Embryonen und Menschenwürde: Kontroverse in der Nationalratskommission

Labor

Bern – In den Gefrierschränken der Schweizer Fortpflanzungsmediziner lagern doppelt so viele so genannte ‚überzählige‘ Embryonen als vermutet. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat mit einer Umfrage bei den Kantonen ermittelt, dass seit dem Inkrafttreten des Fortpflanzungsmedizingesetzes Anfang 2001 bei künstlichen Befruchtungen rund 400 Embryonen erzeugt worden sind, die nicht eingepflanzt wurden. Die Zahl wurde der nationalrätlichen Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK) mitgeteilt, die sich am letzten Freitag erstmals mit dem rechtlichen Status der Embryonen befasste.

Zu den 400 kommen laut der NZZ noch rund 1000 Embryonen, die vor 2001 produziert wurden und gemäss geltendem Recht Ende dieses Jahres vernichtet werden müssten. Welchen Status haben diese Embryonen, Nebenprodukt der Befruchtungstechnologie, Embryonen, die nicht eingepflanzt werden, denen also die Entwicklung zum Kind verwehrt wird? Die FDP will die Frist um wenigstens ein Jahr verlängern, damit diese Embryonen der Forschung zugeführt werden können.

Der Bundesrat will die Nutzung der ‚überzähligen‘ Embryonen mit einem speziellen Gesetz, dem Embryonenforschungsgesetz, ermöglichen. Der Ständerat hatte im März die hochsensible Materie auf seine Weise angepackt; er beschloss, vorerst nur die Stammzellenforschung zu regeln. Am letzten Freitag ist die nationalrätliche Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK) auf das Geschäft eingetreten – nach einer kontroversen Debatte, deren Brisanz in der Pressemitteilung angedeutet wird.

Ist die Bundesverfassung zu klar?

Weil viele Politiker bezweifeln, ob die Vorlage des Bundesrates mit der Bundesverfassung zu vereinbaren ist, wurden ein Nichteintretens- und zwei Rückweisungsanträge gestellt. Die Nationalratskommission beschloss Eintreten und lehnte auch den Rückweisungsantrag von Heiner Studer (EVP, AG) ab. Studer beantragte, das Justizdepartement solle die Vorlage so überarbeiten, dass sie ganz der Bundesverfassung entspricht. So solle dem Recht auf Schutz des Lebens entsprochen werden.

Die Verfassung (erst 1998 erneuert) verbietet „alle Arten des Klonens und Eingriffe in das Erbgut menschlicher Keimzellen und Embryonen“ (Art. 119, Absatz 2). Zudem schreibt die Verfassung im selben Absatz ausdrücklich vor, dass „nur so viele menschliche Eizellen ausserhalb des Körpers der Frau zu Embryonen entwickelt werden dürfen, als ihr sofort eingepflanzt werden können“. Die Verfahren der medizinisch unterstützten Fortpflanzung dürfen nach dem Grundgesetz der Eidgenossenschaft nicht im Blick auf Begehrlichkeiten der Forschung angewendet werden.

Die grosse Unsicherheit in der WBK-Kommission zeigte sich darin, dass der Antrag Studers mit acht gegen eine Stimme – bei sieben Enthaltungen – unterlag. Gegenüber Livenet deutete Heiner Studer dies als Ausdruck des Problembewusstseins: Die Kommissionsvertreter seien sich der heiklen Fragen um die Menschenwürde sehr wohl bewusst.

Die Kommission, die vom Luzerner SP-Vertreter Hans Widmer geleitet wird, fordert von der Verwaltung die Klärung zahlreicher offener Fragen. Erst danach will das Gremium entscheiden, ob es das Gesetz auf die Stammzellenforschung beschränken oder ob sie wie der Bundesrat auch die Embryonenforschung einbeziehen will. Ein Antrag schlägt eine Regelung vor, wie sie Deutschland getroffen hat: keine Stammzellengewinnung durch Nutzen (gemeint: Abtöten) von überzähligen Embryonen im Inland, aber Import von Stammzellen aus dem Ausland, zum Beispiel aus Israel. Die Kommission tritt am 15. Mai wieder zusammen.

Datum: 17.04.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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