«Russland hat nie angegriffen»

Sanktionen gegen Patriarch Kyrill?

Die Europäische Union erwägt die Verhängung von Sanktionen gegen den Patriarchen Kyrill I. von Moskau, das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche – dies als Teil eines grösseren Pakets von Sanktionen gegen Russland.
Patriarch Kyrill I. (Bild: Wikipedia / CC BY 4.0)

Wie CNN berichtet, steht der prominente Geistliche auf der Liste der Namen, die in einer vorgeschlagenen sechsten Runde von Sanktionen der Europäischen Union auftauchen sollen. Der Entwurf, der auch ein mögliches Verbot von russischem Öl vorsieht, wird derzeit von den EU-Botschaftern geprüft, so dass noch Namen hinzugefügt oder entfernt werden können.

«Metaphysischer Kampf» gegen die westliche Zivilisation

Der Druck auf Kyrill wächst seit Monaten, weil er die russische Invasion unterstützt und die geistige Grundlage für die Aggression des russischen Präsidenten Wladimir Putin in der Region gelegt hat. Seit Beginn der Invasion hat Kyrill Russlands Feinde in der Ukraine als «böse Mächte» bezeichnet und eine Predigt gehalten, in der er die Invasion als Teil eines grösseren «metaphysischen» Kampfes gegen die westliche Ideologie darstellte, die, so der Patriarch, anderen Nationen durch eine Vorhut von «Schwulenparaden» aufgezwungen worden sei.

Am Dienstag (3. Mai) bestritt Kyrill, dass es sich bei den Aktionen Russlands überhaupt um eine Invasion handelte und erklärte während eines Gottesdienstes: «Es ist erstaunlich, dass so ein grosses und mächtiges Land nie jemanden angegriffen hat – es hat nur seine Grenzen verteidigt».

«Putins Messdiener»

Seine Rhetorik hat in den Reihen der Russisch-Orthodoxen Kirche Widerspruch ausgelöst. So haben bereits im April rund 260 ukrainische Priester, die zur Russisch-orthodoxen Kirche gehören, einen Kirchenprozess gegen ihr Oberhaupt Patriarch Kyrill und seine Absetzung gefordert.

An verschiedenen Orten wurden Forderungen nach einem Ausschluss der ROC aus dem Ökumenischen Rat der Kirchen laut. Papst Franziskus konfrontierte Kyrill während eines kürzlich einberufenen Treffens über Zoom und warnte den Geistlichen davor, «Putins Messdiener» zu werden.

Auch das Ehrenoberhaupt der orthodoxen Gemeinschaft, Patriarch Bartholomaios I. von Konstantinopel, hat sich von Kyrills Linie distanziert. «Angesichts des Todes unschuldiger Menschen, der Bombardierung von Zivilisten, der Zerstörung ganzer Städte, angesichts dieser menschlichen Tragödie kann es keine Predigten geben, die einen Krieg als 'heilig' charakterisieren», erklärte Bartholomaios in griechischen Medien.

Weitere Forderungen nach Sanktionen

In einem in der Times veröffentlichten Leitartikel erklärte Hanna Hopko, ehemalige Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des ukrainischen Parlaments, dass sie persönlich die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, während eines Besuchs in Washington im vergangenen Monat gedrängt habe, Kyrill zu sanktionieren. «Der Westen muss ein starkes Signal aussenden, dass jeder – auch wenn er vorgibt, Gott zu dienen –, der die gottlosen Aktionen der russischen Streitkräfte in der Ukraine unterstützt, nicht ungestraft bleiben wird», schrieb sie. «(Kyrill) ist ganz offensichtlich ein Handlanger Putins, und sein Lebensstil und sein Vermögen sollten entsprechend ins Visier genommen werden.»

Nicht beeindruckt

CNN berichtete unter Berufung auf eine staatliche russische Nachrichtenagentur, Vertreter der Russisch-Orthodoxen Kirche (ROC) hätten die vorgeschlagenen Sanktionen als «unvernünftig» bezeichnet. «Nur diejenigen, die die Geschichte unserer Kirche nicht kennen, können versuchen, den Klerus und die Gläubigen einzuschüchtern, indem sie Listen zusammenstellen», sagte Kirchensprecher Vladimir Legoida über die Nachrichten-App Telegram. Er hob hervor, dass Kyrill I. aus einer Familie stamme, deren Mitglieder jahrzehntelang wegen ihres Glaubens und ihrer moralischen Haltung während «der militanten kommunistischen Gottlosigkeit» unterdrückt worden seien, aber «keiner von ihnen hatte Angst vor Gefängnis oder gar Racheakten».

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Datum: 07.05.2022
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet / Religion News Service / Christian Today

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