Pottermania 2003 – Die Faszination an der Geschichte und die Folgen

Buch Potter

Unser 15-Jähriger hat es fast nicht verkraftet, dass er am Samstag (8. November 03) nicht zu den Glücklichen gehörte, die sich in den neuesten Harry Potter Band stürzen konnten, er musste bis Montag warten. Die Spannung war seit Wochen aufgebaut worden. Bereits am Dienstag waren die 1000 Seiten das erste Mal gelesen.

Das lange Ausharren der deutschsprachigen Harry-Potter-Fangemeinde hat in der Nacht auf Samstag ein Ende gefunden. Tausende von Anhängern des Zauberlehrlings stürmten in der Schweiz, Deutschland und Österreich die Buchhandlungen. Pünktlich zur Geisterstunde gelangte der neue, fünfte Band in den Verkauf. Zuvor fanden vielerorts Countdown-Parties statt, die auch in der Schweiz regen Zulauf fanden.

Tausende rissen sich gleich nach Mitternacht um das neue 1000-seitige Buch. Allein die fünf Filialen der Buchhandlung Lüthy+Stocker verkauften bis zum Ladenschluss am Samstag um 17.00 Uhr über 4000 Bücher. Insgesamt dürften nach Schätzungen am ersten Verkaufstag 75.000 Exemplare einen Käufer gefunden haben. Die Schweizer Post liess sich nicht lumpen und liess die bestellten Wälzer noch am Samstag mit der Briefpost verteilen. Und Amazon schaffte es immerhin, den heiss wartenden Potter-Fans ihr Buch bereits am Montag auszuliefern. Noch nie wurden gemäss dem Schweizer Buchzentrum in Olten so viele Exemplare eines einzigen Titels auf einen Schlag ausgeliefert. Die gesamte deutschsprachige Erstauflage von „Harry Potter und der Orden des Phönix“ beträgt zwei Millionen Exemplare.

„Schwierig und anspruchsvoll“

Nun spricht man wieder von der Pottermania und rätselt ein wenig, was an den Büchern dermassen faszinierend sei. Das Spektrum der Beurteilungen der Serie ist breit, bei Christen und Nichtchristen. Die Kinder- und Jugendbuchautorin Anita Siegfried meint, die Zauberei bei Harry Potter sei eigentlich nur ein Vorwand. „Es geht im Grunde um das richtige Leben in dem einem nichts geschenkt wird.“ Ganz anders das Jugendamt der Stadt München: „Düster, brutal, blutig“ sei das neue Harry-Potter-Buch, alles andere als pädagogisch wertvoll und noch nicht mal ein Jugendbuch. Es warnt davor, das Buch Kindern zum Lesen zu geben.

Zum einen würden Kinder überfordert und verängstigt von der „Komplexität der Handlung, der ungeheuren Spannung und den teilweise sehr detailliert geschilderten Szenen von Verletzung und Gewalt“. Während die ersten zwei Bände „noch als nett” bezeichnet werden könnten, würden Harrys Erlebnisse „seit Band 3 immer bedrohlicher“. Der 1000-seitige fünfte Band sei der „bislang schwierigste und anspruchvollste“.

Subtile Verführung …

Ganz unterschiedlich argumentieren auch die Christen. Viele befürchten, dass die Zauberei in den Potter Büchern die Kinder und Jugendlichen nicht unbeeinflusst lasse und sie zumindest für okkulte Experimente öffne. Nicht nur Evangelikale. Sogar Kardinal Joseph Kardinal Ratzinger, spricht von „subtilen Verführungen, die unmerklich und gerade dadurch tief wirken und das Christentum in der Seele zersetzen.“

Als Kritikerin der Harry Potter Bücher hat sich die Publizistin Gabriele Kuby profiliert. Die Verfasserin eines Potter-kritischen Buches fürchtet, dass Kinder und Jugendliche durch Harry Potter von der Quelle der Liebe und der Hoffnung abgeschnitten würden, so dass sie in leidvollen Lebensumständen kein Fundament hätten, das sie trage. Junge Leser verlören durch die Harry-Potter-Lektüre das Unterscheidungsvermögen zwischen Gut und Böse. „Die Qualität von Liebe sei im Potter-Universum nicht existent und nicht erfahrbar“, kritisiert Kuby, Mutter von drei Kindern, in einem Interview mit dem katholischen PUR Magazin.

… oder ganz normale Fantasy?

Völlig anders Mike Gray, Prediger in einer Evangelischen Täufergemeinde, der eine Diplomarbeit über das Harry Potter Phänomen schreibt. Er plädiert im idea Spektrum dafür, Potter in die Fantasy-Literatur einzureihen, vergleichbar mit J. R. Tolkien und C. S. Lewis. Auch Rowling habe sich in zahlreichen Interviews als Christin bezeichnet. Ihre „Menschensicht sei durchaus in Einklang mit christlichen Werten“. Dass Leser der Potter-Bücher eine Faszination für die Esoterik könnten, lehnt er nicht ab. Aber in einer Verteufelung sieht er ebenfalls eine Gefahr. Er wünscht sich dafür, „dass Christen lernen, mit Kunst fair, aufmerksam und sensibel umzugehen“.

Aus Deutschland wird ein christlicher Buchhändler zitiert, der bewusst keine Potter-Bücher vertreibt: „Wir verkaufen das Buch nicht“, erklärt Buchhändler Burkhard Schulze von der christlichen Buchhandlung Königstein. Für ihn widerspricht es der Bibel, weil in ihr Magie und Zauberei verurteilt würden. Ausserdem stellt die Zauberwelt besonders für die Jugend eine Art gefährliche Scheinwelt dar. Auch der Basler Brunnen-Verlag verkauft das Buch nicht. Es handle sich um ein nichtchristliches Buch, erklärt eine Vertreterin des Verlages gegenüber Livenet. Die Praxis bei den christlichen Buchhandlungen in der Schweiz scheint aber unterschiedlich zu sein.

Das „Harry Potter-Syndrom“ oder die „Hogwarts-Cephalgie“

Mediziner beunruhigt weniger der mögliche seelische Schaden des Potter-Wälzers als vielmehr ein körperlicher. Wenn es nach Dr. Howard J. Bennett geht, werden die klinischen Wörterbücher demnächst um den Terminus „Harry Potter-Syndrom“ oder „Hogwarts-Cephalgie“ erweitert, wie die Ärztezeitung berichtet. Der Washingtoner Arzt habe mehrere Fälle präsentiert, in denen es bei Kindern nach allzu exzessiver Lektüre des jüngsten Bandes zu dumpfen, sich über zwei bis drei Tage hinziehenden Kopfschmerzen gekommen war.

Berichtet wird von Kindern, die das Werk non-stop und mit leichten Symptomen einer Suchtkrankheit goutiert hätten. Die Ursache der Cephalgie sei neuroophthalmologischer Natur und beruhe auf einem Akkommodationsspasmus durch allzu lange Fixation auf die Nähe. Bei anderen Patienten seien Kopfschmerzen als Symptom einer bis dahin nicht diagnostizierten, optisch korrigierten Weitsichtigkeit einzuschätzen. Ein Kind hatte überdies Schmerzen im Nacken und in den Handgelenken.

Diese Symptomatik ist auf ein Charakteristikum der Buchreihe zurückzuführen, das nach Bennetts Einschätzung pathogenetisch entscheidend ist: Jeder Band ist dicker als der Vorgänger. Wenn es mit dieser Tendenz weiter gehe, so Bennett, sei mit einer Epidemie von „Hogwarts Kopfschmerzen“ zu rechnen.

Datum: 13.11.2003
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet.ch

Verwandte News
Werbung
Werbung
Livenet Service