Nach dem Likud-Nein zum Abzug aus dem Gaza-Streifen: Wie weiter in Israel?

Ariel Sharon
Siedler

Ist Ariel Sharon in eine Grube gefallen, die er sich selbst geschaufelt hat? Die Neue Zürcher Zeitung meint, das Nein in seiner Likud-Partei zum Plan eines Rückzugs aus dem Gazastreifen sei „ein reines Debakel“ für den Regierungschef – auf den ersten Blick jedenfalls. Offensichtlich habe Sharon seine innerparteilichen Rivalen austricksen wollen.

Der Eindruck herrscht vor, dass er dabei nicht nur auf die Nase, sondern gleich in die Grube gefallen ist. Aber die NZZ meint, dass „solche Spielchen in einer offenen Demokratie durchaus nicht verboten sind“. In der von schärfsten Gegensätzen geprägten politischen Landschaft Israels ist Sharons Vorgehen jedenfalls viel transparenter als die üblichen Machenschaften der Herrscher in der Region.

Wie bindend ist die Befragung der Basis, an der bloss 50 Prozent der Likud-Mitglieder teilnahmen und im Verhältnis von 3:2 Sharons Vorhaben ablehnten? Die Frage droht den Likud, Israels grösste Partei, weiter zu spalten. Ariel Sharon will offenbar in der nächsten Kabinettssitzung diskutieren lassen, welche Teile des Plans weiter verfolgt werden können.

Er erklärte am Sonntagabend enttäuscht, das Parlament werde sich schwerwiegenden Fragen stellen müssen. Die Gegner des Plans hätten dem Land „schweren strategischen Schaden“ zugefügt. Doch er werde der Regierung und der Knesset einen weiteren Plan vorlegen, der in Israels Interesse sei; „sonst geraten wir in eine sehr ernste Lage“. Einen Rücktritt lehnte der auch durch Korruptionsvorwürfe (primär gegen seine Söhne) angefochtene Premier ab.

Nachdem er am Montag mit den Likud-Ministern, die ihn unterstützt hatten, konferiert hatte (Olmert und Mofaz), traf sich Sharon am Dienstag Morgen mit dem Führer der säkularen Shinui-Partei, Josef Lapid, zum Frühstück. Lapid hat mit dem Austritt aus der Koalitionsregierung gedroht, sollte Sharon den Siedlern nachgeben. In Israel wird spekuliert, dass weniger Siedlungen geräumt werden könnten.

In der Zeitung ‚Haaretz’ wird die „plötzliche Potenz der Siedler, in einer grossen politischen Partei eine Wende herbeizuführen“, vermerkt. Einer der schärfsten innerparteilichen Gegner Sharons, Moshe Feiglin, Chef der rechtsstehenden Fraktion, erhob bereits den Anspruch, die Führung der gesamten Partei zu übernehmen – auch wenn das 20 Jahre dauern sollte.

Der Politiker Sharon hat die Siedlerbewegung jahrzehntelang gefördert und gestärkt. Dass er nun Israels Präsenz im Gaza-Streifen beenden will, hat die Siedler aufgestachelt. Sie und ihre Kinder besuchten laut der Zeitung in einem kaum für möglich gehaltenen Effort „fast jeden Likud-Wähler zu Hause“ und legten dar, dass Kinder das Recht haben müssten, dort zu bleiben, wo sie geboren seien.

Weil viele Likud-Mitglieder auch dem Argument Gehör schenkten, man dürfe die Palästinenser nicht für Terrorakte belohne, hatten sie damit Erfolg: Das ursprünglich vermutete Resultat (60% Ja) verkehrte sich innert Wochen ins Gegenteil.

Dass die Gaza-Siedler nicht im Ernst behaupten können, sie hätten keine Probleme, machte ein Mordanschlag noch am Sonntag deutlich: Eine junge Frau und ihre vier Kinder wurden von palästinensischen Heckenschützen erschossen.

Datum: 05.05.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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