
Autor: Bruno Graber
Quelle: Livenet.ch

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