Kürzlich gab der bekannte leitende Pastor der
Saddleback Church, Rick Warren, seinen Abschied bekannt. Ohne Skandal oder
unschöne Szenen. Im Livenet-Talk spricht Blogger und Gemeindeberater Lothar Krauss über seine Erfahrungen zum wirksamen Leiten.
Das Thema «Leiten» in Gemeinden sei eher
problembesetzt. Nicht ohne Grund höre sich das Wort «Leiten» nach «leiden» an.
Dennoch ist Lothar Krauss überzeugt: «Leiten ist 'geil'.» Er selbst ist Pastor,
Gemeindeberater, Coach und führt seit Jahren einen Leiterblog. Im Livenet-Talk sprach Redakteur Hauke Burgarth mit Lothar Krauss.
Ohne Skandal
Dass sich Rick Warren nun nach Jahren des
Dienstes ohne Skandal aus seinen Verantwortungen zurückzieht, sei etwas
besonders. Nicht oft endete die Karriere des Pastors einer Mega-Church so
friedlich. Lothar Krauss bewundert Warren sehr. Er gründete die Saddleback Church,
schrieb ein Buch, verdiente jede Menge Geld und hatte rundum grossen Erfolg in
seinem Leben. Trotzdem sei er total am Boden geblieben. Er selbst lebe nur von zehn Prozent seines Einkommens und gebe die restlichen 90 Prozent seiner Gemeinde. Krauss
bewundert auch, wie das Ehepaar Warren mit dem Suizid ihres Sohns umgegangen
ist. So seien sie für viele Menschen zum Vorbild geworden. Aus alldem spreche
Warrens Leidenschaft für Gott und der klare Fokus dafür, was wirklich wichtig
ist im Leben.
Über gläubige Nachbarn lustig gemacht
Lothar Krauss wuchs nicht in einer christlichen
Familie auf. Im Gegenteil, für ihn und seine Familie sei es jeden Sonntag ein
Ritual gewesen, sich über die gläubigen Nachbarn lustig zu machen, die in den
Gottesdienst gingen. Eines Tages wurde er jedoch von derselben Nachbarin in
eine Teestube eingeladen. Auf der Einladungskarte stand der Spruch von Leo
Tolstoi: «Du kannst Gott totsagen, totlachen, totschweigen und ihn doch nicht
hindern, dich anzusprechen, dich zu suchen, dich zu lieben.»
Als er das las,
begann etwas in ihm zu brennen. Deshalb ging er hin. An Himmelfahrt desselben
Jahres, 1979, war Lothar Krauss in seinem Zimmer, als sich plötzlich die ganze
Atmosphäre veränderte. Gottes Gegenwart erfüllte den Raum und ihm wurde klar,
dass es Gott gibt und dass er vor diesem nicht bestehen konnte. Daraufhin sei
er auf die Knie gegangen und habe Gott sein Leben übergeben.
Mit Herz online gehen
Auf Anfrage gründete Lothar Krauss mit einigen
Freunden eine Gemeindeberatung. Diese lief jedoch oft ins Leere und ihm fiel
auf, dass die Konflikte vieler Gemeinden mit der Leitung zu tun haben.
Wenn die leitenden Personen nicht unterstützt werden, sei jede Beratung
wirkungslos. In dieser Zeit kam das Bloggen gerade auf und so entschied Krauss
sich, sein Wissen auf einem Blog zugänglich zu machen.
Der Blog sei kostenlos, weil es ihm Freude
bereite, Leute zu beschenken. Das Geben sei auch eine seiner Geistesgaben. Es
gehe nicht um die Frage «Wie viel muss ich geben?», sondern «Wie viel kann ich
geben?».
Fakten sind Freunde
Aber was kann ein Leiter machen, wenn er doch
versagt? «Die Tatsache, dass Leitende sich nicht zu ihren Fehlern bekennen
können, ohne dass dadurch ihr Lebenswerk ruiniert ist, zeigt uns, dass wir
immer noch keine guten Wege gefunden haben. Und vielleicht führt das auch dazu,
dass Leiter dann lieber ein bisschen unehrlich bleiben.» Er wolle Leitenden
helfen, durch Versagen hindurchzugehen. Bei Bill Hybels habe er beispielsweise
den Verlauf des Prozesses auf seinem Blog mitverfolgt, was zu viel Kritik
geführt habe. Lothar Krauss möchte ermutigen, mit der Wahrheit umgehen zu
lernen. Sein Leitsatz lautet: «Fakten sind Freunde».
Auf dem Weg zur Berufung
Als Pastor begleitet Lothar Krauss gemeinsam
mit seiner Frau Gemeinden während jeweils einiger Jahre. Dies habe in
Oldenburg gestartet, als er durch ein prophetisches Wort dorthin gerufen wurde.
Nach einer Krise erlebten sie in Oldenburg das erste Mal den Erneuerungsprozess
einer Gemeinde. Danach fragte das Ehepaar Gott aufs Neue, wo er sie nun haben
möchte und zogen weiter. Momentan arbeiten Lothar und seine Frau in ihrer
sechsten Gemeinde.
Viele Gemeinden seien bedürfnisorientiert,
statt auftragsorientiert. Sie kümmern sich zwar gut um die Bedürfnisse der Mitglieder,
fragen Gott jedoch nicht, was er mit der Gemeinde in ihrer Region vorhat. Eine
Gemeinde in diesem Wechsel zu begleiten, fasziniere ihn.
«Es geht nicht um mich»
Für Versuchungen und persönliche Krisen hat
Lothar Krauss ebenfalls eine Strategie, die sich bewährt hat. Erstens anerkenne er, dass
er versuchbar ist und bete um Gottes Schutz und seine Gnade. Zweitens habe er
zwei gute Freunden, die ihm jederzeit ins Leben reden dürfen und mit denen er
schwierige Situationen ehrlich besprechen könne. Drittens habe er seine Frau,
die ihm beisteht und ihn begleitet. Und viertens gehe es bei dem Ganzen nicht
um ihn. Lothar Krauss unterstützt die Idee einer «Kultur der Ehre», aber in
alle Richtungen. Die Person, welche unter der Woche die Toilette putzt, solle
genauso geehrt werden wie der Pastor, der sonntags auf der Bühne steht.