"Ich-AG": Unwort des Jahres 2002

Nichts

Frankfurt. Zum Unwort des Jahres 2002 ist der Terminus "Ich-AG" aus dem "Hartz-Papier" gewählt worden. Diese Wortbildung leide bereits sachlich unter lächerlicher Unlogik, da ein Individuum keine Aktiengesellschaft sein könne. Selbst als ironisches Bild sei das Wort nicht hinzunehmen, da sich die aktuelle Arbeitslosigkeit mit solcher Art von Humor kaum noch verträgt. Ausschlaggebend für die Wahl war allerdings die Herabstufung von menschlichen Schicksalen auf ein sprachliches Börsenniveau. "Ich-AG" ist damit einer der zunehmenden Belege, schwierige soziale und sozialpolitische Sachverhalte mit sprachlicher Kosmetik schönzureden, heisst es in der Begründung der Jury für das Unwort des Jahres 2002.

Ausreisezentrum

Auf Platz zwei setzte die Jury den Behördenterminus "Ausreisezentrum" für Sammellager, aus denen abgewiesene Asylanten abgeschoben werden. In der Begründung heisst es: "Dieses Wort soll offenbar Vorstellungen von freiwilliger Auswanderung oder gar Urlaubsreisen wecken. Es verdeckt damit auf zynische Weise einen Sachverhalt, der den Behörden wohl immer noch peinlich ist. Sonst hätte man eine ehrlichere Benennung gewählt."

Zellhaufen - für menschliches Embryo

Den dritten Platz belegt das Wort "Zellhaufen" für einen menschlichen Embryo. "Mit dieser sprachlichen Verdinglichung von menschlichem Leben versuchen Biotechniker die ethischen Vorbehalte gegen Manipulationen an und sogar Tötungen von Embryonen zu unterlaufen", heisst es in einer Aussendung des Jury-Sprechers Dieter Schlosser vom Institut für Deutsche Sprache und Literatur II der Universität Frankfurt.

Besonders oft wurden allerdings zwei andere Wendungen vorgeschlagen: Zum einen George W. Bushs Formulierung von der "Achse des Bösen". Sie wäre zweifellos das Unwort schlechthin, würde in Deutschland irgendein seriöser Politiker oder Journalist dieses Wort ohne deutliche Distanzierung benutzen; zum anderen die sprachliche Fassung "Lufthoheit über den Kinderbetten" für die Zielsetzung der SPD-Familienpolitik durch den SPD-Generalsekretär Olaf Scholz. Die hohen Unterstützerzahlen für diese beiden Wendungen resultieren jedoch erkennbar aus gezielten Aktionen, die Jury durch die Masse von Einsendungen zu beeindrucken. Die Unwort-Jury hat sich aber vorbehalten, Vorschläge nach ihrer inhaltlichen und Gebrauchsqualität zu bewerten und nicht nach Einsenderzahlen.

Bedrückend erschien der Jury insgesamt die von Jahr zu Jahr wachsende Tendenz von Unternehmen, Entlassungen und Stellenabbau mit scheinseriösen Formulierungen zu verschleiern. Längst werden die schon früher kritisierten Beschönigungen wie Freisetzung oder schlanke Produktion durch eine Fülle von sprachlichen Varianten ersetzt, die nicht mehr erkennen lassen sollen, dass dabei immer mehr Arbeitslose billigend in Kauf genommen werden.

Die Wahl eines "Unworts des Jahres" erfolgte zum zwölften Mal. Begründet wurde die sprachkritische Aktion 1991. Diesmal hatten sich 1.744 Einsender mit 806 verschiedenen Vorschlägen beteiligt.

Datum: 22.01.2003
Quelle: pte online

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