Nordkorea: Hält Kim die absolute Macht nicht länger?
Nordkorea-Beobachter stimmen überein: Das Land macht einen
beispiellosen Wandel durch. Die jüngsten Entwicklungen bestärken die
Vermutung: Kim Jong-Un hält die absolute Macht nicht länger.
Nordkoreas Führer Kim Jong Un
Seit
Anfang September ist Kim Jong-Un in der Öffentlichkeit nicht mehr
gesehen worden. Hochrangige Offizielle sind ins Rampenlicht gerückt,
ohne dem «Supreme Leader», wie Kim unter anderem genannt wurde, den
obligaten Tribut zu zollen.
Das bedeutet nicht, dass das nordkoreanische Regime
auseinanderbröckelt. Jang Jin-sung, einst selbst Mitglied der
«Organisations- und Führungsabteilung», zeigt auf, dass die
nordkoreanische Delegation bei der Schlusszeremonie der Asien-Spiele auf
die Huldigungen auf Kim Jong-Un verzichtet hat. Ein weiteres Indiz ist,
dass Hwang Pyong-so, die Nummer zwei des Landes, in Seoul mit
Bodyguards unterwegs war. Bisher hatte immer nur der Führer Leibwächter
um sich. Jang: «Das war eine schroffe und arrogante Machtdemonstration.»
Kim nicht mehr allmächtig
Hwang sagte zudem vor Medien, dass es Kim Jong-Un gut gehe. Bei
dieser Aussage lächelte er. Bisher waren Fragen nach der Gesundheit des
Führers immer erzürnt beantwortet worden, weil dies bisher als
Beleidigung des als nahezu allmächtig angesehenen Kim galt.
Laut Jang und anderen Analysten ist Nordkorea in einer strategischen
Verwirrung. Jedoch scheint die politische Elite hinter Kim Jong-Un an
der Macht zu sein. Doch um diese zu legitimieren benötigt es – zumindest
war das bis anhin so – jemanden aus der Blutlinie Kims.
Wandel unwahrscheinlich
Auch wenn die Regierung mehr Gesichter erhält, ist eine sofortige
politische Änderung unwahrscheinlich. Hwang und andere aus dem Zentrum
der Macht wollen ihre Position halten. Eine Reform wie in China dürfte
nicht eintreten.
Ausserdem kühlte sich die Beziehung zwischen den beiden Nationen
merklich ab, einerseits durch die Exekution von Kims Onkel Jang
Song-Thaek, einem Freund Chinas, andererseits durch einen Nukleartest.
Hwangs Auftritt kann auch als Charmeoffensive gegenüber Südkorea und
anderen Ländern gewertet werden. Ein grösserer Wandel ist jedoch nicht
zu vermuten, erst recht nicht, nachdem Nordkorea neulich einen internen
Menschenrechtsreport publizierte, der nicht die geringste
Menschenrechtsverletzung im Land feststellte.
Auf alles vorbereitet sein
Diese Indikatoren zeigen, dass Nordkorea kaum von den
Nuklear-Ambitionen, der Militär-Zuerst-Politik («Son Gun») und der
Verletzung von Menschenrechten abweicht. Wenn die Regierung ein anderes
Gesicht aufsetzt, heisst das noch nicht, dass sich ihr Charakter ändert.
Für die Christen, die ihren Glauben im Geheimen leben müssen, dürfte
sich in nächster Zeit nichts ändern. Christen und Personen, welche die
Regierung als Oppositionelle darstellt, dürften weiterhin als
Staatsfeinde verfolgt werden.
Auch wenn offenbar keiner mehr die absolute Macht besitzt, bedeutet
dies nicht, dass das Regime verletzlich geworden ist. Doch die Risse in
der Machtstruktur können weiter einreissen. «Wir müssen auf jedes
Szenario vorbereitet sein», sagt der «Open-Doors»-Koordinator für
Nordkorea (Name aus Sicherheitsgründen nicht genannt).
Seit über zehn Jahren führt «Open Doors» das verschlossene Reich auf Rang 1 des jährlichen Weltverfolgungsindexes.