Neuer Interaction-Leiter

«Die Zeit in Honduras half mir, mein interkulturelles Verständnis zu stärken»

Interaction, der Dachverband christlicher Hilfswerke, hat seit diesem Sommer einen neuen Leiter. Matthieu Dobler Paganoni hat die Aufgaben von Peter Seeberger und Olivier Tezgören übernommen. Er ist seit dem 1. Juli 2019 auch zuständig für die Kampagne StopArmut. Die letzten fünf Jahre als Leiter eines interkulturellen Teams für das «Mennonite Central Comittee» in Honduras sieht er als gute Vorbereitung für diese Herausforderung, wie er im Interview mit Livenet berichtet.
vlnr: Matthieu Dobler Paganoni übernimmt von Peter Seeberger und Olivier Tezgören.
Matthieu Dobler Paganoni (Bild: StopArmut)

Livenet: Matthieu Dobler Paganoni, wie verlief der Start in diese neue Aufgabe?
Matthieu Dobler Paganoni
: Es war ein intensiver, spannender und lehrreicher Start. Die Aufgaben sind sehr vielseitig und ich freue mich, dass ich mich bei INTERACTION/StopArmut engagieren kann. Das bestehende Team hat sicherlich auch viel dazu beigetragen, dass ich mich gut in meine neue Rolle einarbeiten konnte.

Sie waren ja nach Ihrem Studium während fünf Jahren in Honduras beim christlichen Hilfswerk «Mennonite Central Comittee» tätig. Was waren dort Ihre Spezialgebiete?
Mennonite Central Committee (MCC) engagiert sich im Namen Christi für nachhaltige Entwicklung, humanitäre Hilfe und Friedensarbeit. Mit meiner Frau, leitete ich das Länderprogramm von MCC in Honduras. Dies bedeutete vor allem lokale Partnerorganisationen (Kirchen und NGOs) in der Planung, Umsetzung und Evaluierung ihrer Entwicklungsprojekte zu unterstützen und ein interkulturelles Team zu führen. In unserer Arbeit war ein thematischer Schwerpunkt die Friedensarbeit, welche wir mit unseren Partnern versuchten auf mehreren Ebenen zu fördern.

Inwiefern hilft Ihnen diese Erfahrung in Ihrer heutigen Arbeit als Leiter von INTERACTION?
Die Zeit in Honduras half mir, mein interkulturelles Verständnis zu stärken sowie Fragen zu Armut und Gerechtigkeit aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. In der internationalen Zusammenarbeit erscheint es mir wichtig, die Perspektiven der lokalen Bevölkerung bewusst beachten zu wollen, zuhören zu können und eine Haltung des gemeinsamen Lernens zu fördern. Dies möchte ich nicht aus den Augen verlieren, auch wenn ich jetzt wieder in der Schweiz tätig bin. Zudem habe ich erlebt, wie effektiv die Zusammenarbeit verschiedener entwicklungspolitischer Organisationen in Netzwerken sein kann. Gemeinsam kann mehr bewirkt werden und man kann mit einer geeinten Stimme sprechen. Und nicht zuletzt haben mir meine Erfahrungen die Dringlichkeit für mehr «Advocacy» im globalen Norden vor Augen geführt um Veränderungen bei uns herbeizuführen, welche Auswirkungen auf den globalen Süden haben.

Wo wollen Sie in den kommenden Jahren als Leiter von INTERACTION Schwerpunkte setzen? Welche Ziele wollen Sie verfolgen?
Ein Ziel ist sicherlich, den Dachverband Interaction als führende Stimme christlicher Hilfswerke zu positionieren und zu stärken. Ich denke auch, dass Interaction durch die 34 Mitgliedsorganisationen das Potential hat noch vermehrt als glaubensbasiertes Kompetenzzentrum für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe wahrgenommen zu werden und eine starke Lernkultur zu entwickeln. Zudem möchte ich mich inhaltlich dafür einsetzen, dass vermehrt friedenstheologische Akzente gefördert werden und unsere StopArmut-Kampagne noch bekannter wird als eine starke christliche Stimme, die sich für globale Gerechtigkeit engagiert.

In Ihre Zuständigkeit fällt ja auch die StopArmut-Konferenz, welche am 23. November 2019 in Aarau zum Thema «Zero Hunger» durchgeführt wird. Sie glauben also daran, dass eine Welt ohne Hunger möglich ist?
Laut der FAO (Food and Agriculture Organisation) könnten heute problemlos 12 Milliarden Menschen ernährt werden. Und doch geht jeder neunte Mensch – also insgesamt rund 820 Millionen – mit leerem Magen ins Bett. Hunger ist daher kein Zufall, sondern Produkt von ungerechter Verteilung, ausbeuterischen Strukturen und einem System, welches einige bevorzugt und viele benachteiligt. Dass eine Verbesserung der Lage möglich ist, zeigen Zahlen der UNO. Im Vergleich zu 1990-92 hat sich die Anzahl hungernder Menschen um 216 Millionen verringert, trotz des Anstiegs der Weltbevölkerung um 1.9 Milliarden Menschen. Seit 2015 ist die Anzahl an betroffenen Menschen jedoch wieder angestiegen. Es braucht daher noch riesige Anstrengungen, wenn man das UN-Ziel «Zero Hunger» bis 2030 erreichen will. Umso mehr sehe ich es als Aufgabe Zeichen der Hoffnung zu setzen sowie politische und wirtschaftliche Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger zum Handeln aufzufordern.

Welche konkreten Massnahmen wollen Sie im Rahmen der StopArmut-Kampagne 2019 beim Kampf gegen Hunger in den Vordergrund stellen?
Die Konferenz setzt mit Lösungsansätzen auf drei Ebenen an: Der individuelle Lebensstil, die eigene Kirch-Gemeinde und das kollektive politische Engagement. Einerseits soll die Konferenz informieren und die Problematik aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten und erklären. Andererseits werden durch verschiedene Workshops konkrete Wege aufgezeigt, wie Frau und Mann einen Beitrag zur Überwindung von Hunger leisten können. Da geht es beispielsweise um Themen wie Food Waste, Klimafarming, ressourcenschonendes Leben und der Einfluss von Konzernen auf Saatgutsysteme. Am Schluss der Konferenz werden wir das Eco Church Netzwerk initiieren. Als neue Plattform für Kirchen in der Schweiz zeigt es Wege auf, um nachhaltiger und gerechter zu leben, was indirekt auch mit der Hungerproblematik verbunden ist.

Sie betonen in der Ausschreibung zur Konferenz auch, dass jede Person durch Ihren eigenen Lebensstil einen Beitrag leisten kann. Wie setzen Sie dies persönlich in Ihrem Alltag um?
Ein Aspekt ist sicherlich meine Berufswahl, durch welche ich versuche mich in Themen zu engagieren, welche mir für die Zukunft dieser Welt als wichtig erscheinen. In den letzten Jahren in Honduras begleitete ich eine lokale Partnerorganisation, welche Subsistenzbäuerinnen und Bauern beim nachhaltigen Anbau von Mais und Bohnen unterstützte. Die lokale Bevölkerung litt regelmässig an Hunger aufgrund von ausbleibendem Regen und ungerechter Verteilung der Wasser- und Landressourcen. Sonst versuche ich meine eigenen Konsummuster regelmässig kritisch zu hinterfragen und möchte mich in Zukunft vermehrt auch noch politisch für Lösungen einsetzen.

Zur Person
Matthieu Dobler Paganoni studierte Soziologie und Theologie (BA) an der Universität Basel sowie International Development Studies (MA) an der Philipps Universität Marburg und der Ateneo de Manila Universität auf den Philippinen. Er war in den vergangenen fünf Jahren als Co-Landesdirektor für die christliche NGO Mennonite Central Committee (MCC) in San Pedro Sula, Honduras tätig. Dort leitete er ein interkulturelles Team und begleitete die lokalen Partnerorganisationen (Kirchen und NGOs) in der Umsetzung ihrer Entwicklungsprojekte in den Bereichen Bildung, Friedensförderung, nachhaltige Landwirtschaft und Migration.

Matthieu Dobler Paganoni ist verheiratet und Vater einer zweijährigen Tochter. Zusammen mit seiner Familie lebt er im Raum Basel und ist Teil der Evangelischen Mennonitengemeinde Schänzli in Muttenz.

Hier können Sie sich anmelden:
StopArmut-Konferenz 2019

Zum Thema:
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Datum: 30.09.2019
Autor: Florian Wüthrich
Quelle: Livenet

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