Entschlossenheit und Trauer in London – was wird aus der Toleranz?

London: Eine Weltstadt, stolz auf ihre Dynamik und ihre Vielfalt (Aufnahme von 2003)
Junge Musliminnen nahe der St. Paul’s Cathedral
Viele junge Menschen erleben auch die Schattenseiten der Millionenstadt.
Omar Bakri Mohammed
Widerstand „gegen alles, was uns voneinander trennen will“: Der britische Oberrabbiner Sir Jonathan Sacks und der Muslimvertreter zwischen den Leitern der anglikanischen Kirche (rechts), der Katholiken und der Freikirchen. (Quelle: ACNS)

Am Montag sind die Londoner wieder zur Arbeit gefahren – in der U-Bahn. Die ersten Trauerfeiern wurden abgehalten. Unter den Toten und Vermissten der Anschläge vom Donnerstag finden sich Muslime und Juden, Schwarze und Weisse, Jugendliche und Betagte.

Christen, Muslime, Hindus, Juden und Sikhs: Die Untat habe im Schmelztiegel London, wo 300 Sprachen gesprochen werden, jeden getroffen, schrieb die Zeitung „Daily Telegraph“. Die Londoner schmerzt nicht nur der Verlust von Menschen, sondern auch der Zerfall des Vertrauens, auf das die multikulturelle Metropole stolz war. „Bombardiert uns und ihr bombardiert die Welt“, war der Telegraph-Artikel überschrieben.

In der New York Times bemerkte der Kolumnist Thomas L. Friedman, ein Dschihad-Anschlag in der saudischen Hauptstadt Riad stelle ein inner-muslimisches Problem dar. Sprengsätze in der Londoner U-Bahn hingegen verursachten der Zivilisation ein Problem. Denn jeder Muslime, der in einer westlichen Gesellschaft lebe, werde verdächtigt, als Bombe durch die Gegend zu laufen.

Gemeinsam gegen Misstrauen

Um der weiteren Ausgrenzung der Muslime zuvorzukommen, haben fünf religiöse Führer Grossbritanniens die Terroranschläge in einer gemeinsamen Erklärung (wie sie selten zustande kommt) verurteilt.

Der anglikanische Erzbischof von Canterbury, Dr. Rowan Williams, Zaki Badawi vom Rat der Moscheen und Imame, der katholische Kardinal Cormac Murphy O'Connor, Oberrabbiner Sir Jonathan Sacks und der Freikirchenvertreter Dr. David Coffey betonten: „Es kommt darauf an, jetzt, da viele zornig und verwirrt und traurig über ihren Verlust sind, das zu stärken, was wir gemeinsam haben, und allem zu widerstehen, was uns auseinandertreiben will.“

“Stadt der Freiheit“

Der Londoner Bürgermeister Ken Livingstone unterstrich, die Anschläge hätten sich nicht gegen die Mächtigen gerichtet, sondern gegen den Mann auf der Strasse, Menschen wie du und ich. Diese hätten London als ihre Stadt gewählt, weil sie frei und eigenständig sein wollten, sagte Livingstone. Und an die Adresse der Terroristen: „Nichts, was ihr tut, wie viele von uns ihr umbringt, wird dieses Streben zu unserer Stadt stoppen, wo Freiheit stark ist und wo Menschen in Harmonie miteinander leben können.“

Trevor Phillips von der staatlichen Kommission gegen den Rassismus äusserte, Londoner verschiedener Rassen und Religionen hätten einander nach dem Anschlag getröstet; dies erweise London als eine „mit ihrer Vielfalt zufriedene Stadt“.

Gewährte Toleranz für Hasspredigten genutzt

Während die Chancen betont werden, die London Angehörigen von Minderheiten bietet, stellen andere Medien auch die Schattenseiten des multikulturellen Grossbritannien heraus. Die Sunday Times zitierte aus vertraulichen Dokumenten von 2004, in welchen angeblich von 16'000 potenziellen muslimischen Terroristen im Land die Rede ist.

13 Prozent der 1,6 Millionen britischen Muslime würden neue Terrorattacken auf die USA gutheissen, erfährt man da. Und: Die Kaida suche selbst an Universitäten Attentäter zu rekrutieren.

Laut den Papieren, Resultat einer Korrespondenz hoher Beamter, liegt die Arbeitslosenrate bei britischen Muslimen dreimal so hoch wie in der Gesamtbevölkerung. An die 40 Prozent haben keine Berufsausbildung; Hunderttausende leben in heruntergekommenen Quartieren. In London leben etwa eine Millon Muslime (14 Prozent der Bevölkerung).

Hang zum Extremismus statt Integration

Der Wiener „Standard“, der diese ernüchternden Fakten wiedergibt, weist auf die religiösen Folgen hin: „Ihre Identität beziehen die Muslime, vor allem die Jugendlichen, aus der Religion (als zweithäufigste Nennung nach der Familie). Besonders die jungen Gläubigen erleben den Umgang mit ihrer Religion allerdings als diskriminierend. Eine der Konsequenzen daraus ist der gesellschaftliche Rückzug.“

Und manche suchen Moscheen auf und geraten in Zirkel, in denen Gewalt gegen die ‚Ungläubigen’ erwogen oder gar gefordert wird. Viele Medien weisen auf darauf hin, dass London, stolz auf seine Toleranz, extremistische Prediger wie Abu Hamsa al-Masri jahrelang gewähren liess. Im April 2004 warnte der Londoner Islam-Prediger Omar Bakri Mohammed vor einer "grossen Operation" – gemeint war Terror.

Blanker Hass

Der aus Syrien stammende Islamist hat in den letzten zwei Jahren mit seinen hasserfüllten Ansprachen immer grössere Scharen von Zuhörern angezogen. Er rief zum Dschihad, zum Heiligen Krieg gegen Grossbritannien, auf und machte Druck auf junge Muslime, sich für den Aufstand im Irak zu melden. Im Dezember letzten Jahres warnte Omar Bakri, Muslime würden westlichen Gesellschaften, welche ihre Politik nicht änderten, Anschläge von der Sorte des 11. Septembers verabreichen, „Tag um Tag um Tag“.

Die New York Times weist auch darauf hin, dass sich in der Metropole die Wege von Möchtegern-Terroristen und Fanatikern kreuzten. In der Riesenstadt konnten sie sich treffen, Geld auftreiben und Unterstützung suchen.

Rächt sich das Laisser-faire?

Das britische Establishment hatte gehofft, mit einer überaus toleranten Haltung gegenüber intoleranten Muslimen die Integration zu fördern und Terror abzuwenden. Doch spätestens seit Blair mit Bush im Irak Truppen stehen hat, predigen feurige Muslime Hass auf den Staat, der ihnen fast unvergleichliche Freiheiten bietet. „Die Terroristen sind heimgekehrt“, kommentierte ein erfahrener Geheimdienstler in Europa gegenüber der New York Times den Anschlag. Die Regierung habe islamistische Netzwerke unverantwortlicherweise machen lassen.


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Die Erklärung der religiösen Führer im Wortlaut:
As religious leaders from several different faiths we came together this morning to pay tribute to the courage, commitment and sacrifice by which the evil of Nazism was resisted and ultimately overcome sixty years ago.

We stand together now for a further purpose: to express our shared commitment to resisting and overcoming the evil of terrorism, which the events of recent days here in London have brought home to us afresh and with such devastating clarity. It is an evil that cannot be justified and that we utterly condemn and reject.

Our hearts go out to those who grieve, those who mourn, and those who wait. We pray for them and with them. We remember the dead, the injured and the missing, as well as all those working to save life and restore health.

We want to signal the common ground on which we stand as faith leaders, and to reaffirm the values we uphold at this time of sorrow and pain. It is vital, when many will be feeling anger, bewilderment and loss, to strengthen those things we hold in common and to resist all that seeks to drive us apart. Central to what we share as people of faith is a belief in God's compassionate love for us. It is a love that compels us to cherish not to disfigure our common humanity.

We commend and embrace the continuing efforts to build a Britain in which different communities-including faith communities-can flourish side by side on the basis of mutual respect and understanding. We pledge ourselves to remain true to this goal in word and deed and to work together to make of it an enduring reality. As we do so, we draw hope and comfort from the certainty that in seeking to overcome our own brokenness we will be working with the pattern of God's design for all his children and for the whole human family.

Datum: 12.07.2005
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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