Werte fehlen, Skepsis wächst

«Die Tschechische Republik braucht Erweckung!»

Tschechien ist als das säkularste Land Europas bekannt. Doch gleichzeitig bestehen hier Evangelisationsmöglichkeiten wie an keinem anderen Ort Westeuropas. Jirí Unger, Leiter der Evangelischen Allianz Tschechiens, berichtet über Gemeindegründung, Missionschancen und die grössten Herausforderungen der Gemeinden seines Landes. 
Jirí Unger

Die tschechische Republik ist das säkularste Land in ganz Europa. Nach der Volkszählung von 2011 gehören nur 10,3 Prozent der gut 10,5 Millionen Einwohner zur römisch-katholischen Kirche, 0,9 Prozent sind Protestanten und 3,2 Prozent gehören anderen Religionsgruppen an. Das Land ist deshalb als eines der atheistischsten Länder der Welt bekannt. Doch aus welchem Grund fühlt sich die grosse Mehrheit der Tschechen keiner Religion angehörig?

Jirí Unger ist seit 2003 Leiter der Evangelischen Allianz Tschechiens. Doch in seinen Augen ist das Land keineswegs «ungeistlich» oder «nicht religiös». «Es ist definitiv ein post-christliches Land, es ist äusserst säkular», erklärte er in einem Interview mit Evangelical Focus. «Über 75 Prozent der Leute würden sagen, dass sie keiner Kirche oder religiösen Institution angehören. Aber das bedeutet nicht, dass sie nicht religiös sind…»

Skepsis gegenüber der Institution Kirche

Das Problem liegt für Unger an einer anderen Stelle. «Ein Grossteil der Bevölkerung ist während der kommunistischen Zeit aufgewachsen. Die Generation der Leute, die jetzt in ihren 50ern, 60ern und 70ern sind, und ihre Weltansicht wurden stark davon beeinflusst, was sie in der Schule gehört haben. … Die Mehrheit der Leute unter 40 dagegen wissen kaum etwas über das Christentum oder die biblische Geschichte.»

Selbst wenn Jugendliche Interesse am christlichen Glauben haben, so seien es meist die Eltern, die sie von einer Kirche fernhalten, aus Angst, dass ihre Kinder dort eine Gehirnwäsche erhalten. «Man sieht jede Menge Skepsis, viel Zynismus, Negativismus, insbesondere in den älteren Generationen, aber jetzt auch in den jüngeren Leuten. Es ist schwer, sie zu ermutigen, für etwas einzustehen.» Gerade für junge Christen sei es schwierig, ihren Glauben gegenüber ihren Eltern zu verteidigen.

Die allgemeine Skepsis gegenüber der Kirche und der immer geringere Einfluss des Christentums haben nicht zuletzt zum Wegfall von Ethik und Moral geführt. Dies sehe man in den hohen Scheidungs- und Abtreibungsquoten, Kriminalität und häuslicher Gewalt, insbesondere in den Gebieten, die an Deutschland und Österreich grenzen, so Jirí Unger.

Gemeinden: Offen für Nicht-Christen?

Doch hierin sieht der Leiter der Tschechischen Evangelischen Allianz nicht die Hauptherausforderung der Kirchen. Diese läge vielmehr innerhalb der Gemeinden, und zwar in der «Fähigkeit, gegenüber neuen Leuten offen zu sein, sich anzupassen und Neues auszuprobieren, und damit zu rechnen, dass Nicht-Christen in die Kirchen kommen; daran zu denken, wie sich ein Nicht-Christ fühlt, wie man am besten mit ihm spricht. Gleichzeitig für Gläubige und Nicht-Christen zu predigen, ist eine in Vergessenheit geratene Disziplin. … Wie müssen Gemeinden ihre Aktivitäten planen, damit sie ehrlich offen gegenüber Nicht-Gläubigen sind?»

Ein grosses Problem ist hierbei fehlende Leiterschaft. Es gebe wenige Leiter, die auch den Mut haben, zu leiten. Ausserdem fehle es an Nachwuchs. «Wir arbeiten nicht gewollt oder systematisch in den Gemeinden und den Denominationen. So oft gibt es beispielsweise super Jugendleiter, die ideale zukünftige Leiter für die Gemeinde wären, doch sie werden nicht rechtzeitig dazu herausgefordert. Und so verlieren wir qualitativ hochwertige Leiter in den Kirchen…»

Evangelisation und Gemeindegründung

Doch auf der anderen Seite gibt es viele positive Initiativen in der Tschechischen Republik, Missionseinsätze und Evangelisationen, beispielsweise durch Camps, mit denen Kinder und Teens erreicht werden. «Wir dürfen auch Schulen durch christliche Programme mit dem Evangelium erreichen. Christen gehen in die Schulen und ziehen dort Programme durch, die auf den christlichen Werten basieren. Das ist einzigartig und ist vermutlich an keinem anderen Ort in Westeuropa möglich!»

Ausserdem läuft viel im Bereich der Gemeindegründung. Die Evangelische Allianz selbst führt zurzeit Schulungen für 11 Teams aus vier Denominationen zum Thema Gemeindegründung durch und arbeitet daran, ein nationales Forum für Gemeindegründung zu bilden. «Wir wollen noch mehr Gemeinden dazu einladen, Muttergemeinden zu werden, und insbesondere Christen dazu einladen, Gemeinden zu gründen. Wir beten dafür, dass [das nationale Forum] eine riesige Ressource wird, die Hilfestellung gibt und Frucht bringt.»

Schliesslich setzen sich Gemeinden für Menschen in Abhängigkeiten ein, arbeiten mit Immigranten und Prostituierten, helfen Menschen in ihren Beziehungen und tun alle möglichen diakonischen Arbeiten - «und werden dafür auch respektiert! … Gemeinden sind immer noch sehr aktiv in ihren lokalen Bezirken.»

Gebet für mutige, öffentliche Christen

Dennoch braucht die Tschechische Kirche viel Gebet! «Die Tschechische Republik braucht Erweckung! Diese wird vermutlich durch mutige Christen gestartet werden, die bereit sind, offen über ihren Glauben zu reden. Beten Sie bitte für uns, damit wir offener werden, keine Angst haben und bereit sind, das Evangelium weiterzugeben – und ein öffentlicher Christ zu werden. Das ist es, was viele Christen lähmt! Sie haben Angst davor, das Evangelium weiterzugeben, auch wenn das kein Grund ist und es hier keine wirkliche Verfolgung gibt.»

Datum: 17.11.2015
Autor: Rebekka Schmidt
Quelle: Livenet / Evangelical Focus

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