Elternsein

Vorsätze und Schuldgefühle

Larissa Lengg und ihre Familie
Ich möchte weniger Schimpfen, ich möchte weniger «schlechte» Laune haben, ich möchte meine Kinder mehr geniessen und noch viele weitere. Kennen Sie solche Vorsätze, um als Eltern weniger Schuld zu empfinden?

Die schlechte Nachricht ist, Schuldgefühle kommen mit dem Elternsein und die gute Nachricht ist, sie sind normal. Kinder lösen in uns Eltern viele Emotionen aus. Emotionen von Mitgefühl, Fürsorge, Alarm, Frustration und eben auch Schuldgefühle. Schuldgefühle zeigen uns, dass etwas, für das wir Verantwortung tragen, nicht so funktioniert, wie wir es uns vorstellen. Wir machen uns Vorwürfe. Gleichzeitig sagen wir uns und hören es auch von anderen Menschen: «Das musst du doch nicht, das passiert eben, du musst dir deswegen keine Schuldgefühle machen.»

Der richtige Umgang mit Emotionen

Sind solche Botschaften wirklich hilfreich? Wohl eher nicht, auch wenn sie total gut gemeint sind. Was passiert dann nämlich ganz oft? Wir Menschen versuchen, Schuldgefühle zu unterdrücken, doch unbewusst sind sie trotzdem da. Unbewusst wollen wir wahrscheinlich dann beim Kind alles wieder gut machen. Erziehen aus schlechtem Gewissen und Angst wird uns aber dazu führen, nicht nein zu sagen und möglichst dafür zu sorgen, dass alles für die Kinder funktioniert. Jedoch nehmen wir ihnen dann die Sicherheit weg, dass sie sich auf uns stützen können, wenn sie widrigen Umständen begegnen.

Gäbe es vielleicht einen anderen Weg mit Schuldgefühlen umzugehen? Aus den Neurowissenschaften weiss man, dass Emotionen immer einen Ausgang suchen. Es sind instinktive Impulse, die uns bewegen sollen. Sie funktionieren wie Elektrizität, aufladen, entladen. Versuchen wir Emotionen zu unterdrücken, werden sie explodieren oder implodieren. Geben wir ihnen einen Ausdruck, fassen sie in Worte und fühlen sie, können sie sich entladen.

Dies ist ein verletzlicher Vorgang und was wir dafür brauchen, sind weiche Herzen. Es ist alarmierend und gleichzeitig befreiend, Gefühlen Raum zu geben. Gefühlte Emotionen helfen uns auch, Entscheidungen aufgrund unserer Werte und nicht aus ungefühlten und unberechenbaren Impulsen zu treffen. Es ist wesentlich für unsere emotionale Gesundheit, was für einen Umgang wir mit den eigenen Emotionen haben.

Raum geben

Wie wäre es nun, wenn wir unseren Schuldgefühlen etwas Raum geben würden? Den Schmerz zulassen, ja, ich fühle mich schuldig, weil ich nicht so gehandelt habe, wie ich es mir gewünscht habe. Ja, es schmerzt mich, dass ich es nicht geschafft habe, meinem Vorsatz treu zu bleiben. Oder ja, ich fühle mich zwar schuldig, bin aber nicht mit diesen Schuldgefühlen einverstanden, es macht sich wohl eine Prägung bemerkbar. Da darf ich hinschauen.

Bekommen Emotionen Raum, treten sie als Gefühle in unser Bewusstsein und brauchen eigentlich viel weniger Platz. Was nicht heissen muss, dass wir unseren Vorsatz in jedem Fall über Bord werfen, sondern dass wir dadurch loslassen und jeden Tag wieder neu beginnen können. Denn was sein darf, kann sich verändern. Schuldgefühle helfen uns, gerade dabei hinzuschauen und gegebenenfalls auch etwas zu verändern.

Die Bibel spricht davon, dass wir unsere Schuld bekennen sollen. Wieso also nicht auch unsere Schuldgefühle vor Gott bringen? Bekennen und offenbaren tut unserer Seele gut und macht Gottes Gnade erlebbar. Wenn ich ihm meine Schuldgefühle bekenne, erlebe ich, wie Gott zu mir sagt: «In deinen grössten Stürmen und Kämpfen, schaue ich dich mit meinem liebevollen Blick an. Ich bin immer da. Ich gehe nicht weg. Ich tröste dich. Dir ist vergeben.» Das bedeutet für mich bedingungslose Liebe, die Jesus am Kreuz versprochen hat und Freiheit. Es fällt eine Last von uns ab, wenn wir Vergebung empfangen dürfen, wenn wir nicht verstecken müssen, wie wir uns verhalten haben oder was gerade in uns ist.

Was wir von unseren Kinder lernen können

Ein weiterer «Effekt» ist, dass wir Erwachsene durch das Fühlen von dem, was wir nicht ändern können, reifen. Unsere Kinder geben uns so viele Gelegenheiten, Vergeblichkeiten in unseren Leben zu fühlen. Das ist sehr schmerzhaft, doch durch die Adaption, also die Anpassungsfähigkeit an Dinge, die wir nicht ändern können, reifen Menschen. Adaption führt zu Resilienz. Resilienz ist die Fähigkeit, nach Krisen wieder auf die Beine zu kommen und sie zum Anlass für Wachstum zu nutzen. Wir brauchen dies dringend, um emotional gesund zu sein und zu bleiben.

Zu überlegen wäre ebenfalls: Sind die Vorsätze, die ich mir gemacht habe, denn überhaupt gesund oder vielleicht sogar toxisch? Anstelle von «Ich möchte weniger schimpfen» wäre es vielleicht besser zu fragen «Warum bin ich so frustriert, was steckt dahinter?». Ein Vorsatz würde dann vielleicht lauten: «Ich möchte ergründen, warum mich die Situation triggert.» Mit Neugier auf sich selbst zu blicken, hilft, sich auf einen tieferen Prozess einzulassen und barmherzig mit sich selbst zu sein.

Eltern sein bietet eine Reise zu uns selbst. Lassen wir uns auf sie ein, wird sie Wachstumsschmerzen beinhalten und gleichzeitig viele Früchte wie eben Resilienz und Geduld mit sich bringen. Der Heilige Geist wird uns auf dieser Reise helfen und mit Trost zur Seite stehen.

Simpel und einfach

Wir können auch unsere Kinder in ihrer Reifwerdung und emotionaler Gesundheit unterstützen. Was sie dafür brauchen, sind wir Eltern. Eine sichere Bindung, sich willkommen, nahe und angenommen zu fühlen in der Gegenwart der Eltern, ist das grösste Bedürfnis der Kinder. Können wir Eltern unseren Kindern diese sichere, bedingungslose Bindung geben, die wir Christen auch durch Jesus erfahren dürfen, setzen wir den Nährboden für gesundes Wachstum. Kinder reifen da, wo sie in der Beziehung zu uns ruhen können, wo Emotionen Raum haben, denn sie sind der Antrieb für ihre Reifwerdung und wo Raum für echtes Spiel besteht.

Dieser Artikel erschien zuerst im Blog Familiesein von der Elternberaterin Larissa Lengg.

Zur Website:
Familiesein.ch

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Datum: 19.08.2023
Autor: Larissa Lengg
Quelle: familiesein.ch

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