Im Gerichtssaal

Versöhnung mit dem Feind

Er stand als Zeuge vor Gericht, um gegen den Mann auszusagen, der ihn und seine Kirche über Jahre bedroht, verleumdet und gequält hatte.
Sucht aktiv Versöhnung: Malchas Songulaschvili
Tiflis

Doch er sagte nicht nur aus, sondern reichte dem Angeklagten danach die Hand zur Versöhnung. Malchas Songulaschvili gab damit dem Prozess, der mit einer sechsjährigen Gefängnisstrafe für seinen ärgsten Feind endete, eine dramatische Wendung zum Guten.

Songulaschvili ist der Bischof der kleinen georgischen Baptistenkirche, deren Gemeinden über mehrere Jahre von Fanatikern terrorisiert wurden; diese meinen, im Namen des einzig wahren orthodoxen Glaubens zu handeln, auf den die Georgier, eines der zuerst christianisierten Völker der Erde, besonders stolz sind. Im vergangenen November musste Songulaschvili im Prozess gegen Basil Mklavischvili aussagen, der als Anführer dieser Banden vor Gericht stand. Nach seiner Aussage und einem Bekenntnis zum Evangelium der Gnade und Vergebung schockierte Songulaschvili den Saal: Er reichte seinem Feind, der in einem Käfig sass, die Hand zur Versöhnung – und dieser nahm sie an.

Offensichtlich hatte die Verhandlung einen tiefer gehenden Gesinnungswandel bewirkt: Wenige Tage später, als die Baptisten das zehnjährige Amtsjubiläum von Songulaschvili feierten, sandte Mklavischvili ihm zwei Ikonen und einen Kuchen als Geschenk! Seine Anhänger nahmen dann auch an einem Gedenkmarsch der Baptisten durch die Altstadt von Tiflis teil. Songulaschvili, der vor seiner Wahl als Autor evangelischer Bücher und Vordenker einer freien Gesellschaft bekannt geworden war, schlägt für Georgien eine Kommission vor, die nach der Vorbild der südafrikanischen Wahrheitskommission Gewalttäter im Falle eines Reuebekenntnisses von ihrer Schuld entlasten könnte. Der Reue muss Barmherzigkeit antworten, ist der evangelische Kirchenleiter überzeugt.

Basil Mklavischvili, ein Ex-Priester der orthodoxen Nationalkirche, hatte jahrelang gegen die Protestanten im Kaukasusland wüten können: Gottesdienste wurden gesprengt, christliche Literatur verbrannt und Gläubige zusammengeschlagen. Die Justiz unter Präsident Schewardnadse liess ihn unbehelligt; viele Kirchenobere hatten offensichtlich Gefallen an der Verfolgung der als „Sektierer“ verleumdeten Gläubigen. Mit dem Sturz Schewardnadses Anfang letzten Jahres drehte der Wind gegen die religiösen Nationalisten. Der neue Präsident Saakaschvili versprach, der Gewalt gegen die ständig wachsenden evangelischen Gemeinden entgegenzutreten. Gewalt unter religiösem Deckmantel sei der „ärgste Verstoss gegen Christus und die Religion“, sagte Saakaschvili. Wenige Wochen nach dem Machtwechsel sass Mklavischvili hinter Gittern.

Am 31. Januar 2005 wurde er zu einer sechsjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, sein Gehilfe Petre Ivanidse zu vier Jahren. Die Anwälte haben Berufung eingelegt. Beobachter befürchten, dass mit den beiden Urteilen Hass und Verachtung, welche religiöse Nationalisten gegen die ‚westlichen’ Gruppen hegen, noch nicht wirklich eingedämmt sind. Ein erfreuliches Signal für das Pochen auf Rechtsstaatlichkeit sind sie jedenfalls. Aber viele Mittäter sind noch auf freiem Fuss.

Datum: 01.03.2005
Autor: Peter Schmid

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