«Die Zeit in Honduras half mir, mein interkulturelles Verständnis zu stärken»
Livenet:
Matthieu Dobler Paganoni, wie verlief der Start in diese neue Aufgabe?
Matthieu Dobler Paganoni: Es war ein
intensiver, spannender und lehrreicher Start. Die Aufgaben sind sehr vielseitig
und ich freue mich, dass ich mich bei INTERACTION/StopArmut engagieren kann.
Das bestehende Team hat sicherlich auch viel dazu beigetragen, dass ich mich
gut in meine neue Rolle einarbeiten konnte.
Sie
waren ja nach Ihrem Studium während fünf Jahren in Honduras beim christlichen
Hilfswerk «Mennonite Central Comittee» tätig. Was waren dort Ihre
Spezialgebiete?
Mennonite
Central Committee (MCC) engagiert sich im Namen Christi für nachhaltige
Entwicklung, humanitäre Hilfe und Friedensarbeit. Mit meiner Frau, leitete ich
das Länderprogramm von MCC in Honduras. Dies bedeutete vor allem lokale
Partnerorganisationen (Kirchen und NGOs) in der Planung, Umsetzung und
Evaluierung ihrer Entwicklungsprojekte zu unterstützen und ein interkulturelles
Team zu führen. In unserer Arbeit war ein thematischer Schwerpunkt die
Friedensarbeit, welche wir mit unseren Partnern versuchten auf mehreren Ebenen
zu fördern.
Inwiefern
hilft Ihnen diese Erfahrung in Ihrer heutigen Arbeit als Leiter von
INTERACTION?
Die Zeit in
Honduras half mir, mein interkulturelles Verständnis zu stärken sowie Fragen zu
Armut und Gerechtigkeit aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. In der
internationalen Zusammenarbeit erscheint es mir wichtig, die Perspektiven der
lokalen Bevölkerung bewusst beachten zu wollen, zuhören zu können und eine
Haltung des gemeinsamen Lernens zu fördern. Dies möchte ich nicht aus den Augen
verlieren, auch wenn ich jetzt wieder in der Schweiz tätig bin. Zudem habe ich
erlebt, wie effektiv die Zusammenarbeit verschiedener entwicklungspolitischer
Organisationen in Netzwerken sein kann. Gemeinsam kann mehr bewirkt werden und
man kann mit einer geeinten Stimme sprechen. Und nicht zuletzt haben mir meine
Erfahrungen die Dringlichkeit für mehr «Advocacy» im globalen Norden vor Augen
geführt um Veränderungen bei uns herbeizuführen, welche Auswirkungen auf den
globalen Süden haben.
Wo
wollen Sie in den kommenden Jahren als Leiter von INTERACTION Schwerpunkte
setzen? Welche Ziele wollen Sie verfolgen?
Ein Ziel
ist sicherlich, den Dachverband Interaction als führende Stimme christlicher
Hilfswerke zu positionieren und zu stärken. Ich denke auch, dass Interaction
durch die 34 Mitgliedsorganisationen das Potential hat noch vermehrt als
glaubensbasiertes Kompetenzzentrum für Entwicklungszusammenarbeit und
humanitäre Hilfe wahrgenommen zu werden und eine starke Lernkultur zu
entwickeln. Zudem möchte ich mich inhaltlich dafür einsetzen, dass vermehrt
friedenstheologische Akzente gefördert werden und unsere StopArmut-Kampagne
noch bekannter wird als eine starke christliche Stimme, die sich für globale
Gerechtigkeit engagiert.
In Ihre
Zuständigkeit fällt ja auch die StopArmut-Konferenz, welche am 23. November
2019 in Aarau zum Thema «Zero Hunger» durchgeführt wird. Sie glauben also
daran, dass eine Welt ohne Hunger möglich ist?
Laut der
FAO (Food and Agriculture Organisation) könnten heute problemlos 12 Milliarden
Menschen ernährt werden. Und doch geht jeder neunte Mensch – also insgesamt
rund 820 Millionen – mit leerem Magen ins Bett. Hunger ist daher kein Zufall,
sondern Produkt von ungerechter Verteilung, ausbeuterischen Strukturen und einem
System, welches einige bevorzugt und viele benachteiligt. Dass eine
Verbesserung der Lage möglich ist, zeigen Zahlen der UNO. Im Vergleich zu
1990-92 hat sich die Anzahl hungernder Menschen um 216 Millionen verringert,
trotz des Anstiegs der Weltbevölkerung um 1.9 Milliarden Menschen. Seit 2015
ist die Anzahl an betroffenen Menschen jedoch wieder angestiegen. Es braucht
daher noch riesige Anstrengungen, wenn man das UN-Ziel «Zero Hunger» bis 2030
erreichen will. Umso mehr sehe ich es als Aufgabe Zeichen der Hoffnung zu
setzen sowie politische und wirtschaftliche Entscheidungsträgerinnen und
Entscheidungsträger zum Handeln aufzufordern.
Welche
konkreten Massnahmen wollen Sie im Rahmen der StopArmut-Kampagne 2019 beim
Kampf gegen Hunger in den Vordergrund stellen?
Die
Konferenz setzt mit Lösungsansätzen auf drei Ebenen an: Der individuelle
Lebensstil, die eigene Kirch-Gemeinde und das kollektive politische Engagement.
Einerseits soll die Konferenz informieren und die Problematik aus verschiedenen
Blickwinkeln beleuchten und erklären. Andererseits werden durch verschiedene
Workshops konkrete Wege aufgezeigt, wie Frau und Mann einen Beitrag zur
Überwindung von Hunger leisten können. Da geht es beispielsweise um Themen wie
Food Waste, Klimafarming, ressourcenschonendes Leben und der Einfluss von
Konzernen auf Saatgutsysteme. Am Schluss der Konferenz werden wir das Eco
Church Netzwerk initiieren. Als neue Plattform für Kirchen in der Schweiz zeigt
es Wege auf, um nachhaltiger und gerechter zu leben, was indirekt auch mit der
Hungerproblematik verbunden ist.
Sie
betonen in der Ausschreibung zur Konferenz auch, dass jede Person durch Ihren
eigenen Lebensstil einen Beitrag leisten kann. Wie setzen Sie dies persönlich
in Ihrem Alltag um?
Ein Aspekt
ist sicherlich meine Berufswahl, durch welche ich versuche mich in Themen zu
engagieren, welche mir für die Zukunft dieser Welt als wichtig erscheinen. In
den letzten Jahren in Honduras begleitete ich eine lokale Partnerorganisation,
welche Subsistenzbäuerinnen und Bauern beim nachhaltigen Anbau von Mais und
Bohnen unterstützte. Die lokale Bevölkerung litt regelmässig an Hunger aufgrund
von ausbleibendem Regen und ungerechter Verteilung der Wasser- und
Landressourcen. Sonst versuche ich meine eigenen Konsummuster regelmässig
kritisch zu hinterfragen und möchte mich in Zukunft vermehrt auch noch
politisch für Lösungen einsetzen.
Zur
Person
Matthieu
Dobler Paganoni studierte Soziologie und Theologie (BA) an der Universität
Basel sowie International Development Studies (MA) an der Philipps Universität
Marburg und der Ateneo de Manila Universität auf den Philippinen. Er war in den
vergangenen fünf Jahren als Co-Landesdirektor für die christliche NGO Mennonite
Central Committee (MCC) in San Pedro Sula, Honduras tätig. Dort leitete er ein
interkulturelles Team und begleitete die lokalen Partnerorganisationen (Kirchen
und NGOs) in der Umsetzung ihrer Entwicklungsprojekte in den Bereichen Bildung,
Friedensförderung, nachhaltige Landwirtschaft und Migration.
Matthieu Dobler Paganoni ist verheiratet und Vater einer zweijährigen Tochter. Zusammen mit seiner Familie lebt er im Raum Basel und ist Teil der Evangelischen Mennonitengemeinde Schänzli in Muttenz.
Hier können Sie sich anmelden:
StopArmut-Konferenz 2019
Zum Thema:
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Datum: 30.09.2019
Autor: Florian Wüthrich
Quelle: Livenet