Kanton Zürich will auch nicht-christlichen Religions Gemeinschaften Anerkennung ermöglichen

Die SVP-Kantonsratsfraktion stellt sich quer.
Das Zürcher Grossmünster, in dem einst Zwingli die Reformation lancierte

Zürich - Der Kantonsrat hat am Montag die Vorlagen zur Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirchen in erster Lesung fertigberaten. Er sagte dabei auch Ja zum Anerkennungsgesetz, das der Kantonsregierung ermöglicht, nach den drei Landeskirchen weiteren Religionsgemeinschaften die öffentlich-rechtliche Anerkennung zu gewähren. Und er sprach sich gegen die Trennung der Vorlagen in einen Reformteil (Landeskirchen) und einen Anerkennungsteil (andere Religionsgemeinschaften) aus.

Wie vor zwei Wochen wurden alle Anträge der SVP, die mit 60 Parlamentariern einen Drittel der Sitze stellt, abgeschmettert. Darauf kündigte Willy Haderer, der Wortführer der SVP, an, seine Partei werde die gesamte Vorlage bekämpfen. Zu den Mitgliedern des reformierten Kirchenrats auf der Tribüne gewandt, sagte Haderer, wenn die Kirchen dieses Paket mittrügen, wende sich die SVP auch gegen die Besteuerung juristischer Personen. In der vorberatenden Kommission hatten die SVP-Vertreter die Weiterführung der Kirchensteuer für Unternehmen (sie soll neu in der Kantonsverfassung verankert werden) nicht bestritten.

‚Demokratische Strukturen' als Bedingung für Anerkennung

Religionsgemeinschaften sollen nach dem neuen Gesetz (Artikel 3) im Kanton Zürich die staatliche Anerkennung erlangen können, "wenn sie
a) während mehr als dreissig Jahren in der Schweiz gewirkt haben und im Kanton mehr als 3000 Mitglieder zählen oder auf andere Weise für die Gesellschaft bedeutsam sind,
b) die Grundwerte der schweizerischen Rechtsordnung, insbesondere die Toleranz und den Frieden unter den religiösen Gemeinschaften, bejahen,
c) demokratisch organisiert sind und
d) über ihre Finanzen öffentlich Rechenschaft ablegen.
Mehrere Religionsgemeinschaften mit verwandtem Bekenntnis können gemeinsam die Anerkennung beantragen."

Der Kanton Zürich sieht zwei Formen der Anerkennung vor. Die erste, einfachere Form verleiht der Religionsgemeinschaft, die privatrechtlich als Verein organisiert ist, zusätzliche Rechte: Benutzung von Schulräumlichkeiten für den religiösen Jugendunterricht, Zulassung der Seelsorger bei Bestattungen, in Spitälern und anderen staatlichen Anstalten sowie Eintrag der Mitgliedschaft in den Einwohnerkontrollen.
Die zweite Form bringt der Religionsgemeinschaft, die als ‚Gemeinde' konstituiert wird, nicht nur zusätzliche Rechte, sondern einen neuen Status: Sie wird eine Körperschaft öffentlichen Rechts, die Steuern erheben und staatliche Beiträge erlangen kann. Die Gemeinden müssen ihren Sitz im Kanton haben; die nach dem Vereinsrecht des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs organisierten anerkannten Vereine "müssen ihren Sitz in der Schweiz haben".

Anerkennung im Volk nicht populär?

Im Kantonsrat stellte sich die SVP gegen das ganze Gesetz, denn der Staat brauche keine weiteren Religionsgemeinschaften anzuerkennen. Er solle einzig garantieren, dass vom Einzelnen jegliche Form der Religion gelebt werden könne. Bei der Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften tauchten dagegen Probleme auf, sagte der SVP-Sprecher Samuel Ramseyer. Das Gesetz bleibe schwammig, indem es nicht sage, was ‚demokratische Strukturen' seien. Die Anerkennung anderer Religionsgemeinschaften sei im Volk nicht populär; "vielmehr wird damit eine Saat für gefährliche Auseinandersetzungen gestreut".
Der Vertreter der Eidgenössisch-Demokratischen Union EDU Stefan Dollenmeier beantragte, die Anerkennung auf christliche und jüdische Gemeinschaften zu beschränken. Dieser Antrag erhielt nur einzelne Stimmen, nachdem verschiedene Parlamentarier die Rechtsungleichheit bemängelt hatten.

Achtung und Toleranz fördern

Für das Anerkennungsgesetz, das die Spezialkommission des Kantonsrats vor Jahren selbst erstellt und im letzten Jahr überarbeitet hatte, wurde vor allem die Integrationswirkung ins Feld geführt: Toleranz sowie gegenseitige Achtung und Respekt würden gefordert und so gefördert, sagte der CVP-Vertreter Lucius Dürr. Der EVP-Mann Hans Fahrni verwies darauf, dass die rechtlichen Hürden zur Anerkennung für weitere Religionsgemeinschaften sehr hoch seien. Die SP-Sprecherin Johanna Tremp betonte die Wichtigkeit der öffentlich-rechtlichen Anerkennung der zwei jüdischen Gemeinden in Zürich. Sie seien geschichtlich und gesellschaftlich hier verwurzelt. Das Gesetz sei eine Chance für das Gemeinwesen und die Religionsgemeinschaften.

‚Gleichwertigkeit der Religionsgemeinschaften'

Rita Bernoulli von der FDP wandte sich gegen die Ängste in diesem Zusammenhang. Sie seien unbegründet, da die Anerkennung nur für Religionsgemeinschaften in Frage komme, die sich den demokratischen Strukturen unserer Gesellschaft angenähert hätten. Das Anerkennungsgesetz unterstreiche die Gleichwertigkeit der Religionsgemeinschaften gegenüber dem säkularen Staat. Der Wortführer einer scharfen Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften in der FDP, Andreas Honegger, strich andrerseits heraus, mit dem Gesetz würden einzelne Minderheiten gehätschelt. Auch der SVP-Vertreter Samuel Ramseyer nannte das vorliegende Gesetz "intolerant, weil es Minderheiten ausschliesst".

Der Zürcher Justizdirektor Markus Notter stellte in seinem Votum die Bedeutung und gesellschaftliche Wirkung der Religionsgemeinschaften heraus. Wenn grosse Religionsgemeinschaften sich nicht demokratisch organisierten, könne dies gefährlich werden. Notter verwies auf die gelungene Integration der katholischen Kirche im reformierten Kanton Zürich als Folge der öffentlich-rechtlichen Anerkennung 1963. Mit den Stimmen der Ratslinken, der Grünen, der CVP und Vertretern von EVP und FDP lehnte der Kantonsrat den SVP-Antrag mit 91 gegen 76 Stimmen ab.

Für die Kirchensteuer von Unternehmen

In der Folge diskutierte der Kantonsrat die Besteuerung juristischer Personen. Unternehmen im Kanton sollen weiterhin Kirchensteuern bezahlen; so will es die Vorlage. Andreas Honegger beantragte die Streichung der Bestimmung, die neu in der Kantonsverfassung stehen soll. Hans Fahrni von der EVP zählte ausführlich die sozialen Leistungen auf, die die Kirchen mit ihren vielen tausend Freiwilligen und zahlreichen Sälen und Räumen für die Gesellschaft erbringen.

Der FDP-Mann Urs Lauffer erläuterte den Standpunkt der FDP-Minderheit, welche die Besteuerung juristischer Personen in der Verfassung belassen möchte. Die Kirchen seien in der Sozialarbeit tragende Säulen; wäre dies nicht mehr gewährleistet, dann müsste der Staat neue Strukturen dafür schaffen, was ihn viel teurer zu stehen käme. Wenn derzeit so viel über die Desolidarisierung in der Gesellschaft geklagt werde, dürften die Unternehmen nicht aus ihrer sozialen Verantwortung entlassen werden. Breite Bevölkerungsschichten würden dies nicht verstehen, und viele Unternehmungen wollten dies auch nicht. Justizdirektor Notter bezeichnete das Nein der SVP als merkwürdig und erinnerte daran, dass in der Vernehmlassung die FDP und auch die Zürcher Handelskammer die Steuerpflicht für Unternehmen bejaht hatten. Der Rat lehnte den Antrag Honegger mit 87 gegen 57 Stimmen ab.

Kirchliche Tätigkeitsprogramme für sechs Jahre

Zu reden gaben weiter die Kostenbeiträge, welche die Kirchen für ihre Programme zur ‚Erbringung von Tätigkeiten mit Bedeutung für die ganze Gesellschaft' erhalten. Diese Tätigkeitsprogramme sollen laut Vorlage für eine Dauer von jeweils sechs Jahren festgelegt werden. Dagegen votierten die SVP-Kommissionsmitglieder für vier Jahre (einmal pro Amtsperiode); doch der Rat folgte der Regierung.

Bei den Kirchensteuern der juristischen Personen führt das neue Kirchengesetz die Bestimmung ein, dass sie "nicht für kultische Zwecke verwendet werden dürfen". Die SVP lehnte die negative Zweckbindung ab, weil die Zuweisung von Geldern nicht kontrolliert werden könne. Lucius Dürr (CVP) hielt dagegen, nun könnten Unternehmen endlich für das belastet werden, wovon sie auch profitierten: von der sozialen und Integrationsarbeit der Kirchen. Regierungsrat Notter legte dar, dass Studien gezeigt haben, dass die Kirchen für die Gesellschaft weit mehr tun (Leistungen von etwa 150 Millionen Franken jährlich), als sie vom Staat als Beiträge aus Steuermitteln (50 Millionen) und durch die Besteuerung der Unternehmen (etwa 60 Millionen) erhalten sollen. So stimmte der Rat der negativen Zweckbindung mit 91 gegen 59 Stimmen zu.

Keine Aufspaltung in Kirchen- und Anerkennungsvorlage

Nach der Mittagspause hatte der Kantonsrat über einen EVP-Antrag zur Aufspaltung der Gesamtvorlage in einen Reformteil (Kirchengesetz) und einen Anerkennungsteil zu befinden. Hans Fahrni sagte, nur so werde der Grundsatz der Einheit der Materie in der Volksabstimmung gewahrt. Andernfalls könnten die Stimmberechtigten zum Paket nicht differenziert Stellung nehmen. Der Grüne Daniel Vischer sprach sich für die Aufspaltung aus; auch Justizdirektor Notter konnte ihr Positives abgewinnen. Doch die SVP und die FDP (die die Paketform ursprünglich gefordert hatte) gaben in der Abstimmung den Ausschlag. Der Antrag Fahrni wurde mit 95 zu 42 Stimmen verworfen.

Die Verfassungsvorlage unterliegt einer zweiten Lesung in frühestens zwei Monaten. Ob der Kantonsrat dann auf seine Entscheide zurückkommen wird, die das komplexe, vielfach gelobte Reformpakete in der Volksabstimmung gefährden, bleibt abzuwarten.

Datum: 29.01.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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