Wahrnehmung der Welt

Verschwörungstheorien – bequem und gefährlich

Wir wissen immer mehr und können dieses Wissen immer schneller abrufen. Trotzdem boomen Verschwörungstheorien. «Da soll es eine geheime Organisation geben, die seit Jahrzehnten unerkannt dafür sorgt…» Warum ist das so? Welche Rolle spielt das Internet dabei? Und sind Christen eher Opfer oder Täter solcher Verschwörungstheorien?
Bedrohliche Wolkenstimmung

Bereits 1901 hätte die Wuppertaler Schwebebahn so schnell fahren können wie ein Transrapid, also immerhin über 500 Stundenkilometer. Doch rechtzeitig riss sich Carl Benz das entsprechende Patent unter den Nagel, weil er das technologische Potenzial erkannt hatte, und stoppte so die unliebsame Konkurrenz für sein frisch erfundenes Automobil. Er sprach sich mit anderen Autoproduzenten ab, und sie einigten sich heimlich darauf, ähnliche Entwicklungen ebenfalls zu blockieren – was ihnen, zum Beispiel, mit der verhinderten Einführung des Transrapid in Deutschland gelang. – So oder so ähnlich hören sich Verschwörungstheorien an. Diese hier kommt übrigens in einem Spiegel-online-Interview mit Professor Butter zum Thema Verschwörungstheorien zur Sprache.

Was sind Verschwörungstheorien und warum sind sie so beliebt?

Vielleicht, weil etwas dran ist am Eindruck des Philosophen Betrand Russel: «Das ist der ganze Jammer: Die Dummen sind so sicher und die Gescheiten so voller Zweifel.» Verschwörungstheorien mögen sehr komplex sein, ihre Grundaussagen sind ziemlich einfach. Die Welt ist schwarz und weiss, das Feindbild ist klar. Und sie liefern Erklärungen für so ziemlich jedes undurchschaubare Problem der Gegenwart.

Drei Erkennungsmerkmale einer Verschwörungstheorie identifiziert der Weltanschauungsbeauftragte der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, Harald Lamprecht, laut Bericht in idea:

1. Die Wirklichkeit ist anders, als sie erscheint. Misstraue der offiziellen Darstellung.

2. Es gibt eine kleine, aber einflussreiche Gruppe, die im Hintergrund die Fäden zieht.

3. Sie manipuliert bewusst die öffentliche Meinung, um ihre wahren Ziele zu verschleiern.

Hierdurch werde das Unerklärbare erklärbar. Die Komplexität unseres Daseins lasse sich so auf das einfache (Opfer-)Schema reduzieren: «Dahinter stecken die Verschwörer, die alles manipulieren.» So sorgt unsere immer komplexere und unübersichtliche Welt für steigenden Zulauf bei Verschwörungstheorien, die scheinbare Erklärungen anbieten. Das Hauptproblem dabei ist, dass man sie mit Argumenten kaum widerlegen kann. Sobald die Grundidee eines Verschwörungstheoretikers festliegt, wird sich nichts mehr daran ändern. Fakten, die dagegen sprechen, werden entweder ignoriert oder zu Beweisen umgedeutet, dass ihr Vertreter eben auch zu «denen» gehört.

Welche Rolle spielt das Internet bei Verschwörungstheorien?

Gerade das Internet mit seinen vielfältigen Informationsangeboten sollte eigentlich einseitigen Theorien etwas entgegensetzen, doch Lamprecht beobachtet besorgt, dass sich immer mehr junge Menschen ihr eigenes Weltbild bastelten, indem sie sich hauptsächlich aus bestimmten, einseitig geprägten Internetquellen informierten. Auch die schnellen Verbreitungsmöglichkeiten im Netz unterstützen die digitale Gerüchteküche. Allerdings bietet das pluralistisch geprägte Internet – wie auch eine vielfältige Medienlandschaft und Gesellschaft – hervorragende Möglichkeiten, sich wirklich zu informieren. Wenn man sich nämlich seine Nachrichten aus seriösen und durchaus gegensätzlich argumentierenden Quellen zusammensucht. Allerdings bedeutet dies mehr Aufwand als das Lesen einer populären Seite, die in wenigen Zeilen erklärt, wer die Anschläge des 11. September 2001 wirklich begangen hat, warum Klimawandel nur eine Propagandalüge ist und dass es am Südpol immer noch geheime unterirdische Militärbasen der Nazis gibt, deren Bewohner das Ende des Dritten Reiches nicht mitbekommen haben…

Als Beispiele für Internetportale nennt idea die Seite «recentr.org», wo Weltpolitik aus verschwörungstheoretischer Perspektive betrachtet wird, «bewusst.tv», das angeblich nur «ungefilterte Informationen» liefert, und die «anti-zensur.info» des ehemaligen pfingstkirchlichen Predigers Ivo Sasek.

Sind Christen eher Opfer oder Täter solcher Verschwörungstheorien?

Manche Christen sehen sich gern als Opfer solcher Verschwörungen. Kritiker der Kirchen sehen sie dagegen eher als Täter, die durch ihre scheinbare «Simplifizierung» des Lebens durch ihren Glauben für jede Art von Propaganda stärker anfällig sein sollen. Pauschalvorwürfe an Christen, die sich daraus ergeben, klingen oft so: «Das sind alles fromme Sekten mit ungesundem Autoritätsanspruch. Letztlich werden sie von politisch ultrarechts stehenden Vereinigungen gesteuert…».

Tatsächlich sind Christen allerdings nicht nur Opfer solcher Verschwörungstheorien, sondern oft auch Täter oder sehr gerne Hörer: Dies beginnt bei diffusen Ängsten vor einer gesteuerten Verschwörung von Bildungsplan-Befürwortern. Und es hört bei Endzeit-Szenarien noch längst nicht auf. Jede politische Aktion, in der von «Einheit» die Rede ist, wird mit einem wissenden Nicken und dem Verweis auf den kommenden Antichristen abgetan. Dieser angebliche heimliche Strippenzieher der Weltpolitik hatte im Verlauf der Geschichte schon viele Gesichter. Die meisten haben sich sehr bald als unwahr herausgestellt…

Natürlich soll und muss man sich mit anderen Sichtweisen auseinandersetzen. Die Demokratie fördert und fordert geradezu das Ringen um belastbare Entscheidungen für die Zukunft. Doch eine Diskussion über Bildungspläne muss auch möglich sein, ohne das Gegenüber zu dämonisieren. Die meisten Bewegungen und Meinungen qualifizieren oder disqualifizieren sich übrigens schon durch das, was man direkt vor Augen hat, auch ohne dabei eine «graue Eminenz» zu bemühen, die scheinbar im Verborgenen hinter allem steht.

Zum Thema:
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Datum: 04.03.2016
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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