Christen im Schatten des Islam (3): Ausgrenzung, Vertreibung und Emigration

Seit der islamischen Frühzeit duldeten die Muslime christliche Minderheiten in ihren Ländern. Andreas Kaplony, Assistenzprofessor für Islamwissenschaften an der Uni Zürich, legt im Livenet-Gespräch dar, warum dies in der Neuzeit nicht zu ihrer Gleichberechtigung geführt hat.
Andreas Kaplony
Ein maronitisches Mädchen bei der Kommunion.

Livenet: Bei uns im Westen hat sich in der Folge der Französischen Revolution von 1789 der Grundsatz der Gleichheit der Bürger durchgesetzt. Gestehen die Muslime in den arabischen Staaten heute den christlichen Minderheiten gleiche Rechte zu?

Andreas Kaplony: Nun, eine Bewegung unter Muslimen, die Christen zu fördern, gibt es in der arabischen Welt natürlich nicht. Man vertritt doch die eigenen Interessen.

Heute wirken die Fragen um den Dhimmi-Minderheitenstatus der Christen etwas veraltet. Darüber wird in den arabischen Gesellschaften nicht diskutiert. Vielmehr möchte die muslimische Bevölkerung sich artikulieren können. Das Fernsehen zeigt, dass dies im Westen möglich ist. Die Intellektuellen wissen um das westliche Drängen auf Demokratie und Meinungsäusserungsfreiheit.

Das heisst aber nicht, dass Freiräume, werden sie errungen, zu den von uns gewünschten Resultaten führen. Manchmal wachsen darin muslimische Bewegungen heran, wie etwa in Jordanien oder Algerien (islamistischer Wahlsieg 1991). Für uns bedeutet das: Im Westen muss man sich überlegen, ob man Demokratie, freie Wahlen eingeschlossen, wirklich will.

Seit August, nach Anschlägen auf Kirchen, sind Zehntausende von Christen aus dem Irak geflohen – eine Bewegung, die anhält. In Indonesien haben Dschihad-Milizen sich vorgenommen, Inselgruppen wie die Molukken von Christen territorial zu säubern. Gab und gibt es dieses territoriale Ausgrenzen im arabischen Raum?
Ich kenne nur einen Fall: Die Araber der arabischen Halbinsel müssen nach dem herrschenden Verständnis alle Muslime sein. Dieses Konzept gibt es. Zur Zeit der islamischen Eroberung im 7. Jahrhundert ging es allerdings nicht nur um den Islam, sondern auch darum, überleben zu können. Es gab damals christianisierte arabische Nomadenstämme, die mit den Muslimen gemeinsame Sache machten. Diese christlichen Stämme wurden im 8. Jahrhundert indes gezwungen, zum Islam überzutreten oder die arabische Halbinsel zu verlassen; Widerstand wurde mit dem Schwert ausgelöscht.

Dieses Verständnis der arabischen Halbinsel als Land, wo allein Allah verehrt werden darf, gehört zwar zur Staatsideologie des saudi-arabischen Staats; es ist aber nicht im Entferntesten durchgeführt: Denken Sie an die vielen hunderttausend Filipinos und westliche Angestellte, die in den Ghettos der saudischen Städte leben.

Die Saudis wollen nach der Lehre Mohammed Abd al-Wahhabs (nach dem die Reformbewegung der Wahhabiten benannt ist) den Islam von allen möglichen Zusätzen an Volksfrömmigkeit reinigen, die sie als pseudo-islamisch verdammen. So haben sie in Medina Gräber von wichtigen islamischen Heiligen – Nachkommen Mohammeds und berühmte Gelehrte waren dort beerdigt – dem Erdboden gleichgemacht.

Wenn man heute über den Status der Christen als Dhimmi, als Schutzbefohlene der islamischen Obrigkeit, redet, hören es die Christen nicht gern. Die Verträge, die diesen Status ursprünglich fixierten, waren immer Duldungsverträge. Aber Christen wollen nicht geduldet, sondern gleichberechtigt sein.

In den letzten Jahrzehnten sind sehr viele Christen arabischer Sprache aus ihrer Heimat ausgewandert und haben sich im Westen niedergelassen. Im Libanon wurde dieser Trend noch verstärkt durch den Bürgerkrieg (1976-91), in dem die Maroniten ihre Vormacht verloren.
Die Maroniten und die griechischen Orthodoxen, die je knapp einen Viertel der libanesischen Bevölkerung stellen, haben etwas versucht in ihrem Staat. Die westlichen Mächte konstruierten nach dem Ersten Weltkrieg den Libanon genauso, dass die Mehrheit christlich war. Eine Demokratie der Clans entstand.

Wegen ihrer grösseren Familien erlangten die Muslime später die zahlenmässige Mehrheit; die Christen vermochten jedoch bis zur Destabilisierung durch die Palästinenser die eingespielten Strukturen erhalten. Die Maroniten haben sich in ein Igel-Bewusstsein geflüchtet und ganz hohe Mauern gegenüber der restlichen arabischen Welt aufgebaut.

Schluss folgt: Die Scharia – fix oder anpassungsfähig?

Christen im Schatten des Islam (1): Drei Jahre nach dem 11. September
www.livenet.ch/www/index.php/D/article/161/18465

Christen im Schatten des Islam (2): Fremde Herrscher, Gelehrte und die Scharia
www.livenet.ch/www/index.php/D/article/157/18570/

Datum: 13.10.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

Verwandte News
Werbung
Werbung
Livenet Service